Terror in KölnEXPRESS-Seite war Beweismittel gegen Zschäpe: Kommt sie jemals wieder frei?

Die damals als Mittäterin bei den Verbrechen der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) angeklagte Beate Zschäpe sitzt am 20. Juli 2016 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München.

Die damals als Mittäterin bei den Verbrechen der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) angeklagte Beate Zschäpe sitzt am 20. Juli 2016 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München.

Der Nagelbombenanschlag auf der Keupstraße in Köln-Mülheim ereignete sich am 9. Juni 2004. EXPRESS lieferte damals ein besonderes Beweisstück.

von Ayhan Demirci  (ade)

Am späten Nachmittag des 9. Dezember 2014 bekam ich aus München einen Anruf eines kollegialen Reporters, der den NSU-Prozess verfolgte. Das dürfte mich interessieren, ließ er mich wissen.

So war es, natürlich. Es folgte der Gang ins Archiv, um den betreffenden Bericht zu finden, um den es im bereits lange andauernden Prozess plötzlich und überraschenderweise ging. Dann folgte im Flur eine kurze Absprache mit dem diensthabenden Chefredakteur, der keinen Moment zögerte: Der EXPRESS hatte für den nächsten Tag eine neue Schlagzeile.

Vor 20 Jahren – Anschlag auf der Kölner Keupstraße

Fast auf den Tag genau 20 Jahre nach dem Nagelbombenanschlag auf der Kölner Keupstraße (9. Juni 2004) erscheint es bis heute gespenstisch: Die Nazi-Terroristin Beate Zschäpe, Komplizin der Serienmörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, am Ende des Prozesses zu lebenslanger Haft verurteilt, hatte offenbar Zeitungsberichte über die furchtbaren und skrupellosen Taten gesammelt. Sie hatte sie sortiert und aufbewahrt wie Trophäen. Ein Archiv des Grauens.

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Doch: Die Angeklagte, damals 39, äußerte sich im Münchner Landgericht nicht. Die Bundesanwaltschaft aber war sicher: Die aus Jena stammende Rechtsextremistin war Mitglied des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, sie war bei der Mordserie des NSU (zehn Tote, über 20 Verletzte) Komplizin, Mittäterin und die organisierende Hand neben Böhnhardt und Mundlos. Da Zschäpe es vorzog, zu schweigen, erlangte jedes Indiz ihrer Verstrickung eine Bedeutung.

Der Auszug einer Zeitung

So berichtete der EXPRESS am 10. Dezember 2014.

So an jenem 168. Verhandlungstag, als es um das Beweismittel mit der Nr. 2.12.377.10 ging. Hinter der Zahlenkolonne verbarg sich der eingangs erwähnte EXPRESS-Artikel über den Nagelbombenanschlag (siehe Foto).

Der Zeitungsausschnitt aus Köln war in der Brandruine des Zwickauer NSU-Hauses, das Zschäpe abgefackelt hatte, gefunden worden. Etliche weitere EXPRESS-Artikel, aber auch Berichte anderer Zeitungen, viele vom „Kölner Stadt-Anzeiger“, aber auch von der „Dortmunder Zeitung“, der „Süddeutschen“, der „Münchner AZ“ oder auch der „taz“, hatten die Ermittler gesichert.

Am jenem Dienstagnachmittag wurde der EXPRESS-Bericht vom 11. Juni 2004, zwei Tage nach dem Anschlag, als wichtiges Asservat in den Prozess eingeführt – denn nur auf diesem fand sich, wie in der Asservatenliste notiert, gesichert eine „Spur von Zschäpe“.

Auf dem Zeitungspapier waren ihre Fingerabdrücke. Hatte sie den Bericht im „Triumph“ des vollzogenen NSU-Terrorakts beschafft, gelesen und archiviert?

Die lange Jahre säuberlich aufbewahrte Schlagzeilengeschichte („Wir sollten alle sterben“) handelte von den schwer verletzten Opfern, allen voran von einem Mitarbeiter des Friseurgeschäftes, der im Krankenhaus dem EXPRESS-Reporter erzählte: „Ich habe den Täter gesehen.“ Er hatte beobachtet, wie ein Mann mit Käppi ein Fahrrad vor dem Salon abgestellt hatte.

Zschäpe wurde am 11. Juli 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt

Im Prozess in München forderte Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl das Gericht angesichts des Beweismittels auf, die Original-Artikel vorzulegen und zu prüfen, wo genau sich Zschäpes Abdrücke fanden. Es bestehe ja die Möglichkeit, dass Zschäpe die Zeitungen nur zufällig in der Hand gehalten und umgeblättert haben könnte.

Hier lesen: 2022 scheitert die Rechtsterroristin Zschäpe mit einer Verfassungsbeschwerde

Am 11. Juli 2018 stellte das Landgericht bei Beate Zschäpe, heute 49, die besondere Schwere der Schuld fest. Sie wurde wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Haft verurteilt.

„Wird ein Angeklagter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt und das Gericht stellt die ‚besondere Schwere der Schuld‘ fest, so bedeutet dies, dass der Verurteilte nicht schon nach 15 Jahren aus der Haft entlassen werden kann“, erklärt der Wormser Rechtsanwalt Dr. Frank K. Peter den Begriff „besondere Schwere der Schuld“. Heißt im Klartext: Beate Zschäpe wird das Gefängnis auch nach 15 abgesessenen Jahren noch lange nicht verlassen.