Wahl in BrandenburgPoker von SPD-Woidke geht auf, AfD mit Rekord-Ergebnis

Ministerpräsident Dietmar Woidke hat, was er wollte: den Wahlsieg für seine SPD. Aber leicht wird das Regieren für ihn nicht. Und für seinen Parteikollegen Olaf Scholz dürfte es auch im Bund rumpeln.

Ampel-Krach hin, Kanzler-Dämmerung her – es gibt wohl doch noch was zu feiern für die SPD. So groß wie nach den ersten Ergebnissen aus Brandenburg war das Aufatmen im Berliner Willy-Brandt-Haus an einem Wahlabend wie an diesem Sonntag (22. September 2024) schon lange nicht mehr – auch wenn man noch etwas vorsichtig auf die Zahlen blickt.

Das ist das vorläufige Endergebnis der Wahl in Brandenburg (23.09., 00:09 Uhr)

  1. SPD 30,9 Prozent (2019: 26,2 Prozent)
  2. AfD 29,2 Prozent (2019: 23,5 Prozent)
  3. Bündnis Sahra Wagenknecht 13,5 Prozent (erst 2023 gegründet)
  4. CDU 12,1 Prozent (2019: 15,6 Prozent)
  5. Grüne 4,1 Prozent (2019: 10,8 Prozent)
  6. Linke 3,0 Prozent (2019: 10,7 Prozent)
  7. BVB/Freie Wähler 2,6 Prozent (2019: 5,0 Prozent)

Nach dem knappen Wahlsieg der SPD vor der AfD steht Brandenburg vor einer schwierigen Regierungsbildung - und die Ampel-Koalition im Bund vor einer neuen Zerreißprobe. Die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Dietmar Woidke wurden bei der Landtagswahl am Sonntag nach einer Aufholjagd zwar stärkste Kraft, doch büßten ihre bisherigen Koalitionspartner CDU und Grüne deutlich ein. Eine Mehrheit ohne die AfD hätte Woidke künftig nur mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die FDP stürzte derart ab, dass sie nun abermals die Koalition im Bund infrage stellt.

Woidke erreichte mit seiner SPD nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis 30,9 Prozent der Stimmen und damit sein erklärtes Ziel: vor der AfD zu liegen. Die Rechtsaußenpartei schnitt jedoch mit 29,2 Prozent ebenfalls stark ab. Auf Platz drei landete das erst vor wenigen Monaten gegründete BSW mit 13,5 Prozent vor der CDU mit 12,1 Prozent. Das sind die vier Parteien im Parlament.

Dagegen scheiterten Grüne, Linke und Freie Wähler an der Fünf-Prozent-Hürde und sind raus aus dem Potsdamer Landtag. Die FDP war dort schon bisher nicht vertreten und erreichte jetzt nur noch 0,8 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 72,9 Prozent so hoch wie nie bei Landtagswahlen in Brandenburg.

Der AfD gelang es, eine sogenannte Sperrminorität zu gewinnen - zum zweiten Mal nach ihrem Erfolg in Thüringen vor drei Wochen. Sie hat mit 30 von 88 Sitzen künftig mehr als ein Drittel der Mandate und kann somit Entscheidungen verhindern, für die es eine Zweidrittelmehrheit braucht. Das gilt zum Beispiel für die Wahl von Verfassungsrichtern und auch Verfassungsänderungen. Damit hat die AfD erheblichen Einfluss, obwohl keine andere Partei mit ihr regieren will.

SPD und BSW - geht das?

Ministerpräsident Woidke kündigte an, zuerst Gespräche mit seinem bisherigen Partner CDU führen zu wollen. Doch fehlt diesem Zweierbündnis die Mehrheit. Die käme rechnerisch nur mit dem BSW zustande. Dessen Co-Chefin Amira Mohamed Ali signalisierte auch grundsätzlich Bereitschaft. „Wir bringen da eine Offenheit mit“, sagte sie bei Phoenix. „Aber uns ist eben wichtig, dass die Inhalte stimmen und dass es wirklich echte Verbesserungen für die Menschen in Brandenburg gibt.“ Als zentrales Thema nannte sie unter anderem die Friedenspolitik.

