In Afghanistan rücken die Taliban unaufhörlich vor und nehmen immer mehr Städte und Provinzen ein. Immer mehr westliche Regierungen holen ihre Botschafts-Angestellen heim - auch Deutschland.
Sorge vor den TalibanDeutsche Botschafts-Angestellte verlassen Afghanistan

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Rauchschwaden steigen nach Kämpfen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften in Kandahar in den Himmel. Aus Sorge vor dem Vormarsch der Taliban holen westliche Regierungen ihre Mitarbeiter heim.
Kabul. Sie sind unaufhörlich auf dem Vormarsch. In Afghanistan nehmen die Taliban immer weitere Städte und Provinzen ein. Angesichts dieses raschen Vormarschs arbeitenwestliche Staaten unter Hochdruck daran, Botschaftsmitarbeiter und Ortskräfte in Sicherheit zu bringen - auch Deutschland.
Neben Deutschland kündigten am Freitag (13. August) andere europäische Länder wie Großbritannien und Spanien die Ausreise von Botschaftspersonal an. Die USA sagten das Ausfliegen tausender Menschen täglich zu und veranlassten die Zerstörung sensiblen Materials in ihrer Botschaft in Kabul.
Seit Beginn des vollständigen Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen acht Tagen nahmen die Islamisten rund die Hälfte der 34 afghanischen Provinzhauptstädte ein, darunter zuletzt auch die zweitgrößte Stadt Kandahar. Am Freitag standen sie nach Eroberung der Provinzhauptstadt Pul-i-Alam nur noch 50 Kilometer vor Kabul, wie ein Regionalabgeordneter der Provinz Logar mitteilte.
In einem Vermerk an die Mitarbeiter der US-Botschaft in Kabul verwies ein Gebäudetechniker auf die bestehenden Möglichkeiten zur Verbrennung oder Entsorgung von Dokumenten und Gerätschaften. Zerstört werden soll demnach alles, was von den Taliban für ihre Propaganda „missbraucht werden“ könnte, wie etwa Gegenstände mit dem Botschaftslogo und US-Flaggen. Derweil trafen die ersten der 3000 US-Soldaten ein, die bei der Evakuierung helfen sollen.
Afghanistan: Reduzierung des Botschaftspersonals in Kabul
Staaten wie Deutschland, Großbritannien, die Niederlande und Spanien entschlossen sich zur Reduzierung ihres Botschaftspersonals in Kabul. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, die deutsche Botschaft solle „arbeitsfähig“ bleiben, das Personal werde aber „auf das operativ notwendige absolute Minimum“ reduziert. Dänemark und Norwegen kündigten die vorläufige Schließung ihrer diplomatischen Vertretungen in Kabul an.

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Eine Gruppe von britischen Streitkräften geht am 13. August 2021 Bord eines Flugzeugs.
Die „ohnehin für diesen Monat vorgesehenen Charterflüge“ für das diplomatische Personal werden laut Maas vorgezogen. Sie sollen auch afghanische Ortskräfte nach Deutschland bringen. Grünen-Co-Chef Robert Habeck forderte in der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstagsausgabe) „eine Luftbrücke, um diese Menschen aus Lebensgefahr zu bringen“. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte zuvor eine erleichterte Einreise für die afghanischen Ortskräfte zugesagt.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen forderte ein Einschreiten des Westens und der Bundeswehr gegen die in Afghanistan vorrückende Taliban. „Man darf nicht dabei zuschauen, wie Menschen, die uns lange verbunden waren, von den Taliban abgeschlachtet werden, wie Mädchen und Frauen alle hart erkämpften Rechte wieder verlieren“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), warnte vor einem starken Anstieg der Zahl afghanischer Flüchtlinge, mit dem auch Deutschland konfrontiert sein werde. Er sei „sicher, dass der Migrationsdruck auf die EU und Deutschland“ zunehmen werde, sagte er der „Rheinischen Post“.
Kanada nimmt bis zu 20.000 Flüchtlinge aus Afghanistan auf
Die kanadische Regierung kündigte bereits an, bis zu 20.000 Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen. Das Angebot richtet sich insbesondere an Frauen in Führungspositionen, Regierungsmitarbeiter, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Angehörige verfolgter Minderheiten.
Laut UN-Generalsekretär António Guterres begehen die Taliban in den von ihnen kontrollierten Gebieten „entsetzliche“ Menschenrechtsverbrechen. Es sei „herzzerreißend, Berichte zu sehen, wonach afghanischen Frauen und Mädchen ihre hart erkämpften Rechte entrissen werden“, sagte Guterres vor Journalisten.
In Kabul litten die Menschen derweil unter der Unsicherheit. „Wir wissen nicht, was passiert“, sagte etwa der Hauptstadtbewohner Chairddin Logari der Nachrichtenagentur AFP.
Westliche Staaten sorgen sich auch, dass Afghanistan nach dem 20-jährigen internationalen Militäreinsatz wieder zur Brutstätte von Terrorismus werden könnte. „Die einzige Bedingung, die die USA an ihren Abzug gestellt haben, war, dass die Taliban ihre Verbindungen mit dem Terror-Netzwerk Al-Kaida abbrechen“, sagte der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour der „Passauer Neuen Presse“ (Samstagsausgabe). „Das ist aber nicht passiert.“ (AFP)