Berater Struth erzählt HintergründeMorddrohungen nach dem Götze-Wechsel zu Bayern

Als Mario Götze sich 2013 entschied, von Borussia Dortmund zum FC Bayern zu wechseln, wühlte dieser Transfer die Liga und die Beteiligten sehr auf.

von Marcel Schwamborn  (msw)

Köln. Es war einer der meist diskutierten Transfers des vergangenen Jahrzehnts. 2013 wechselte Mario Götze (29) für 37 Millionen Euro von Borussia Dortmund zum FC Bayern München. Die Fäden zog Spielerberater Volker Struth (55). In seiner Biografie „Meine Spielzüge“ verrät der Kölner, wie emotional es rund um den Wechsel wurde – und wie gefährlich für seine Familie.

„Volker“, sagte Matthias Sammer, „könntest du dir vorstellen, dass wir uns mal zusammensetzen? Ich würde mich mal gerne über Mario mit dir unterhalten.“ Sammer arbeitete als Sportvorstand für Bayern München. Ich dachte, ich wäre dort Persona non grata. Die Faustregel des Geschäfts besagt, dass ein Berater um die zehn Prozent des Spielergehalts als Provision erhält. Aber das ist nur ein Richtwert. Es gibt unzählige Varianten.

Bei Marios letztem Vertrag in Dortmund hatten wir nicht nur für eine festgeschriebene Ablösesumme von 37 Millionen Euro gekämpft. Wir hatten uns auch zusichern lassen, dass bei einem tatsächlichen Vereinswechsel fünf Prozent dieser Ablösesumme an Mario gingen. Und weitere fünf Prozent SportsTotal zugutekamen. Hinzu kam vom FC Bayern die übliche Provision für den Vertragsabschluss. Da würden wir als Agentur, grob überschlagen, mit über drei Millionen Euro nach Hause gehen.

Volker Struth: Götze-Transfer brachte der Agentur drei Millionen Euro

Einen guten Vertrag in Händen zu halten, die enormen Zahlen schwarz auf weiß zu lesen hatte mir oft einen Kick gegeben. 400 000 Euro im Monat, im Monat! Das hatte ich für meinen Spieler erreicht. Für Mario würde ich in München mehr als das Doppelte herausholen, nahm ich mir vor. Er würde zu den drei Topverdienern im deutschen Fußball gehören. Also, Volker, jetzt ruf den Sportdirektor von Borussia Dortmund an, bring den Deal zum Abschluss, und dann mach verdammt noch mal einen Luftsprung. Ich versuchte es.

Michael Zorc meldete sich sachlich, freundlich; offensichtlich völlig unvorbereitet. Es war März 2013 geworden. Nichts war bislang durchgesickert. „Michael, ich muss dir etwas sagen. Mario hat sich dafür entschieden, im Sommer nach München zu wechseln. Wir werden die Ausstiegsklausel ziehen.“

Volker Struth lehnt an einer alten Stange.

Volker Struth in der Siedlung in Pulheim, in der er aufgewachsen ist.

Nichts. Borussia Dortmunds Sportdirektor sagte einfach nichts. Die Stille verweilte. „Ich…“, begann Zorc, „ich muss jetzt erst einmal schlucken. Lass uns in fünf Minuten wieder telefonieren.“ Fünf Minuten später rief er wieder an. Er warf mir alle Beleidigungen an den Kopf, die die deutsche Sprache hervorgebracht hat, eine nach der anderen, minutenlang. Ich sagte nur einen Satz. „Ich kann deinen Zorn verstehen. Aber ich kann es nicht ändern.“

Mario Götze war die Symbolfigur einer Dortmunder Wiederauferstehung. Ein Junge der Stadt, dessen Spiel von Unbekümmertheit und Fröhlichkeit getragen wurde, stürmte voran, als die Borussia 15 Jahre nach ihrem Champions-League-Sieg wieder eine internationale Klassemannschaft hervorbrachte. Michael Zorc, jeder in Dortmund, musste die Abwerbung als persönlichen Angriff des FC Bayern verstehen: Die Bayern wollten sie wieder kleinkriegen.

Volker Struth: Mario Götze wollte wegen Pep Guardiola zu den Bayern

Ich glaube, dass Mario Götze 2013 nicht zum FC Bayern gewollt hätte, wäre nicht Trainer Pep Guardiola gewesen. Aber ich weiß, dass diese Unterscheidung für die Dortmunder auch keine Rolle spielte. „Ich möchte das einmal erleben, für Guardiola zu spielen. Das bedeutet nicht, dass mich irgendetwas in Dortmund stört. Ich weiß bloß, das ist eine Chance, die nie mehr wiederkommt und die ich nutzen will.“ In solch einer Stresssituation hatte ich Mario außerhalb des Fußballplatzes noch nie so selbstsicher, so emotional im Gleichgewicht erlebt. Ich staunte. Ich war beeindruckt.

Michael Zorcs Laune in Bezug auf mich wurde nicht besser. Es war Dortmunds Geschäftsführer Aki Watzke, der die Ruhe bewahrte. Nach kurzen, hektischen Überlegungen bestätigte Borussia Dortmund noch am Morgen des 23. April den Wechsel offiziell in einer Pressemitteilung. Darin erklärte Watzke: „Wir sind natürlich über alle Maßen enttäuscht, betonen aber, dass sich sowohl Mario als auch sein Berater absolut vertragskonform verhalten haben.“

Reiner Calmund warnte Volker Struth nach Götze-Transfer

An mich hatte ich in der Aufregung noch gar nicht gedacht. Irgendwann an dem Morgen rief Calli an, es rief alle Welt an, aber Calli sagte: „Hör mal, Jung, da hast du ein schönes Fass aufgemacht.“

„Ich weiß, Calli.“

Das Cover der Biografie von Volker Struth.

„Meine Spielzüge“ heißt die Biografie vom Kölner Spielerberater Volker Struth. 336 Seiten, 22 Euro.

„Mir erzählen sogar grundvernünftige Menschen: `Wenn ich den Struth erwische, haue ich ihm in die Fresse.`“ In Fanforen zur Borussia wurde ich beschimpft, bei SportsTotal gingen E-Mails ein, man würde mit 4000 Mann vor meiner Tür stehen. Man würde mich umbringen. Der böse Berater, der den unschuldigen Spieler dazu verführt, einen Verein zu verlassen, ist ein Klassiker der Fußball-Erzählungen. Es ist leicht nachzuvollziehen, wie diese Legende entstand.

Wenn Vereine einen Spieler wie Götze an die Konkurrenz verlieren, sind sie unter Rechtfertigungsdruck. Den Spieler, den man bis zu diesem Moment als Ikone überhöht hat, plötzlich als Judas hinzustellen, ist nicht so einfach. Einzugestehen, der andere Verein hatte bessere Argumente, sähe erst recht dumm aus. Also hält am effektivsten der Berater als Prügelknabe her. Dadurch, dass „der Berater“ meistens in den Medien anonym bleibt, lässt sich noch leichter über ihn schimpfen.

Ich erkundigte mich bei der Polizei, wie ernst ich die Bedrohung nehmen sollte. Falls es im Rahmen meiner finanziellen Möglichkeiten läge, empfehle man mir, einen privaten Sicherheitsdienst zu engagieren, hieß es. Nachts vor unserem neuen Haus in Junkersdorf saßen fortan zwei Männer in ihrem Auto. Meiner Frau und den Kindern sagte ich nichts.