Ein Bündnis mit der SPD, für das eben jene Friedenspolitik zum Stolperstein werden könnte, hält nicht nur der Parteienforscher Thorsten Faas für schwierig. „Das ist alles nicht erprobt“, sagte der Politologe der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist nicht gesichert, dass das eine reibungslos funktionierende Koalition wird.“

Die AfD sieht sich als Kraft der Zukunft

Weil die AfD bei jungen Leuten mehr Stimmen holte als die anderen Parteien, sieht sie sich selbst als Kraft der Zukunft, wie es Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt formulierte. Die Partei kam nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen bei den unter 30-Jährigen auf 30 Prozent der Stimmen. Die SPD hatte in dieser Altersklasse nur einen Anteil von 21 Prozent, war dafür aber bei der Generation 60 Plus besonders stark.

Politologe Faas rät dazu, diesen hohen Anteil junger AfD-Wähler „sehr ernst zu nehmen“. Allerdings zeige sich im Wahlverhalten junger Leute auch, dass sie oft nach allen Richtungen offen seien. Die Gleichsetzung der AfD mit einer Partei der Zukunft halte er für sehr übertrieben, sagte Faas, der an der Freien Universität Berlin lehrt.

Die Rechtsextremismus-Forscherin Heike Radvan von der Universität Cottbus-Senftenberg betonte: „Wir brauchen mehr politische Bildung.“ Jugendliche hätten oft noch kein gefestigtes rechtes Weltbild. Doch müsse mehr über die deutsche Geschichte aufgeklärt werden, auch der Kampf gegen Falschinformationen sei wichtig. Dass die AfD nur Nummer zwei geworden sei, sei „kein Grund zur Entwarnung“, sondern eine große Herausforderung.

Desaster für zwei von drei Ampel-Parteien

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), derzeit auf Dienstreise in New York bei den Vereinten Nationen, hatte eigentlich angekündigt, sich erst heute Nachmittag zum Wahlergebnis zu äußern. Nach dem Erfolg seines Parteikollegen Woidke sagte Scholz aber doch schon etwas: „Ist doch super, dass wir gewonnen haben.“ Und weiter: „Ich habe es gespürt, dass da was passiert.“

Woidke hatte im Wahlkampf ausdrücklich auf Scholz' Unterstützung verzichtet, von der in Umfragen bei Wählerinnen und Wählern sehr unbeliebten Ampel versprach er sich wohl wenig Rückenwind. Nach der Wahl stärkte Woidke seinem Parteikollegen aber den Rücken: „Der Bundeskanzler ist gesetzt als Kanzlerkandidat“, sagte der Ministerpräsident in der ARD.

Die SPD zieht aus dem Ergebnis die Botschaft: Kämpfen lohnt sich. Die Grünen als Wahlverlierer zeigen sich dagegen ratlos. Es gebe einen negativen Trend, „und da werden wir uns gemeinsam rauskämpfen“, sagte Parteichefin Ricarda Lang in der ARD. Verlorenes Vertrauen müsse zurückgewonnen werden.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki schaltete hingegen auf Attacke. Dem Sender Welt TV sagte er: „Die Menschen sind mit der Ampel fertig.“ Es gebe völlig unterschiedliche Auffassungen, wie man die Wirtschaft wieder flott machen könne. „Und entweder, es gelingt uns in den nächsten 14 Tagen, drei Wochen, hier tatsächlich einen vernünftigen gemeinsamen Nenner zu finden - oder es macht für die Freien Demokraten keinen Sinn mehr, an dieser Koalition weiter mitzuwirken.“ (dpa)