Aus Berlin-Kreuzberg als Star-Koch in die Welt: Tim Raue entdeckt bei den Drehs für seine Sendung „Raue reist! So schmeckt die Welt!“ außergewöhnliche Menschen, Gerichte und Geschichten. Im EXPRESS-Interview spricht er über die TV-Arbeit auch als Therapie.
„Das Leben hat mir eine Backpfeife gegeben“Star-Koch Tim Raue: Aus der Gosse von Kreuzberg in die Welt
Den Deutschen Fernsehpreis gab es am Ende dann doch nicht für Sternekoch Tim Raue (48). Doch das konnte den Stolz auf sein TV-Format „Herr Raue reist! So schmeckt die Welt!“ nicht trüben, das jetzt bald bei RTL plus zu sehen ist. Denn auch in seiner zweiten Staffel (startet exklusiv auf Magenta TV) geht der Berliner wieder auf Entdeckungsreise in die Welt. Zum Start ging es nach Kapstadt, wo der im Kiez in Kreuzberg unter bescheidenen Verhältnissen groß gewordene Raue Demut lernte.
„Die Sendung ist für mich ein Lottogewinn“, sagt Tim Raue. „Es ist wie eine Therapie. Auf Menschen zuzugehen, die Welt zu entdecken, das ist ein Traum für mich.“ Das und vieles mehr erzählte Raue, für die Digital X und den Fernsehpreis nach Köln gekommen, wo er im Café Hallmackenreuther in Kölns Belgischem Viertel zu Gast bei Johannes B. Kerners „Bestbesetzung“ (Stream ebenfalls auf Magenta TV) war und verrät uns auch das Geheimnis eines perfekten Caipiranha!
Tim Raue, für den Deutschen Fernsehpreis und die Digital X sind sie nach Köln gekommen. Reisen Sie auch privat gerne in Städte?
Tim Raue: Nein, nicht wirklich. Im Urlaub will ich zwei Dinge: Insel und warm. Ansonsten treibt mich mein Terminkalender, der ist an 320 Tagen im Jahr voll. Wir leben in Berlin, in Graz und haben ein Haus auf Sizilien. Dort ist alles ganz einfach, das Essen und die Menschen. Ich habe bei ‚Raue reist‘ gelernt: Je weniger die Menschen haben, umso gastfreundlicher sind sie.
Tim Raue: So kam ich ins Fernsehen
Gehört heute ein TV-Format zum guten Koch?
Tim Raue: Der Job in der Küche und im Restaurant ist das eine, das lebe ich voller Leidenschaft. Dann war Tim Mälzer immer an mir dran, ich müsse ins Fernsehen. Ich war damals vier Wochen bei Master Chef, weil die Gage sehr lukrativ war. Das hat uns beim Aufziehen unseres ersten Restaurants geholfen. So ging das los. Man muss sagen: Hat man ein Top-Restaurant, dann ist Fernsehen überschaubar wichtig. Hat man Casual Restaurants – und das sind bei mir sieben oder acht – dann ist ein TV-Format schon ein riesiges Marketinginstrument. Das sieht man an meinen Restaurants auf Mein Schiff 3, 4, 5 und 6. Das Konzept heißt Hanami. Die waren gut besucht. Aber kaum hatte ich TV-Präsenz, gingen die durch die Decke.
Was ist das besondere an „Herr Raue reist!“?
Tim Raue: Das ist echt ein Lottogewinn für mich. Ich stehe am Zenit meiner Restaurantkarriere, die ist endlich, das kann ich nicht bis 65 machen. Und jetzt habe ich eine zweite Karriere gestartet und darf das machen, was für mich menschlich das Allerschönste ist: Reisen, essen, trinken. Ich habe immer Angst gehabt, Menschen kennenzulernen. „Herr Raue reist!“ ist für mich Therapie. Eine der schönsten Geschichten erlebte ich in Spanien: Wir waren in Madrid bei der Schneiderin des Königs eine Jacke kaufen. Und ich habe ihr erzählt, dass ich bei Tim Mälzer bei einer Paella kolossal gescheitert bin. Da sagt sie, mein Nachbar ist Feuerwehrmann und im ganzen Viertel kommen die Leute zusammen, wenn der Paella kocht. Da hat sie ihn angerufen, er hat uns eingeladen. Dann standen wir am Ende in einem Hinterhof in Madrid, haben geredet, ein paar Flaschen Wein aufgemacht und einen fantastischen Abend gehabt. Da ist dann nicht der Koch Raue, sondern der Mensch Tim gefragt und das ist eine Herausforderung.
Funktioniert die Therapie?
