Wann findet der furchtbare Krieg in der Ukraine ein Ende? Wie kann Putin gestoppt werden? In einem Interview erklärt eine Konfliktexpertin nun, wie eine Lösung aussehen könnte.
„So unappetitlich das auch scheint“Expertin sicher: Nur so kann Putin wirklich gestoppt werden
Putin überfällt die Ukraine, droht dem Westen mit Abschreckungswaffen. Und der reagiert mit harten Sanktionen. Doch die russischen Truppen ziehen weiter mordend und zerstörend durch das Land, und die Antworten aus dem Kreml fallen immer martialischer aus.
Viele Militärexpertinnen und -experten befürchten, dass sich die Lage immer weiter aufschaukelt. Eine Eskalation abzuwenden, das ist die dringlichste Aufgabe – da sind sich alle einig. Doch wie? Wie lässt sich mit einem Despoten verhandeln, der offenbar zu allem fähig scheint? Eine Konfliktexpertin meint: Verhandlung ist die einzige Möglichkeit.
Im Interview mit der „Zeit“ erklärt die kanadische Politikwissenschaftlerin Janice Gross, Expertin für internationale Beziehungen und Professorin für Konfliktmanagement, dass Wladimir Putin vom Westen nicht weiter dämonisiert werden dürfe. Da sonst der Raum für solche Verhandlungen fehle.
Krieg in der Ukraine: „Putin braucht Anreize, den Krieg zu beenden“
Die Sanktionen, die der Westen verhängt hat, richten auf lange Sicht Schaden an, erklärt Gross. Könnten aber nicht kurzfristig die Tatsachen auf dem Schlachtfeld ändern.
„Sie müssen der sanktionierten Person also auch Anreize bieten, ihr inakzeptables Verhalten zu ändern. Was tun wir, wenn Putin die Kampfhandlungen einstellt? Heben wir alle Sanktionen auf oder die schwersten? Diese Anreize sind der Kern eines erfolgreichen Sanktionsregimes und sie werden derzeit komplett außer Acht gelassen.“
Es sei wichtig, die Verhandlungsgrundlage nicht zu verlieren. „Unsere beste Hoffnung in diesem Krieg ist eine Einigung zwischen Russland und der Ukraine. Die schlimmsten Szenarien wären entweder, dass die Ukraine besiegt wird oder dass der Krieg eskaliert. Beides wäre schrecklich“, erklärt Gross.
Doch neben all der Entrüstung über den Krieg sei es eben wichtig, Putin nicht zu dämonisieren. „Je mehr wir unsere Gefühle überhandnehmen lassen, desto schwieriger wird es für die Nato werden, Raum für diese Verhandlungen zu schaffen.“
Krieg in der Ukraine: „Es wird also keinen Frieden geben“
Und welche Optionen liegen für solche Verhandlungen auf dem Tisch? Könnte es ein Friedensabkommen geben? Gross spricht Klartext: „Frieden ist ein großes Wort. Der Schaden, den Russland seinem Verhältnis mit der Ukraine zugefügt hat, wird auf mindestens 20 Jahre nicht zu reparieren sein. Der Hass der Ukrainerinnen und Ukrainer ist zu groß. Es wird also keinen Frieden geben.“
Was es stattdessen geben könne, ist ein Waffenstillstand. Der ukrainische Präsident Selenskyj sage schon jetzt Dinge, die er zuvor nicht gesagt hat – etwa, dass die Ukraine nicht der Nato beitreten wird. „Das sind die ersten Schritte hin zu Verhandlungen, die für einen Waffenstillstand notwendig sind. Diese Verhandlungen hängen jedoch auch davon ab, dass der Preis des Kriegs für Präsident Putin zu hoch wird und er Anreize bekommt, ihn zu beenden.“
Krieg in der Ukraine: „Die große Frage ist: Wie weit wird Putin noch gehen?“
Gross erklärt, dass das Bild Putins als starker Führers Risse bekommt. Viele russische Soldaten sterben, er habe keine Reserven mehr, muss ausländische Kämpfer suchen. Auch sein engster Beratungsstab macht sich Sorgen über die Folgen im eigenen Land.
„Die große Frage ist: Wie weit wird er noch gehen? Ist er bereit, die ganze Ukraine in Schutt und Asche zu legen? Dann muss er das Land auch wieder aufbauen und besetzen, mit einer Armee, die schon jetzt mit dem Hass der ukrainischen Bevölkerung nicht zurechtkommt.“
Er habe, da ist sich die Expertin sicher, einen riesigen strategischen Fehler begangen. Dem Westen blieben da zwei Optionen: Der Ukraine möglichst viele Verteidigungswaffen liefern. Und die Kommunikation mit Putin aufrechterhalten – um nach den Möglichkeiten für eine Waffenruhe zu suchen. „So unappetitlich das den moralisch empörten westlichen Öffentlichkeiten auch zu sein scheint: Es ist das, was der Ukraine am meisten helfen würde. Regierungschefs müssen weiterhin nach Moskau reisen.“