Der Vorsitzende der Atlantik-Brücke Sigmar Gabriel (62) erläuterte im „heute-journal“ seine Sicht zur Ukraine-Krise. Der ehemalige Außenminister kritisierte Russland scharf. Welche Druckmittel Europa noch hat und was dies für Nordstream 2 bedeutet, erklärte Gabriel im Interview.
Ukraine-Konflikt spitzt sich zuSigmar Gabriel schießt im „heute-journal“ gegen Russland
Die Lage ist weiterhin brenzlig in der Ukraine-Krise. Nun hat die Nato neue Gespräche vorgeschlagen, US-Außenminister Antony Blinken (59) reiste am Mittwoch (19. Januar 2022) nach Kiew und soll am Freitag (21. Januar 2022) nach Abstimmung mit den Europäern seinen russischen Amtskollegen treffen.
„Zum Dialog gibt es keine Alternative“, hatte dazu passend die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (41) erklärt. Im ZDF-„heute journal“ am Dienstagabend (18. Januar 2022) gab auch Ex-Außenminister Sigmar Gabriel seine Einschätzung zur Lage zu Protokoll.
„heute journal“: Sigmar Gabriel mit Kritik an Russland
„Natürlich hat Frau Baerbock absolut recht“, stellte Gabriel, aktuell Vorsitzender der Atlantik-Brücke, zunächst klar. Allerdings müsse auch „auf der anderen Seite Gesprächsbereitschaft geben“ – auf russischer Seite.
„Was wir als erstes gesehen haben, ist eine unfassbare Drohgebärde mit über 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine“, sagte der ehemalige SPD-Vorsitzende. „Und zweitens Sätze des stellvertretenden russischen Außenministers, bei der man den Eindruck haben muss, dass Krieg ein denkbares Mittel der russischen Politik geworden ist.“
Zuerst müssten nun die Russen gefragt werden, was sie zur Deeskalation beitragen könnten. Schließlich gehe die Eskalation von russischer Seite aus, nicht von der Ukraine oder seitens des Westens.
Doch was haben die Europäer an Druckmitteln? „Erstmal muss man feststellen, dass offensichtlich die Europäische Union am Katzentisch sitzt“, erklärte Gabriel. „Die Amerikaner verhandeln mit den Russen über die Lage in Europa.“ Für überzeugte Europäer sei es ein „schwaches Bild“, das die EU vermittle. Es brauche von europäischer Seite eine gemeinsame Verhandlungsposition.
„Bei Krieg ist die Verhandlungsbereitschaft zu Ende“
„Da weder wir noch die USA in einen militärischen Konflikt mit Russland gehen wollen, bleiben nur wirtschaftliche Sanktionen.“ Es gebe eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Man müsse Russland den Preis für eine militärische Aktion ihrerseits vermitteln. Man spreche schließlich von einem Krieg in Europa, das sei ein „unglaublicher Vorgang“.
Moderatorin Bettina Schausten (56) hakte nach, ob nicht mit Nordstream 2 – ihrer Einschätzung nach nicht Teil des Sanktionskatalogs – nicht eine mögliche Drohkulisse wegfalle. Gabriel erklärte, er habe das anders verstanden. Kanzler Olaf Scholz (63) habe gesagt, dass „alles auf dem Tisch“ liege.
Deutschland hilft bei Ausbildung der ukrainischen Selbstverteidigung
Allerdings sei seine Befürchtung, dass das Aus für Nordstream 2 als eine Art „Großmachtssteuer“ in Russland längst eingeplant sein könne. „Aber dass Nordstream 2 nicht fortgesetzt werden kann, wenn Russland einen Krieg gegen die Ukraine führt, das ist so selbstverständlich, dass es fast nicht lohnt, darüber zu reden.“
Wie glaubwürdig es seitens Deutschlands sei, Waffenlieferungen in die Ukraine abzulehnen, aber das Selbstbestimmungsrecht des Staates zu betonen, wollte Schausten noch wissen. Sigmar Gabriel betonte daraufhin, es gäbe Hilfe bei der Ausbildung der ukrainischen Selbstverteidigung und Armee.
Jedoch gebe es einen Grundsatz in Deutschland, an dem er nicht rütteln wolle: „Keine Waffen in Krisengebiete und in denkbare Kriegsgebiete zu liefern.“ Seiner Meinung nach seien die diplomatischen Mittel noch nicht ausgeschöpft. Zum Schluss zog er ein deutliches Fazit: „Bei Krieg ist jede Verhandlungsbereitschaft zu Ende.“ (tsch)