Diesmal gab es krasse Überraschungen bei „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL): Nein, die Rede ist nicht von den weiter rapide abstürzenden Quoten. Daran müsste man sich ja schon gewöhnt haben. Aber am Jury-Pult ging es hoch her - zulasten der Talente.
DSDS 2022Stimmung angespannt: Am Jury-Pult geht es hoch her
Wenn man weiß, dass die Quoten von DSDS weiter beinahe ungebremst in den Keller schießen (letzte Woche kam es zum All-Time-Low mit einem erstmals einstelligen Marktanteil bei den jüngeren Zuschauern), dann ist es schon beinahe mutig, dass in den Werbeblöcken der siebten Casting-Episode auch wieder die „Bewerbt euch jetzt“-Trailer für die nächste Staffel liefen. Was ist das Motto von RTL? „Augen zu und durch“? „Jetzt erst recht“? „Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“?
Jaja, man hört die Apostel förmlich „Jeder hat eine zweite Chance verdient“ predigen. Und das stimmt auch. Allerdings sollte man Fehler erkennen und möglichst abstellen. Das verweigert RTL. Es geht gar nicht darum, ob die neue Jury schlechter ist als frühere (ist sie nicht).
DSDS 2022: Jury zofft sich vor Kandidaten
Und das geringste, was an „DSDS 2022“ stört, ist das Fehlen von Dieter Bohlen. Die Kandidaten sind auch klasse, weniger durchgeknallt, dafür ambitionierter, ernsthafter. Was RTL wirklich hinterfragen sollte, ist die Produktion. Denn die geht derzeit vor allem zulasten der Kandidaten.
Man kommt sich vor wie der einsame Rufer in der Wüste. „Warum sendet ihr nix vom Recall?“ Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Da schafften es neun von fünfzehn Kandidaten der siebten Casting-Folge in den so heiß begehrten Recall. Die Jury (RTL meint, Florian Silbereisen, Ilse DeLange, Toby Gad immer noch den Zuschauern vorstellen zu müssen) tut alles, um die Bedeutsamkeit klarzumachen: „Macht uns die Entscheidung so schwer wie möglich. Es geht um alles.“
Ärgerlich und lächerlich: Der Recall wird lieblos verstümmelt
Aber dann ist der Redaktion „alles“ aber nicht wichtig genug: Keine 15 Minuten werden von „der großen Entscheidung“ gesendet. Jedem der neun Probanden werden so zwischen 10 und 30 Sekunden Sendezeit für den zweiten, ach so wichtigen Song, gegönnt. Der Rest entfällt auf die Jury, die Passfotos hin und her schiebt und die wenigen Auserwählten auserwählt. Und dann auf die Verkündung, deren Dramatisierung dann auch ziemlich lächerlich wirkt.
Dieses lieblose Wegsenden, das Verstümmeln des Recalls ist lächerlich, ärgerlich und wird den Leistungen der Kandidaten und der Juroren nicht gerecht. Allein schon deshalb verwundert es nicht, dass das immer weniger sehen wollen.
Eigentlich sollten bei RTL ein paar Leute nervös werden. Ironischerweise wirkte es diesmal so, als übertrage sich die Nervosität eher auf die Jury. Die wirkte uneinig wie selten. Das ist prinzipiell okay, wenn es darum geht, dass persönliche Meinungen und Beurteilungen nun mal persönlich sind. Es spricht für die Drei, dass sie zu ihrer Meinung stehen und nicht nur den Kopfnicker in Richtung Chefjuror geben, was früher gerne mal der Fall war.
DSDS 2022: Bitteres Aus für zwei hervorragende Stimmen
Diesmal führte es aber auch zu ein paar seltsamen Entscheidungen, vor allem dann im Recall. Zwei der neun wurden für würdig befunden, mit nach Italien zu reisen. Zwei weitere aber hätten es durchaus verdient gehabt.
Keinen Zweifel gibt es daran, dass Tina Umbricht (23) und der gebürtige Pole Bartlomiej „Barto“ Michalek (24) würdige „Auslandsrecaller“ sind. Die junge Schweizerin, 2020 Teilnehmerin bei „The Voice Of Switzerland“, brillierte bei ihrem DSDS-Comeback (sie war schon 2015, als 15-Jährige, dabei und kam unter die Top25) und ist das, was Dieter Bohlen wohl „das tolle Gesamtpaket“ genannt hätte. Barto wiederum ließ die Augen der ganzen Jury, vor allem aber die von Ilse DeLange leuchten. Auch Silbereisen war zu Recht hingerissen: „Du stehst da wie ein Künstler. Persönlichkeit, Stimme, Ausstrahlung. Da passt alles.“
Aber: Von den neun Recall-Teilnehmern hätten auch Emily Gottschalk und Nadine Pelantova ein Italien-Ticket verdient gehabt. Die eine (Emily) singt mit 15 schon wie ein Profi - was sie auch ist, da sie schon im Live-Chor mit Udo Lindenberg auf Deutschland-Tournee war und die Solo-Stimme bei „Wozu sind Kriege da“ sang. Die andere (Nadine) setzt das Erbe der Familie fort. Ihre Mutter war Opern-Sängerin, der Vater spielt (mit Nadine) in einer Band, der Bruder ist auch Gitarrist. Und trotzdem (und trotz feiner Stimme) wurde Nadine nicht auserkoren.
DSDS 2022: Widersprüchliches Feedback von Jury-Team
Bei anderen schien es wiederum fraglich, warum sie es überhaupt in den Recall geschafft hatten. Und da fiel auf, dass es etliche 2:1-Entscheidungen gab (und auch 1:2-Entscheidungen, bei denen knapp der Recall verwehrt wurde). Cynthia Richter (21) etwa hätte Florian Silbereisen bei aller Sympathie ebenso nach Hause geschickt wie die im tiefsten Untergeschoss-Bass singende Virginia Weipert (21) - aber er wurde von Toby Gad und Ilse DeLange überstimmt.
Letztere wiederum sah überhaupt keinen Zauber in den Tönen von Mikrofon-Debütant Manuel Béla Schnocks-Soti (23), wogegen Gad und Silbereisen da einen „dieser Momente“ erlebten, „weshalb wir hier sind“. Bleibt abzuwarten, wie viele (oder eher wenige) Zuschauer sich künftig noch solche Momente noch gönnen werden. (tsch)