Tim Raue: Erstmal ist Therapie für mich etwas Positives. Mein Vater hat fünfmal geheiratet, ich war das Kind aus erster Ehe. Ich bin sehr früh auffällig geworden und in Therapien gegangen. Dort kann man reflektieren. Und das geschieht bei mir auch bei den Aufzeichnungen. Am liebsten ist mir deshalb, dass niemand sagt: Jetzt drehen wir. Ich bin ein Trüffelschwein, ich laufe einfach los. Die ersten Folgen haben wir noch das, was wir auf dem Plan hatten, abgearbeitet. Jetzt machen wir das viel impulsiver.
Tim Raue mit zweiter Staffel auf MagentaTV
Welche Rolle spielt dabei MagentaTV, wo jetzt die zweite Staffel gestartet ist?
Tim Raue: Sie haben mir so viel Vertrauen entgegengebracht, Telekom-TV-Chef Armin Butzen allen voran. Das ist wie bei Lukas Podolski früher: Wenn du dem Poldi Vertrauen gegeben hast, sind Sachen passiert, mit denen keiner gerechnet hat. In Phuket haben wir auf den Feldern die Arbeiter aus Burma getroffen, die in praller Sonne die Ananas ernten. Sie müssen zwei Jeans übereinander tragen, weil ihnen sonst die Pflanzen die Haut wie Rasierklingen zerschneiden würden. Aber da habe ich in eine Ananas gebissen, die keine Kühlkette gesehen hat. Da beißt du rein, der Saft läuft dir das Kinn herunter, da schmeckt eine Ananas wie sonst zehn und du weißt wieder, wie sie schmecken müssten. Das ist eine andere Frucht.
Was hat Sie auf ihren Reisen besonders beeindruckt?
Tim Raue: Das ist schwer zu sagen, von überall nimmt man etwas mit. Speziell waren für mich zwei Orte. Einmal Rio de Janeiro. Mein Rat: Geht überallhin, nach Ipanema, nach Leblon, das ist wunderschön. Geht aber nie zur Copacabana. Das ist ein Dreckloch sondergleichen. Und trinkt in Rio Caipirinha. Wie ihr den perfekten Caipirinha macht? Ich bin dem auf die Spur gegangen. Ihr braucht guten Cachaca. Dann kauft Limetten und lasst die fünf bis sechs Tage in der Küche liegen. Und dazu braunen Rohrzucker. Dann nehmt ihr 6 cl Limettensaft, zwei fette Esslöffel von dem Rohrohrzucker. Und dann noch eine Limette sechsteln und sie mit einem Stößel bearbeiten – vor allem die Haut. Denn da sind die ätherischen Öle drin. Dann noch Crushed Ice, dann ist der Caipirinha perfekt.
Was war das zweite?
Tim Raue: Das war Kapstadt. Dort waren wir in Khayelitsha, dem größten Township. Da gibt’s keine Straßennamen, keinen Strom, jeden Tag geschehen 50 bis 60 Morde. Dort bin ich reingegangen und habe eine Backpfeife vom Leben bekommen. Denn da habe ich gemerkt: Ich muss noch mehr tun. Ich für 15 junge Menschen. Ein Kollege von mir, Luke Dale Roberts, unterstützt dort 15 junge Köche. Und ich durfte für einen Moment daran teilhaben, in dem ich etwas Deutsches für sie gekocht und mich mit ihnen ausgetauscht habe. Wenn ich diesen jungen Menschen etwas raten dürfte, dann ist es Südafrika zu verlassen, denn dort sind die Hindernisse für viele Menschen einfach zu hoch. Auf den Malediven aber, oder auf den Kreuzfahrtschiffen werden händeringend gute Mitarbeiter gesucht. Das Erlebnis Kapstadt hat mir wieder einmal verdeutlicht, dass ich mehr tun muss – und tun möchte. Ich komme aus der Gosse von Kreuzberg. Und dort will ich etwas zurückgeben. Wir haben in Deutschland zu viel Armut, zu viele Unterprivilegierte. Und da will ich weiterhin ran!
Sie waren für den Fernsehpreis nominiert. Was bedeutet ihnen das?
Tim Raue: Wenn das eine Bestätigung dafür ist, dass wir „Herr Raue reist!“ weitermachen können, dann freut mich das. Die Nominierung gilt allen aus meinem Team. Ich bin ein Perfektionist, die Abläufe müssen stimmen und da bin ich auch nicht immer einfach. Dafür achte ich aber auch darauf, dass es ihnen gut geht, sehe, was sie brauchen und sorge am Feierabend für ein kaltes Bier. Dann nehmen sie gerne auch nochmal die Kamera auf die Schulter und entdecken mit mir in einer Nebenstraße eine sensationelle Eisdiele oder ähnliches. Noch einmal: „Herr Raue reist!“ ist für mich der Jackpot – und die dritte Staffel ist schon in Planung. Havanna steht da auf der Liste, mal sehen, was wir dort entdecken!