Horror-Halbzeit, Wechsel, Klub-WMDie wichtigsten Fragen nach dem irren 3:3 gegen Italien

Das 3:3 im Viertelfinal-Rückspiel der Nations League zwischen Deutschland und Italien bot Spektakel pur. Nach dem wilden Kick in Dortmund drängten sich einige Fragen an Julian Nagelsmann auf.

von Marcel Schwamborn  (msw)

Das 1025. Länderspiel der DFB-Geschichte – es war eins, was länger in Erinnerung bleiben wird. Was Deutschland am Sonntagabend (23. März 2025) eine Halbzeit lang gegen Italien präsentierte, war quasi Fußball in Perfektion.

Doch was dann nach der umjubelten 3:0-Halbzeitführung passierte, war auch ein perfekter Beleg dafür, was im Fußball alles möglich ist, wenn eine Mannschaft plötzlich den Faden verliert und die andere nichts mehr zu verlieren hat.

Julian Nagelsmann: „Haben nach der Pause zu viel Freestyle gespielt“

Am Ende erlöste der Abpfiff die 64.762 Fans im Dortmunder Stadion. Das 3:3 reichte für das Erreichen der Nations-League-Endrunde. Das verrückte Duell lieferte jede Menge Gesprächsstoff. Nicht nur über das irre 2:0 mit dem schnell schaltenden Balljungen wurde bis in die Nacht diskutiert. EXPRESS.de klärt die wichtigsten Fragen.

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Wie sind die zwei Gesichter der deutschen Mannschaft zu erklären?

18:3-Torschüsse, fast perfekte Passbilanz, hervorragendes Gegenpressing, Spielwitz, Dominanz. „Die erste Halbzeit war sehr beeindruckend, die beste meiner Amtszeit“, schwärmte Julian Nagelsmann (37). „Ein Fußballspiel ist zwar nie perfekt, es war aber unfassbar ansehnlicher Fußball.“ Doch mit Anpfiff der zweiten Halbzeit wendete sich das Blatt.

Das deutsche Team wirkte fahrig, investierte nicht mehr so viel und baute die Italiener mit eigenen Fehlern auf. „Der große Unterschied war, dass wir in der zweiten Halbzeit fast nur noch nach hinten gespielt haben und fast nur noch durch die Mitte. Es lag nicht nur an dem Fehlpass vor dem ersten Gegentor. Es war zu viel Freestyle. Wenn du die Struktur verlierst, dann tut ein Fehlpass noch viel mehr weh. Wenn es länger 3:0 steht, dann kapituliert der Gegner. So kippt das Momentum“, analysierte der Bundestrainer.

Italiens Giacomo Raspadori erzielt per Elfmeter gegen Deutschlands Torhüter Oliver Baumann (vorn) das Tor zum 3:3.

Italiens Giacomo Raspadori erzielte per Elfmeter noch das 3:3 gegen Oliver Baumann. Doch wenige Minuten später war die Partie dann beendet.

Da der Systemausfall im zweiten Durchgang „nur“ zum 3:3 führte und eine Verlängerung erspart blieb, konnten alle erleichtert durchatmen. „Vielleicht ist es gar nicht so schlecht“, sinnierte Sportdirektor Rudi Völler, „dass man weiß, man darf nicht auch nur ein paar Prozent nachlassen.“

Warum hat Nagelsmann so früh mit Angelo Stiller und Leon Goretzka zwei wichtige Mittelfeld-Akteure ausgewechselt?

Im ersten Moment hatten viele Fans den Schuldigen für das Kippen der Partie schnell ausgemacht. Nagelsmann habe sich mit seinen Wechseln vercoacht und das Team noch mehr verunsichert, war die verbreitete Meinung.

Der verteidigte sich nach der Begegnung. „Leon hatte Oberschenkelprobleme. Es war klar, dass er nur bis zur 60. Minute spielen kann. Wir können ja gerne mal Vincent Kompany fragen, wie er das gesehen hätte, wenn ich ihn durchgejagt und er jetzt einen Faserriss hätte“, sagte er energisch.

Bundestrainer Julian Nagelsmann (r.) gibt Deutschlands Leon Goretzka (l.) nach dessen Auswechslung die Hand.

In der 62. Minute nahm Julian Nagelsmann (r.) Leon Goretzka vom Feld. Danach kippte das Spiel endgültig.

