Proteste, Streiks, Rücktritte: Im Frauenfußball rumort es gewaltig. Es geht vor allem um eines: Wertschätzung.
Frauenfußball-KolumneZwischen Streiks und Protest – Krisenstimmung trotz Aufschwung
Der Fußball der Frauen wird vonseiten des sportbegeisterten Publikums immer weiter aufgewertet. Zeitgleich fehlt es jedoch noch immer vielen Spielerinnen an Wertschätzung durch den eigenen Verband. Nun regt sich großer Widerstand in der internationalen Sportwelt.
Den Anfang machte in diesem Jahr die kanadische Frauenfußball-Nationalmannschaft. Nachdem ihr Verband unter anderem drastische Budget-Kürzungen für das Team beschlossen hatte, kündigten die Spielerinnen einen Streik an. In wenigen Monaten beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen (20. Juli bis 20. August 2023) und die Kanadierinnen sehen ihre Vorbereitung auf das große Turnier in ernsthafter Gefahr.
Frankreich-Kapitänin tritt frustriert zurück
Obwohl die Nationalmannschaft große internationale Erfolge vorweisen kann, wie beispielsweise die olympische Goldmedaille bei den Spielen 2021 in Tokio, behandelt der kanadische Fußball-Verband die Spielerinnen wie Athletinnen zweiter Klasse. Der angekündigte Streik wurde mit der Androhung rechtlicher Klagen unterbunden.
Auch der französische Fußballverband bekam jüngst den Unmut seiner Spielerinnen zu spüren. Vergangene Woche trat die Kapitänin des Teams, Wendie Renard (32), zurück. In einem aufwühlenden Statement schrieb sie: „Mein Gesicht mag den Schmerz verdecken, aber das Herz leidet … und ich habe keine Lust mehr zu leiden.“ Mit Marie-Antoinette Katoto (24) und Kadidiatou Diani (27) verließen nach ihr zwei weitere Star-Spielerinnen die Mannschaft.
Ihr Protest richtet sich gegen die umstrittene Trainerin des Teams, Corinne Diacre (48). Ihr wird ein strenger Führungsstil vorgeworfen, unter dem die Spielerinnen vor allem psychisch leiden. Mit anderen Größen des französischen Frauenfußballs, wie Eugenie Le Sommer (33) und Amandine Henry (33) ist Diacre längst zerstritten. Aufgrund persönlicher Differenzen hatte die Trainerin sie nicht mehr nominiert, was auch dem sportlichen Erfolg des Teams schadete.
In Spanien traten im vergangenen Jahr 15 hochkarätige Spielerinnen aus der Nationalmannschaft zurück. „Die 15“, wie sie in den Medien genannt werden, protestieren, wie die Französinnen, gegen ihren Trainer, Jorge Vilda (41). Ähnlich wie Diacre soll er Spielerinnen psychisch unter Druck gesetzt und für nicht aushaltbare Zustände im Lager der Auswahl gesorgt haben.
Alina Ruprecht ist freie Autorin bei EXPRESS.de und kümmert sich in ihren Kolumnen um das Thema Frauenfußball. Sie ist Mitglied von FRÜF – Frauen reden über Fußball.
Kürzlich kritisierte auch Christiane Endler (31), Torhüterin bei Olympique Lyon und der Frauen-Nationalmannschaft Chiles, dass der chilenische Fußballverband das Team beim Versuch, sich für die WM 2023 zu qualifizieren, nicht ausreichend unterstützt hätte.
All diese Beispiele haben eines gemeinsam: auf die Worte der Spielerinnen folgten keine oder nur reichlich verspätete Taten der Verantwortlichen.
Die Fußballverbände Spaniens und Frankreichs halten weiterhin an den umstrittenen Trainer-Personalien fest. Auch gegen die angeprangerten Missstände gehen sie nicht vor. Dass am Dienstag (28. Februar 2023) neben dem Präsidenten des kanadischen Fußballverbands auch der umstrittene Franzose Noel Le Graet (81) seinen Rückritt verkündete, hatte mit den Problemen bei der Frauen-Auswahl höchstens am Rande zu tun. Ohnehin reichen die Missstände, denen sich die Spielerinnen tagtäglich ausgesetzt sehen, viel tiefer und werden nicht allein durch die Rücktritte von Verantwortlichen gelöst.
Viele der großen Errungenschaften des Frauenfußballs wurde von Spielerinnen in einzelnen Ländern selbst angestoßen. Teils über Jahre mussten sie für Dinge kämpfen, die im Fußball der Männer längst selbstverständlich sind. Vonseiten der Verbände wurden nur selten Veränderungen angestoßen und wenn, dann nur auf Druck der Frauen-Teams. Der Kampf des US-amerikanischen Frauen-Nationalteams für Equal pay zog sich beispielsweise über viele Jahre und das, obwohl das Team zuletzt zweimal nacheinander die WM gewann (2015 und 2019).Nehmen Sie an der EXPRESS.de-Umfrage teil:
Viele dieser Kämpfe laufen eher im Stillen ab. Umso bemerkenswerter ist es, wie deutlich sich jetzt Wendie Renard und andere Spielerinnen in der Öffentlichkeit äußern. Durch die rasante Entwicklung des Fußballs der Frauen in den vergangenen Monaten sind sie nun an einem Punkt, an dem sie die fehlende Unterstützung und ungleiche Behandlung durch die Fußballverbände nicht länger hinnehmen wollen.
Mit der Beliebtheit des Sports ist auch das Selbstbewusstsein seiner Akteurinnen gestiegen. Fußballerinnen sind und waren zu keinem Zeitpunkt Athletinnen zweiter Klasse. Die Verantwortlichen müssen jetzt ihre veralteten Denkmuster kritisch hinterfragen und mit der Zeit gehen. Gleichberechtigung im Sport sollte in jeder Hinsicht, sei es in Bezug auf Anerkennung oder finanzielle Förderung, eine Selbstverständlichkeit sein.
Die Fälle der Nationalmannschaften aus Kanada, Frankreich, Spanien und anderen Ländern zeigen, dass es trotz des aktuellen Aufschwungs noch viele Herausforderungen für den Fußball der Frauen gibt. Dass Verbände ihren Frauen-Teams die geforderte Unterstützung nur wenige Monate vor der historischen WM verweigern, ist absolut inakzeptabel. Jetzt gilt es, den Spielerinnen und ihrem Protest Gehör zu schenken und ihre Anliegen ernst zu nehmen. Nur so können langfristig Veränderungen im Fußball der Frauen angestoßen werden.