Über einen Neuanfang nach dem Scheitern der Ampelregierung wollte Louis Klamroth bei „Hart aber fair“ am Montagabend mit seinen Gästen von der CDU, FDP und SPD sprechen. Die Runde endete mit einer Bruchlandung im Sandkasten.
Bruchlandung bei „Hart aber fair“Bei diesem Thema versinkt das Studio im Chaos
War das Statement von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Ende der Ampelkoalition menschlich nachvollziehbar oder doch professionell vorbereitet? Eine Woche nach der Erklärung herrschte darüber „Hart aber fair“ zum Thema „Ampel weg, Probleme bleiben - wie geht ein Neuanfang?“ kaum Einigkeit: „Wenn man nächtelange verhandelt und einer sperrt sich“ dürfe selbst ein Bundeskanzler seine „menschlich tiefe Enttäuschung“ äußern, konnte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch die Aussagen seines Chefs naturgemäß verstehen.
Scholz Leute hätten vermutlich das Wort „Empörung“ auf den Teleprompter geschrieben, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) nahm dem Kanzler die spontane Gefühlsregung hingegen nicht ab. Die stellvertretende CSU-Vorsitzende Dorothee Bär wiederum bezeichnete das „Nachtreten“ auf Ex-Finanzminister Christian Lindner als „ganz kleines Karo, das eines Bundeskanzlers nicht würdig“ wäre.
Wolfgang Kubicki: „Der Kanzler hat die Situation herbeigeführt, er kann sie beenden“
„Vorbereitet, aber dann aus Emotionen heraus gehandelt“, darin sah Soziologe und Podcaster Stefan Schulz keinen Widerspruch - und brachte damit Baer hellauf zum Lachen. Schulz ließ sich nicht beirren: Diese Fragen hätten nichts mit der Situation verloren, wollte er lieber über den „Knackpunkt Schuldenbremse“ sprechen. Die stand an diesem Montag allerdings erst zu späterer Stunde im Fokus - dann, als Schulz bereits das Podium verlassen hatte.
Zuvor durften sich die anwesenden Politiker noch über ein anderes Thema in die Haare kriegen: Wann wird die Vertrauensfrage gestellt, und vor allem von wem? „Der Kanzler hat die Situation herbeigeführt, er kann sie beenden“, begab sich Kubicki sichtlich gerne in das eröffnete Schlachtfeld. Scholz solle innerhalb von 48 Stunden handeln und schnell Neuwahlen organisieren. Rückendeckung bekam er - wenig überraschend - von seiner Sitznachbarin Baer: „Die Salami-Taktik ist für unser Land unter aller Kanone“, übte sie sich in kreativem Wortwitz. „Alle stehen bereit“, meinte sie und berief sich darauf, dass unter Gerhard Schröder Neuwahlen schneller organisiert wurden.
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Innerhalb von vier Monaten und einer Woche nämlich, wusste es Klamroth ganz genau. „Genau das war das Vorbild“, betonte Miersch und warnte, dass die von Merz genannten Termine nicht einzuhalten wären. „Merz ist noch nicht mal nominiert“, wies er hin, worauf Kubicki konterte: „Ist Scholz schon nominiert?“ Statt darauf zu antworten, lenkte Miersch ein: Es gäbe konstruktive Gespräche mit den Fraktionschefs, hoffte er auf eine schnelle Klarheit zum Termin. Denn: „Wenn diese Wahl schiefgeht, werden Extremisten die Gelegenheit nutzen, diese Wahl zu delegitimieren“, warnte er vor US-amerikanischen Verhältnissen.
Während Baer und Kubicki von diesen Gesprächen nichts wussten (Miersch zum FDP-Politiker: „Sie sind nicht mehr ganz involviert“), kam von anderer Stelle die Bestätigung: „Gerhard Schröder hätte eingesehen, dass der späte Termin nicht durchgeht“, ertappte sich Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur von „Welt“ und „Welt am Sonntag“, beim Freud'schen Versprecher. Scholz könnte bei der Regierungserklärung am Mittwoch eine Neuwahl vor Weihnachten ankündigen.
