Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel wurschtelten sich am Montagabend durch ihre erste gemeinsame Live-Show bei ProSieben. In 120 Minuten führte ihre Reise vom Biermaßkrug-Stemmen mit James Blunt zu einer Flutopferfamilie aus dem Ahrtal. Polit-Gast Wolfgang Kubicki tat, wozu er eingeladen wurde: Er polterte.
„Durch die Bank nicht erste Wahl“Kubicki poltert in ProSieben-Show gegen Bundesminister
Köln. „Länder, Menschen, Politik, Wissenschaft, Sport, Gesellschaft, Kunst, Zeitgeist. Wir schöpfen von den besten Geschichten das Allerbeste ab und bringen sie nach Hause“, sagte Linda Zervakis zum Auftakt über jene Sendung, die sie von nun an jeden Montag zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr mit Matthias Opdenhövel moderieren soll.
Öffentlich-rechtliche Zuschauer, die sich in das „stern TV“- ähnliche Format verirrt hatten, dürften sich gewundert haben: Und das ist schon alles? Okay, selbst bei Maischberger wird mittlerweile Themen-Hopping betrieben, aber die Flucht von Aryana Sayeed, größter weiblicher Popstar Afghanistans, aus dem von den Taliban eroberten Kabul muss man erst mal mit Hubertus Heil zusammenbringen, der sich in einem Taxi mit einem DJ durch die Corona-Depression duzt.
Und James Blunt zum Biermaßkrug-Stemmen gegen Matthias Opdenhövel zu bewegen, um danach einer Familie zuzuhören, die in der Flutkatastrophe Mitte Juli fast alles verloren hat, um ihr nach Blunts neuer Hit-Single ein neues rosa Kinderzimmer zu schenken - natürlich Ikea-Showroom-mäßig im Studio aufgebaut - auch darauf muss man erst mal kommen.
„Zervakis & Opdenhövel“: Afghanischer Popstar flüchtete aus Kabul
Erstes Thema in der Auftaktsendung von „Zervakis & Opdenhövel“: Musikerin Aryana Sayeed, 36, die im „alten“ Afghanistan jeder als Sängerin, Moderatorin und Jurorin aus DSDS- und „The Voice“-ähnlichen Shows kennt, konnte mit ihrem Verlobten in einer amerikanischen Militärmaschine aus der Stadt fliehen. Fünf radikal-islamische Geistliche hatten da schon eine Fatwa, also ein Todesurteil gegen die Frau ausgesprochen.
Wäre das verkleidete Paar auf dem Weg zum Flughafen von Taliban-Schergen erkannt worden, hätte diese Flucht bitter enden können. Auch wegen der Anwesenheit der Journalistin und Frauenrechtlerin Düzen Tekkal wurde die Diskussion über die neue Situation der Frauen in Afghanistan durchaus deutlich: „Das Leben einer selbstbestimmten Frau ist nicht mehr möglich. Die Frauen werden unsichtbar gemacht. Wir sind wieder an jenem Punkt, an dem wir vor 20 Jahren schon waren“, ließen die beiden Studiogäste keinen Zweifel an der Total-Unterdrückung ihres Geschlechts durch die neuen Machthaber.
Die vielleicht beste Idee der ersten Show folgte mit Thema zwei: FDP-„Klartext“-Politiker Wolfgang Kubicki und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) traten - jeder für sich - zum „kleinsten Town Hall Meeting der Welt“ (Opdenhövel) an und empfingen von der Redaktion ausgesuchte Überraschungs-Gäste, die während der Taxifahrt durch Berlin zustiegen und Fragen stellten. Dabei haute Kubicki, immerhin FDP-Vize, ein paar Merksätze raus: „Das ist ja das Bedauerliche, dass unser politisches Personal - durch die Bank mittlerweile - nicht mehr den Eindruck vermittelt, dass es die erste Wahl ist.“
Kubicki: „Kramp-Karrenbauer hat die Bundeswehr hingerichtet“
Vor allem schoss er gegen das Ministerpersonal der großen Koalition: „Andi Scheuer beispielsweise, der verballert mal kurz 600 Millionen Euro, und die Konsequenz ist: Tut mir leid, ich hab's nicht besser gewusst.“ Kubicki, nun in Fahrt: „Kramp-Karrenbauer hat die Bundeswehr hingerichtet, von der Leyen vorher auch schon. Der Außenminister ist der schlechteste ... es tut mir leid für die SPD, die haben deutlich bessere. Schade, dass Sigmar Gabriel nicht mehr da ist.“
Wegen eines solchen Schlagzeílen-Stakkatos lädt man Kubicki in TV-Shows ein - und auch hier hat der Mann geliefert. Doch auch die SPD darf man bekanntlich nicht mehr unterschätzen. Auch der sonst eher steif wirkende Hubertus Heil schlug sich im Taxi gut. Als er sich mit einem angegrauten DJ darauf geeinigt hatte, dass man sich duzt, erklärte der SPD-Mann ihm und ein paar jungen Leuten, warum ein soziales Bürgergeld besser ist als ein bedingungsloses Grundeinkommen. Arbeit, so Heil, wird es auch in Zukunft geben. Nur eben andere als heute.
„Zervakis & Opdenhövel“: Fremdschäm-Moment mi James Blunt
Es folgte der peinlichste Akt des Abends. Der englische Hitsänger James Blunt wurde eingeladen - zum Singen - aber vorher musste er als Pubbesitzer an einem sinnfreien Bier-Tasting gegen Zervakis und im Maßbierkrug-Stemmen gegen Opdenhövel antreten. Schlimme deutsche Fremdschäm-Momente, die an dunkelste Gottschalk-Wetten im ZDF mit irritierten Weltstars erinnerten. Nur leider ganz ohne Gottschalksche Bonmot-Sprüche, denn Zervakis und - leider auch - Opdenhövel blieben bei diesem als Unterhaltungs-Strecke gedachten Part blass.
Im letzten Teil der Sendung war dann eine Flutopfer-Familie aus dem Ahrtal zu Gast. Hier funktionierte der Mix aus Politik und Boulevard besser. Verena und Jens Hildebrandt, Eltern der vierjährigen Marie, erzählten nach einem Filmbeitrag über die Katastrophe anschaulich und detailliert über den Ablauf ihrer Horrornacht auf den 15. Juli, über persönliche Verluste sowie selbst organisierte Hilfe im schwer von der Katastrophe getroffenen Ahrtal.
Dass ihnen am Ende, nachdem James Blunt endlich seinen Hit singen durfte, noch ein neues rosafarbenes Kinderzimmer im Studio aufgebaut wurde, über das sie sich freuen mussten - nun, an solche Szene wird man sich womöglich gewöhnen müssen, wenn Zervakis und Opdenhövel ab sofort jeden Montag das gesamte aktuelle Weltgeschehen „live“ in ein kleines ProSieben-Studio pressen wollen. (tsch)