Müll, Urin, Ratten, ChaosKöln-Experte entsetzt über Zustand der Stadt: „Schäme mich in Grund und Boden“

Ken Reise steht in der Hühnergasse in Köln.

Künstler und Moderator Ken Reise beim Altstadt-Rundgang mit EXPRESS.de. Die Hühnergasse, die Heumarkt und Rathaus verbindet, bezeichnet er inzwischen als „verlorenes Niemandsland“.

Moderator, Künstler und Köln-Experte Ken Reise beklagt das Erscheinungsbild der Innenstadt. Diese würde seit Jahren verkommen und Gästen ein schlimmes Bild der Metropole präsentieren.

Der Rausch der Sessionseröffnung ist verflogen, die Öffnung der Weihnachtsmärkte steht unmittelbar bevor. Dann werden erneut hunderttausende Gäste Köln ansteuern und sich in das Getümmel stürzen.

Ken Reise (38) hat jedoch Bauschmerzen, wenn er daran denkt, was die Besucherinnen und Besucher im Herzen der Domstadt antreffen werden. Der Veranstaltungsfachwirt, Moderator und Künstler führt seit Jahren Kneipen- und Altstadttouren durch. „Zuhause zwischen Eigelstein, Dom und Heumarkt“ nennt sich ein Rundgang, den er beispielsweise als Julie Voyage anbietet.

Kölner Altstadt: Neue Verkehrsleitung sorgt regelmäßig für Stauchaos

„Wie sich die Stadt präsentiert, ist ein Trauerspiel. Wenn ich Gäste herumführe, schäme ich mich in Grund und Boden. Verkehrstechnisch herrscht im Zentrum inzwischen nur noch das blanke Chaos, der Anblick der Altstadt ist erbärmlich. Hier läuft vieles aus dem Ruder“, sagt er, während er mit EXPRESS.de durch sein Veedel geht.

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Die neuen Maßnahmen der Verkehrsführung, vor allem durch den Umbau der Trankgasse zur Fahrradstraße, würden dafür sorgen, dass regelmäßig der Verkehr zum Erliegen komme. Vor den Parkhäusern bilden sich ab Nachmittags lange Staus, Ortsunkundige fahren sich fest.

„Wenn im Musical Dome ‚Moulin Rouge‘ läuft und in der Philharmonie eine Veranstaltung ansteht, kollabiert alles“, hat Reise beobachtet. Veranstaltungen könnten nicht mehr pünktlich beginnen, weil die Gäste zu spät kämen. Gastro-Läden würden auf Reservierungen sitzen bleiben, weil das Publikum nicht anreisen kann.

„Die Leute kommen nicht alle mit dem Lastenrad in die Altstadt. Die KVB dünnt den Fahrplan immer mehr aus, beim Regionalverkehr gibt es Probleme. Und für Autos gibt es keinen Platz mehr in der City. Bei meinen Führungen muss ich oft 30 Minuten mit dem Start warten, bis alle Gäste eingetroffen sind. Viele politische Entscheidungen werden nur aufgrund der Symbolwirkung getroffen. Ausbaden müssen es dann andere.“

Urin an der römischen Hafenstraße in Köln.

Unterhalb der römischen Hafenstraße sammelt sich der Urin. Dieser Bereich hat sich zu einer Freiluft-Toilette entwickelt.

Noch schlimmer als die Verkehrssituation sei das Erscheinungsbild vieler Veedel. „Wenn wir unsere Touren am Eigelstein beginnen, steigt die Anzahl der Prostituierten und Drogenhändler, je näher wir dem Bahnhof kommen. Ich stand bei einer Führung mit einem Landrat aus der Eifel sowie einigen Bürgermeistern in einer Runde, da wurden die direkt angesprochen, ob sie etwas kaufen wollen. Kein Wunder, dass immer mehr Einzelhändler dort aufgeben.“

Unter den Dächern am Hof würden sich allabendlich Bettenlager mit Obdachlosen bilden, die römische Hafenstraße zum Massen-Urinal verkommen. Im Innenhof rund um Groß St. Martin liegen Spritzen, das Rote Funken Plätzchen ist mit Graffiti beschmiert, Straßenschilder und Touristenwegweiser verdreckt, hinter Bauzäunen befinden sich Rattenlöcher.