Beim Stuttgarter hatte der Bundestrainer andere Gedanken. „Angelo hatte eine Gelbe Karte, es stand 3:1. Warum soll ich da ins Risiko gehen, dass wir möglicherweise in Unterzahl weiterspielen müssen, wenn ihm ein Ding unterläuft? Wenn das Spiel Spitz auf Knopf gestanden wäre oder wir ein Tor gebraucht hätten, hätte ich ihn nicht ausgewechselt.“

Auch Antonio Rüdiger ging in der 77. Minute vom Feld, weil er zuletzt immer wieder mal mit Patellasehnenproblemen zu kämpfen hatte. Auch da wollte der Coach kein Risiko eingehen und verhalf so Yann Aurel Bisseck zu seinem Debüt.

Wie wird nun mit dem Final Four und den anderen Vereinswettbewerben verfahren?

Am 31. Mai steigt in München das Champions-League-Finale. Da unter anderem die Bayern, Dortmund, Real Madrid, Inter Mailand, der FC Barcelona und der FC Arsenal noch im Rennen sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Nationalspieler um den Titel in der Königsklasse spielen.

Am Tag vor dem Endspiel will die Nationalmannschaft aber schon das Quartier in Herzogenaurach beziehen. Die Final-Spieler würden also erst verspätet und somit unmittelbar vor dem Halbfinale gegen Portugal (4. Juni, 20.45 Uhr) anreisen.

Deutschlands Jamal Musiala (r.) jubelt nach seinem Tor zum 2:0 mit Vorlagengeber Joshua Kimmich.

Joshua Kimmich (l.) und Jamal Musiala stehen vor einem harten Sommer: Champions League, Nations League und Club-WM stehen für die Stars an.

Die nächste Herausforderung stellt die erstmals im XXL-Formal mit 32 Mannschaften stattfindende Klub-WM dar. Am 8. Juni steigen Finale und Spiel um Platz drei in der Nations League, vom 15. Juni bis 13. Juli findet das Vereinsturnier in den USA statt.

Die Münchner bestreiten ihr erstes Gruppenspiel am 15. Juni in Cincinnati gegen Auckland City, die Abreise in die USA erfolgt schon mehrere Tage zuvor, auch wegen der Anpassung an Klima und Zeitumstellung.

„Die Klub-WM ist eine brutale Belastung. Mehr sage ich dazu nicht“, sagte Nagelsmann am Sonntag angesäuert. Dennoch will er auf keinen Akteur beim Final Four verzichten. „Bei einem Turnier kann man keine Rücksicht nehmen“. Die Vereinstrainer wüssten, dass er keiner sei, „der die Scheuklappen unten hat“ und auf die Gesundheit der Spieler keine Rücksicht nehme. „Aber das Turnier werden die Spieler auch gerne spielen wollen, weil sie es sich erarbeitet haben“.

Welche Erkenntnisse haben die zwei Länderspiele gebracht?

Die beiden Duelle gegen Italien brachten der Nationalmannschaft mehrere Lehren. Man kann nach einem Rückstand zurückschlagen, wie beim 2:1 im Hinspiel in Mailand. Das Team kann berauschenden Fußball spielen, wie in der ersten Hälfte des Rückspiels. Aber selbst bei einem 3:0 ist das Spiel noch nicht vorbei.

Deutschlands Tim Kleindienst (r) erzielt per Kopfball gegen Italiens Torhüter Gianluigi Donnarumma (l) das Tor zum 3:0.

Ein echter Strafraumstürmer: Tim Kleindienst (r.) erzielte gegen Italien sein viertes Länderspieltor im sechsten Spiel.

Im Vorfeld des Doppelpacks wurde viel über die Ausfälle von Florian Wirtz, Kai Havertz, Niclas Füllkrug oder Marc-André ter Stegen gesprochen. Nach den Partien hat Nagelsmann fast ein halbes Dutzend große Gewinner. Torwart Oliver Baumann konnte trotz vier Gegentoren glänzen.

Joshua Kimmich trat als echter Kapitän auf und war an allen fünf Toren beteiligt. Rückkehrer Leon Goretzka ist direkt ein Fixpunkt. Dortmunds Nico Schlotterbeck hat über weite Strecken perfekte Eigenwerbung betrieben. Mit Tim Kleindienst hat die DFB-Elf einen echten Strafraumstürmer, der nun vier Treffer in sechs Länderspielen auf dem Konto hat.