Köln – Nach den Schlappen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am Sonntag (14. März 2021) ist die Union in Alarmstimmung. Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl 2021 sinken auch die Umfragewerte von CDU/CSU immer weiter. Der CDU-Vizefraktionschef in NRW, Gregor Golland, steht im Interview Rede und Antwort – und stellt klar, welche Fehler seine Partei gemacht hat und in welche Richtung sie sich seiner Meinung nach in Zukunft entwickeln sollte.
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Herr Golland, zwei Niederlagen bei wichtigen Landtagswahlen, die Union im bundesweiten Umfragetief, wo liegen die Gründe?
Golland: Das liegt auf der Hand. Zum einen schleppen sich die Impfungen gegen das Coronavirus dahin, zum anderen stockt die Auszahlung der Überbrückungshilfen durch den Bundeswirtschaftsminister. Hinzu kommt aus meiner Sicht, dass der lange Lockdown zu steigendem Unmut gegen die politischen Verantwortlichen führt.
Ferner sind mit Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg und Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz profilierte Politgrößen ins Wahlkampfrennen gegangen sind. Da muss man einfach schauen, dass die CDU/CSU künftig inhaltlich, aber auch personell stärkere Alternativen dagegensetzt.
Das Impfchaos ist durch das Versagen der Bundesregierung hausgemacht, und auch die Bundesländer bekleckern sich derzeit nicht gerade mit Ruhm…
Golland: Leider. Deutschland galt lange Zeit als Vorbild für effizientes Organisieren, in vielen Bereichen aber führt eine überbordende Bürokratie zu erheblichen Blockaden. Weil man es hierzulande wie in der Europäischen Union jedem recht machen will, fehlen pragmatische Lösungen.
Schauen Sie sich doch nur die Impfreihenfolge an. Moralisch gut, pragmatisch nicht. Die Länder, die wir kürzlich noch von oben herab belächelt haben, sind schon viel weiter. In den USA können Sie sich bereits im Supermarkt impfen lassen, die Briten wollen demnächst wieder die Außengastronomie öffnen, in Israel stehen abends junge Menschen bei Kliniken an, um sich mit übrig gebliebenen Vakzinen impfen zu lassen.
Und wir hier in Deutschland führen moralische Gerechtigkeitsdebatten, wer zuerst den Piks erhalten soll. Die Politik hat zwar ihr Versprechen eingehalten, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Allerdings ist es aus meiner Sicht wenig zielführend, die Inzidenzwerte zum Fetisch zu erheben.
Die Führungsschwächen in der Pandemie sind offensichtlich – angefangen bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über Angela Merkel und ihren Kanzleramtschef Helge Braun, Wirtschaftsminister Peter Altmaier bis hin zu Gesundheitsminister Jens Spahn, warum kann die Union kein Krisenmanagement?
Golland: Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Aber es gehört auch zur Wahrheit, dass gerade auf der europäischen Ebene gravierende Fehler gemacht wurden. Umso ärgerlicher ist es, dass dies nun schöngeredet wird, anstatt Verantwortung zu übernehmen. Kein normaler Mensch versteht doch, wie man der zuständigen EU-Kommissarin, einer Psychologin aus Zypern, das wichtigste Beschaffungsprojekt dieses Jahrhunderts überlassen konnte.
Auch müssten die Finanzhilfen für notleidende Unternehmen und Selbstständige aus dem Bundeswirtschaftsministerium weitaus schneller erfolgen. Zugleich steht Datenschutz dem Gesundheitsschutz in der Pandemie im Wege, ferner schreitet die Digitalisierung viel zu langsam voran. Die Krise zeigt auf ganz brutale Art und Weise, was falsch läuft.
Welche Punkte spielen da eine Rolle?
Golland: Wir sind einfach zu behäbig und zu selbstzufrieden geworden. Solche Krisen muss man managen und nicht nur verwalten. Und dafür brauchen wir entsprechende Führungspersonen. Diese Leute müssen mutig entscheiden und entschlossen vorangehen und Optimismus verbreiten. So müssen wir Geimpften und Genesenen schnell ihre Grundrechte wieder zurückgeben, dann werden sich die Menschen auch freiwillig um den Impfstoff reißen, der hoffentlich bald ausreichend verfügbar ist.
Fehlt es der Union an solchen Machern?
Golland: Wir haben ausgewiesene Spitzenkräfte, aber die Union muss insgesamt wieder eine Partei werden, in der zum Beispiel Praktiker aus der Wirtschaft verstärkt mitreden können. Abseits von Proporz und Quote muss fachliche Kompetenz wieder höher bewertet werden.