Ken Reise auf dem Rote Funken Plätzchen in Köln.

Das Rote Funken Plätzchen am Buttermarkt ist durch Graffiti verschmiert. Pflastersteine liegen lose umher. Wie eine Sehenswürdigkeit sieht der Platz nicht aus.

„Unkoordinierte Baustellen, Absperrungen und Schilder, die nach der Fertigstellung vergessen werden. Brunnen, die nur selten funktionieren, Poller, die in der Gegend herumliegen, Flickschusterei mit Teer im Kopfsteinpflaster“, zählt der Kölner, der im Herzen der Altstadt wohnt, weitere Probleme auf.

„In der Außengastronomie am Alter Markt oder Heumarkt kann man keine 30 Minuten ungestört sitzen, ohne dass Bettler zu den Tischen kommen oder bettelnd musiziert wird. Viele schrecken auch nicht davor ab, in die Gastronomie hineinzugehen, um dort zu kötten“. Köln wirke mittlerweile wie ein Magnet auf Bettelgruppen – sei es in den Fußgängerzonen, bei den Pflastermalereien oder durch täglich mehr werdende Jongleur-Truppen an den Ampeln.

Absperrungen für Baustellen in der Altstadt.

Wenn Baustellen beendet werden, stehen die Absperrungen meist noch monatelang in der Gegend herum. Ein schönes Gesamtbild ergibt sich in der Innenstadt so nicht.

Reise klingt regelrecht verzweifelt: „Täglich legen so viele Schiffe mit Touristinnen und Touristen aus aller Welt an. Dann werden Menschenmassen durch diese Müllkippen und an hässlichen Bretterzäunen vorbeigeführt. Die Gäste erleben eine Innenstadt ohne Konzept und schlagen die Hände über dem Kopf zusammen.“

Als Reise jüngst mit seinem Soloprogramm in Deutschland unterwegs war, hat er wieder festgestellt, dass es in anderen Metropolen geordneter zugeht. In Köln hingegen wurde einer seiner Techniker auf dem Weg vom Senftöpfchen zum Hauptbahnhof ausgeraubt. „Außerdem hauen wir uns die wenigen Sachen, die wir haben, auch wieder kaputt“, sagt er und verweist auf den Streit wegen der zum Neumarkt verlegten Weinwoche.

Müll hinter Zäunen in der Altstadt.

Hinter Bauzäunen sammelt sich der Müll und ist unmittelbar am Fischmarkt ein Anziehungspunkt für Ratten.

Mehr noch: „Wenn hier eine Laterne von einem Lkw angefahren wird, bleibt sie monatelang schief. Hier wird Weltkulturerbe wie der Dom angepisst, mit Brettern zugenagelt, und im Herzen der Altstadt gibt es oft mehr Urin- als Pflasterstein. Dabei lebt Köln doch vom Tourismus“, klagt der 38-Jährige.

Ein Beispiel für die fehlende Koordination sei die Gürzenichstraße, die für über sechs Millionen Euro umgestaltet wurde. Jetzt, wo sich das Erscheinungsbild gebessert habe, wird mit dem Abriss des Hauses an der Ecke Heumarkt begonnen – es folgt eine neue Bauphase, bei der schweres Gerät über die sanierte Straße rollen wird. „Es ist ein Fass ohne Boden“, stöhnt der Köln-Experte.

Ken Reise als Julie Voyage mit den Höhnern.

Ken Reise drehte als Julie Voyage unter anderem mit den Höhnern das Video zum Song „Au revoir“.

Bei seinen Stadttouren würde er den schlimmen Anblick an vielen Stellen auf humoristische Art und Weise kommentieren. „Da kann man dann nur noch die schönen Geschichten aus der Vergangenheit erzählen, um die Gäste abzulenken.“

Am Ende bliebe ihm ohnehin nur ein Trost: Die Gemeinschaft in der Altstadt würde ein wenig für das Chaos an allen Ecken und Enden entschädigen. „Die Herzlichkeit überstrahlt am Ende doch ein wenig die Hässlichkeit.“