Unternehmerin: „Unsicherheit killt jede Art von Investition“
„Es ist der schlecht möglichste Zeitpunkt, eine Regierung zu haben, die nicht handlungsfähig ist“ - kaum neu in die Gästerunde gekommen, ging Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, gleich ans Eingemachte. Für die angeschlagene Wirtschaft wäre ein sechsmonatiger Stillstand - von Neuwahlen bis zum Finden einer neuen Regierung - schädlich, so Fratzscher.
Er forderte Entscheidungen zum Haushalt 2025, zu Kindergeld, Kinderzuschlägen und Investitionen in Unternehmen, um Orientierung und Sicherheit zu geben. Denn: „Wirtschaft ist zu 80 Prozent Psychologie“. Würde man den Politikern nicht vertrauen, sparen Private, und Unternehmen investieren nicht.
„Unsicherheit killt jede Art von Investition“, bestätigte Christina Böhm, die Geschäftsführerin eines 30-köpfigen Malereibetriebs, und führte diese aber nicht nur auf den Bruch der Koalition zurück. Problemfelder wie fehlende Nachfolge, hohe Kosten, Fachkräftemangel, Bürokratie wären in den letzten Jahren nicht gelöst worden: „Das macht Unternehmertum nicht besonders sexy.“
Die deutsche Wirtschaft wäre „Opfer des eigenen Erfolgs“ geworden, zog Fratzscher auch Unternehmer zur Verantwortung. Reformen in Richtung Digitalisierung und grüne Energie hätte man verschleppt. „Es wird eine Zeitlang dauern, bis das aufgeholt ist“, meinte er. Das gelte auch für Themen wie Bürokratie. Allerdings könnte die Politik sehr wohl aktiv werden. „Steuerliche Entlastung kommt sofort an“, sagte er und plädierte dafür, im Bundestag gewisse Gesetzesvorgaben zu entscheiden.
„Wir haben 20 Sitzungstage, in denen man einiges machen kann“, fühlte sich Miersch bestätigt. „Es wäre der Moment, mit Sandkastenspielen aufzuhören und zu gucken, welche Gesetze sind schon fertig, was kriegen wir noch durch“, versuchte er, die Union wie FDP ins Boot zu holen. Vergeblich. „Stellen Sie die Vertrauensfrage, dann können wir alles machen“, waren sich Kubicki und Baer einig. Den Sandkasten verlassen, das wollte in dieser Runde offenbar keiner.
Marcel Fratzscher: „Investieren, um dann leistungsfähiger zu bleiben“
„Schuldenbremse wird die zentrale Frage“, brachte Klamroth endlich diesen „Knackpunkt“ ins Spiel. Als Wahlkampfslogan wäre die Reform der Schuldenbremse möglich. Kampagne könnte damit nicht gemacht werden, denn die „Leute finden die Schuldenbremse richtig“, verneinte Alexander diese These.
Man dürfte nicht so tun, als gäbe es den Rest der Welt nicht - bezog sich Fratzscher auf die Wahl von US-Präsidenten Donald Trump. Der hatte Strafzölle von 20 Prozent, weniger Hilfen für internationale Institutionen wie die NATO sowie die Ukraine angekündigt. „Das trifft offene Volkswirtschaften wie Deutschland härter“, so Fratzscher, wenn die Exporte zurückgingen, könnten Preise steigen, ein Handelskonflikt und zunehmende Inflation wären vorprogrammiert. „Für mich ist das eine Notsituation“, betonte er. In dieser müsste man die Schuldenbremse wie in der Verfassung vorgesehen nutzen und in Bildung und Infrastruktur „investieren, um dann leistungsfähiger zu bleiben.“
Miersch kam diese Analyse gerade recht: Genau deshalb konnte die Ampel nicht weitergehen, meinte er. Bei der Neuwahl gehe es auch um finanzielle Handlungsfähigkeit, denn „augenblicklich strangulieren wir uns“, zeichnete er das Schreckensszenario weiter. Dass in den letzten fünf Minuten alle Gäste wild durcheinander redeten, war für Klamroth Bestätigung genug: „Ich habe doch gesagt, es wird Wahlkampf werden!“ Er meinte damit die Schuldenbremse, was sonst. (tsch)