Lage immer bedrohlicher, Kriegsgefahr steigt„Dann müssten die Deutschen niederknien und betteln“

Der taiwanesische Germanist Jhy-Wey Shieh ist derzeit diplomatischer Vertreter Taiwans in der Bundesrepublik Deutschland. Hier ist er 2020 in Berlin zu sehen.

Jhy-Wey Shieh ist derzeit diplomatischer Vertreter Taiwans in der Bundesrepublik Deutschland. Hier ist er 2020 in Berlin zu sehen.

Die drittmächtigste Frau der USA besucht Taiwan, China tobt – und lässt weiter die Muskeln spielen. Die Kriegsgefahr in der Region steigt zusehends und hätte auch dramatische Folgen für Deutschland. Davor warnt nun auch ein diplomatischer Vertreter Taiwans in Deutschland.

von Martin Gätke  (mg)

Sie hat jede Warnung und jede Drohung ignoriert und ist trotzdem in Taipeh gelandet: Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi wurde am Dienstag (2. August 2022) zusammen mit einer Delegation herzlich empfangen – ihr Besuch ist ein großer und wichtiger Moment für Taiwan, ist Pelosi doch nach 25 Jahren die ranghöchste Politikerin, die ein Fuß auf die Insel setzt.

Dass so eine mächtige Politikerin das Land besucht, lässt China, das Taiwan als Teil der Volksrepublik sieht, toben. Schon zuvor sprach die Großmacht zahlreiche Drohungen aus.

Taiwan: Will China ein Exempel statuieren?

Nachdem Pelosi gelandet war, verschärfte sich der Ton aus Peking noch einmal deutlich: Als Reaktion startete Chinas Militär Manöver mit Schießübungen in sechs Meeresgebieten, die Taiwan umringen.

„Wer mit dem Feuer spielt, wird sich selbst verbrennen“, so die martialische Ansage vom chinesischen Außenministerium. Die Volksbefreiungsarmee sei in Alarmzustand versetzt worden.

Es dürfte nicht die einzige Reaktion Chinas bleiben. Gut möglich, dass die Großmacht ein Exempel statuieren will. Die Lage um Taiwan ist angespannt wie nie, die Kriegsgefahr sei hoch, berichten auch deutsche Korrespondentinnen und Korrespondenten.

Fest steht: Sollte es zum Äußersten kommen, dürften die Folgen verheerend sein, auch für Deutschland. Das macht auch der Repräsentant Taiwans in Deutschland, Jhy-Wey Shieh, in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ klar.

„Spätestens seit dem Invasionskrieg von Russland in der Ukraine muss man in Europa und Deutschland gelernt haben, dass jedes unnötige Zugeständnis an eine Diktatur diese nur in ihrem Tun bestärkt“, erklärt Jhy-Wey Shieh. „Spätestens seit dem 24. Februar müssen Demokratien immer zeigen, dass Freiheit nicht verhandelbar ist und Imperialismus keinen Platz haben darf.“

Taiwan: Hitzige Debatte über Pelosis Besuch auch in Deutschland

Auch in Deutschland löst Pelosis Besuch eine große Debatte aus: Ist er eine unnötige Provokation Chinas, in einer Zeit, in der die Welt mit anderen Spannungen genug zu kämpfen hat, allen voran dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine? Oder ist er ein wichtiges Zeichen des Westens, dass man sich von Drohungen nicht beeindrucken lässt und Partnern zur Seite steht?

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen erklärte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass der Zeitpunkt der Reise falsch sei – wenngleich er Chinas Drohungen für inakzeptabel hält. „Durch den russischen Angriffskrieg gibt es zurzeit mehr als genug internationale Spannungen.“ Auch der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff warnte vor einer Eskalation.

Sein Parteigenosse, der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Ulrich Lechte, begrüßte hingegen, dass Pelosi sich nicht habe einschüchtern lassen. Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer lobte den Besuch als „Zeichen der Solidarität“.

Taiwan: „Man muss sofort reagieren, wenn Freiheit einer Demokratie verletzt wird“

Jhy-Wey Shieh erwartet von der deutschen Regierung, dass sie das Versprechen der „Zeitenwende“ auch in Bezug auf die Lage im Südchinesischen Meer umsetzt: Das hieße, dass man das Blatt wenden muss – und zwar rechtzeitig.

„Das Schicksal, unter dem viele Ukrainer heute leiden, hätte man ihnen ersparen können“, sagte er. „Dafür hätte man frühzeitig die strategischen Fehler und die eigenen Denkfehler einsehen müssen gegenüber Putin und Russland. Man muss sofort reagieren, wenn die Freiheit einer Demokratie verletzt wird.“

Sollte es zum Äußersten kommen, sollte China eine Invasion in dem Land starten, zu dem auch Deutschland enge Beziehungen pflegt, hätte das weitreichende Folgen, erklärt Jhy-Wey Shieh. Industriechips oder Halbleiter kämen zum großen Teil aus dem Land. „Kein deutsches Auto, kein Volkswagen, BMW oder Daimler Benz, auch kein Handy, funktioniert ohne Chips oder andere Komponenten aus Taiwan.“

Lage in Taiwan: „Dann müssten die Deutschen niederknien und betteln“

Die Halbleiterindustrie sei auch wichtig für militärische und strategische Ausrüstung. Jhy-Wey Shieh spricht Klartext: „Die Europäer können es sich nicht leisten, dass Taiwan mit der gesamten Halbleiterindustrie und den Lieferketten unter die Kontrolle von China gerät. Die Chinesen würden daraus Erpressungspotenzial entwickeln. Dann müssten die Deutschen und andere niederknien und betteln, um an die Komponenten von China zu kommen.“

Jhy-Wey Shieh erklärt, dass China ebenso von guten wirtschaftlichen Beziehungen zu deutschen Unternehmen und zur deutschen Industrie abhängig sei wie umgekehrt. Hier sehe er einen möglichen Hebel. „Alles, was Maschinenbau angeht, bei Werkzeugmaschinen oder in der Autoindustrie, auch in der Chemie, da ist Deutschland stark. Da werden gute Geschäfte gemacht. Die Deutschen sollten beherzigen, nicht alle Eier in einem Korb zu tragen.“ Werden die Lieferketten vielfältiger, könnte auch Taiwan mehr davon profitieren.

Jhy-Wey Shieh: „Seit dem 24. Februar müssten alle wachgerüttelt sein, dass Frieden, Sicherheit und Stabilität verteidigt werden müssen. Der Westen würde seinen Fehler wiederholen, wenn er nun Taiwan im Stich lässt.“