Auch muss die Union inhaltlich sagen, wofür sie steht. Und zwar klar und deutlich. Und nicht dem Koalitionspartner SPD um des lieben Friedens Willen fast jedes Zugeständnis machen. Eine Partei, die gerade mal mit 15 Prozent die Hälfte dessen auf die Platte bringt wie CDU und CSU bundesweit, sollte man es nicht durchgehen lassen, dass sie wie eine Chimäre Regierungspartner und Opposition zu gleich spielt.
Was muss sich ändern?
Golland: Wir brauchen wieder ein klares Profil als Partei der sozialen Marktwirtschaft. So muss dringend eine Steuerreform her. Denn es kann doch nicht richtig sein, dass man ab dem 1,3-fachen des Durchschnitteinkommens bereits den Spitzensteuersatz zahlen muss. Das Leistungsprinzip muss wieder zählen. Erarbeiten vor Verteilen sollte die Devise sein und nicht umgekehrt.
Mehr Selbstverantwortung müsste auf die Agenda, anstatt sich weiter in der deutschen Vollkaskomentalität zurückzulehnen. Die Union muss sich darauf konzentrieren, die Mittelschicht zu fördern, die normalen, hart arbeitenden Bürger und Bürgerinnen. Und weniger wie SPD und Grüne darauf abheben, es jeder vermeintlichen Randgruppe und lauten Minderheit recht zu machen.
Diese Kritik zielt doch vor allem auf die Kanzlerin ab, die ihre Partei nach links geschoben hat oder nicht?
Golland: Wir sind die zwar Partei der Mitte, aber nach Angela Merkel sollten wir uns wieder mehr auf unsere Kerninhalte fokussieren und den Menschen sagen, was die Union in Zukunft will. Merkel steht nicht mehr zur Wahl, sondern vielleicht ein Armin Laschet. Wir müssen nach vorne schauen.
Aber Laschet steht doch für den Merkel-Kurs…
Golland: Da sind große Unterschiede. Armin Laschet hat in den vergangenen Jahren als Ministerpräsident gezeigt, dass er mit klarem Handeln im Bereich der Wirtschafts-, Verkehrspolitik und der inneren Sicherheit Nordrhein-Westfalen nach vorne gebracht hat. Kriminalität wird hier mit Null-Toleranz begegnet. Gesetze und Regeln gelten und werden vom Rechtsstaat durchgesetzt.
Derzeit liegt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in der Beliebtheitsskala meilenweit vor seinem CDU-Amtskollegen Laschet, muss man nicht bei der Kandidatenkür für die Kanzlerwahl nicht dem CSU-Vorsitzenden den Vortritt lassen?
Golland: Bisher war es so, dass jeder CSU-Kandidat bei den Bundestagswahlen nicht das Kanzleramt erobern konnte. Aus meiner Sicht hat die CDU als größere Schwesternpartei das erste Zugriffsrecht. Armin Laschet hat das mit Abstand bevölkerungsreichste Bundesland bisher gut regiert, da kümmern mich keine Wasserstandsmeldungen zum Beliebtheitsgrad der Kandidaten.
Wie passt es denn da, dass nun Friedrich Merz wieder in den Bundestag einziehen will, bahnt sich da nicht ein erneuter Konflikt mit dem Parteichef Laschet an?
Golland: Das wird weit überschätzt. Merz und Laschet passen besser zusammen, als so mancher denkt. Als Volkspartei braucht die CDU Laschet als Mann von Maß und Mitte sowie Merz mit seinem wirtschaftlichen Know How und seiner klaren wertkonservativen Haltung.
Wir brauchen wieder Politiker, die mutiger nach vorne gehen. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Das sieht man derzeit in der Corona-Krise. Und vielleicht muss man den Menschen in Deutschland auch wieder mehr Verantwortung übertragen. Man denke nur an das Thema Wehrpflicht. Durch die Abschaffung von Militär- und Zivildienst haben sich ganz große Nachteile ergeben.
Welche meinen Sie konkret?
Golland: Die Bundeswehr ist doch kaum noch einsatzfähig, auch sind die Soldaten nicht mehr richtig in der Gesellschaft akzeptiert.
Die caritativen Sozialstationen beklagen seit Jahren das Fehlen der Zivildienstleistenden, um alten und kranken Menschen zu helfen. Warum sollten wir nicht wieder ein allgemeines Pflichtjahr für junge Frauen und Männer einführen, die sich entweder im Sozial- oder Militärdienst engagieren? Denn dann stände jetzt eine große Personalressource zur Verfügung, die man in Test- oder Impfzentren oder bei den lokalen Gesundheitsämtern einsetzen könnte. Getreu dem Motto: Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben den ursprünglichen Text dieses Interviews an der einen oder anderen Stelle geringfügig ergänzt. Wir bitten um Entschuldigung, dass die erste Version noch nicht vollständig war.