„Davor haben wir wirklich Angst“Beklemmend! Bei Kölner Psychologin schütten Kinder ihr Herz aus

Die Kölner Psychologin Elisabeth Raffauf hat Kinder und Jugendliche gefragt, wo der Schuh drückt.

von Andrea Kahlmeier  (ak)

Wettrüsten, Atomraketen, Waldsterben, Aids – das fürchteten die Babyboomer in den 80ern. Angst? Klar, hatten wir Deutschen schon immer. Die „German Angst“, diese Mischung aus Mutlosigkeit und Zukunftssorgen, taucht sogar im englischen Wörterbuch auf.

Doch das ist nichts gegen die Nöte, die Kinder und Jugendliche heute umtreiben, sagt die Kölner Diplom-Psychologin Elisabeth Raffauf, der die „Generation Angst“ jetzt in Umfragen für ihr aktuelles Buch „Angst – Aufwachsen in unsicheren Zeiten ...“ ihr Herz ausschüttete.

Sorgen der Erwachsenen sind im Kinderzimmer angekommen

Die aktuelle Shell-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Angst der Jugendlichen vor einem Krieg in Deutschland stark zugenommen hat, gefolgt von der Sorge um die wirtschaftliche Lage und wachsende zwischenmenschliche Feindseligkeit. Und das raubt sogar schon den Kleinsten den Schlaf.

Kaum zu glauben: Grundschülerinnen und -schüler redeten mit der Psychologin über die Inflation – oder dass sie Angst vor der Remigration haben, weil ihre Vorfahren aus der Türkei gekommen seien.

Teenies haben Angst vor Falschmeldungen und falscher Berufswahl, bei der Vielzahl der Möglichkeiten Ängste, die ihren Eltern und Großeltern noch fremd waren. Viele fürchten Krieg und Klimawandel. Und im ganz persönlichen Umfeld? Da rangiert die Angst vor Einsamkeit ganz oben.

„Mein Haupteindruck ist, dass die Erwachsenensorgen im Kinderzimmer angekommen sind“, sagt Elisabeth Raffauf im Gespräch mit EXPRESS.de.

Erstaunt war sie, dass Geld zu verdienen so ein großes Thema sei. „Geld ist Macht. Damit kann ich alles regeln, scheint die Auffassung zu sein.“ Auffallend sei, dass die Jugend nicht wie früher oft in ihrem Denken und Handeln gegen die Eltern rebelliere, sondern eher die Ansichten der „Großen“ übernehme. Die einen fürchten sich deshalb vor dem Rechtsruck, andere vor zu vielen Menschen aus anderen Ländern – je nachdem, was zu Hause kolportiert wird.

Vorsicht, Eltern! „Es ist wie ein Kreislauf: Je komplizierter die Welt ist, desto mehr versuchen Erwachsene, alles perfekt zu machen und unter Kontrolle zu bekommen. Das gilt auch für den Nachwuchs, so Raffauf. Häufig komme es vor, dass Eltern in ihrer Praxis klagen, dass ihr Kind nicht funktioniere, beobachtet sie. Perfektionieren, optimieren, wie eine Maschine – das ist nicht nur der Druck, den viele Eltern (oft auch subtil) ausüben und der sich dann in der Schule in regelrechten Panikattacken mit körperlichen Beschwerden wie Bauch- und Kopfschmerzen entlade.

Die Informatikprofessorin Irina Gurevych, Mitglied der deutschen Akademie „Leopoldina“, schildert die Folgen: „Die junge Generation hat ihre Lebenssicherheit verloren.“ Das sehe man an Folgen der Corona-Pandemie, wie etwa Zunahme der Depressionen unter den Jugendlichen. Zeitgleich seien junge Menschen durch die Digitalisierung mehr strapaziert. Heißt: Mobbing, gestörte Selbstwahrnehmung, sagt sie.

Digitalisierung kann Kinder krank machen – und Eltern am Smartphone nerven

Die Auswirkungen der Digitalisierung sind noch gar nicht richtig abzusehen. Das ist zum einen der Druck, dem der Nachwuchs sich aussetzt, wenn er sich bei Instagram ständig mit denen vergleicht, die vielleicht mehr Likes haben. Aber auch smartphoneverrückte Eltern sind ein großes Thema, beobachtete nicht nur Elisabeth Raffauf bei ihren Interviews von Schulklassen und in der Praxis. Mehr als die Hälfte aller Befragten habe in einer großen Umfrage angegeben, dass das Smartphone-Verhalten der Eltern sie störe, 33 Prozent würden sich sogar vernachlässigt fühlen.

Die Psychologin erklärt: „Es ist für Kleinkinder einfach verwirrend: Da sind Eltern zwar physisch anwesend, aber geistig dann leider meilenweit entfernt. Sie sind ja nicht da, wenn sie ständig aufs Handy schauen, die Einkaufsliste vervollständigen oder Kurzvideos abrufen. Das gibt Kindern das Gefühl: ‚Ich werde gar nicht wahrgenommen, ich bin unwichtig‘.“

Die Kölner Diplompsychologin Elisabeth Raffauf (undatiertes Foto).

Die Kölner Diplompsychologin Elisabeth Raffauf hat das Buch „Angst – Aufwachsen in unsicheren Zeiten ...“ (Patmos Verloag; 18 Euro) geschrieben, das ab dem 10. Februar im Handel ist.

Auch beim Thema Klima, laut Umfragen eines der wichtigsten Themen für den Nachwuchs, herrsche häufig Funkstille: „Da tun sich manche Eltern einfach schwer, Verantwortung zu übernehmen. Sie müssen ja nicht alle Aktionen gut finden, aber sollten zumindest versuchen, die Sorgen ernst zu nehmen“, sagt sie.

Die Psychologin rät, im Kleinen zu gucken, wo man etwas bewirken könne. „Ich habe auf den Samstag-Demos in Köln jüngst viele Kinder gesehen mit selbstgemalten Plakaten. So hilft man ihnen, aus der Ohnmacht, dem Gefühl der Hilflosigkeit herauszukommen.“

Denn gerade dieses Gefühl, dass alles um einen herum zu viel werde, fördere den Rechtsruck bei der Jugend. Raffauf: „Wenn wir uns ohnmächtig fühlen, sehnen wir uns nach einer starken Autorität, die alles wieder in Ordnung bringt. Diese Hoffnung nähren die Rechten.“

Wie können wir Erwachsenen der „Generation Angst“ helfen? Elisabeth Raffauf: „Man sollte sich vor allem fragen: Wie kann man die Luft rauslassen? Am besten: von allem weniger. Weniger Druck, weniger Erwartungen, weniger soziale Medien, weniger Möglichkeiten und weniger unerreichbare Standards. Vielleicht würde das die Angst minimieren und den Blick in die Zukunft wieder freilegen.“