Extremwetter immer häufigerExperte erklärt, welche zwei Fehler wir bei Hochwasser machen

Rettungskräfte und Soldaten der Bundeswehr bergen die zerstörten Autos und Lkw auf der B265 Luxemburger Straße im Ortsteil Liblar.

Rettungskräfte und Soldaten der Bundeswehr bergen am 17. Juli 2021 die vollkommen zerstörten Autos und Lkw auf der B265 Luxemburger Straße im Ortsteil Liblar.

Die Überschwemmungen in NRW und Rheinland-Pfalz haben verheerende Auswirkungen. Wissenschaftlern zufolge könnten solche Extremwetter-Ereignisse in Zukunft häufiger werden. Ist Deutschland ausreichend auf den Ernstfall vorbereitet?

Berlin. Tausende Menschen in Deutschland stehen von einem auf den anderen Tag vor dem Nichts. Sie haben ihr Zuhause, all ihr Hab und Gut, womöglich auch Angehörige, Freunde oder Bekannte durch die Unwetter-Katastrophe verloren.

Die Zahl der Toten nach den Unwetter-Ereignissen in NRW und Rheinland-Pfalz hat längst die der Jahrhundertflut aus dem Jahr 2002 überschritten. Wissenschaftler sind überzeugt: Die Extremwetterphänomene hängen auch mit dem Klimawandel zusammen. „Bei einer Erwärmung von zwei Grad Celsius oder gar mehr müssen wir mit noch viel heftigeren Extremwetterereignissen rechnen“, sagt der Chef des Umweltbundesamts (UBA), Dirk Messner. Schon jetzt hat sich die Erde um rund 1,2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erhitzt.

Ohne Klimaschutz verschlimmert sich Extremwetter-Lage

Nach den Daten des UBA würde ein ungebremster Klimawandel erhebliche Schäden für Natur, Infrastruktur und das Wirtschaftssystem in Deutschland mit sich bringen. Und auch die Starkregen-Ereignisse in Westdeutschland haben laut Messner klar gezeigt: Ohne ambitionierten Klimaschutz wird sich die Lage verschlimmern. Ohne Anpassung an die neuen Herausforderungen allerdings auch.

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Denn: Wenn Länder und Kommunen keine Maßnahmen treffen, um gegen sintflutartige Regenergüsse oder Hitzewellen wie jüngst in Kanada gewappnet zu sein, sind viele Menschenleben gefährdet.

Der Vorsitzende des Vereins Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit, Martin Herrmann, geht davon aus, dass auch die Gesundheitsversorgung derzeit nicht optimal auf Extremwetter eingestellt ist. „Die meisten Krankenhäuser haben zwar vorbereitete Pläne, wie sie mit dem Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten umgehen. Aber ob sie bei extremen Wetterereignissen strukturell und personell die eigene Leistungsfähigkeit aufrechterhalten können, ist völlig unklar“, sagt Herrmann. Er kritisiert, dass es flächendeckend auch keine Hitzeschutzpläne für Kliniken oder Praxen gebe.

Experte erklärt zwei Fehler in Gefahrensituationen mit Wasser

Auch die Menschen selbst wüssten oftmals nicht, wie sie sich in der unerwarteten Not zu verhalten hätten, sagt Professor Boris Lehmann, der an der Technischen Universität Darmstadt zu Wasserbau und Hydraulik lehrt. „Menschen unterschätzen die Kraft und Geschwindigkeit des Wassers nur allzu oft.“ Ein Fehler.

Ein zweiter Fehler: In Gefahrensituationen tendiere die Bevölkerung dazu, an Habseligkeiten, etwa an Autos oder Gegenständen im Keller, festzuhalten, statt sich sofort in Sicherheit zu bringen. Mehr Aufklärung, bereits in der Grundschule, wäre aus seiner Sicht dringend geboten.

Auch wenn es der Bürger allein nicht wird richten können. Bund und Länder müssten gemeinsam neue Wege zur Anpassung an den Klimawandel finden, meint Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Zu diesem Zweck schlägt die SPD-Politikerin sogar überraschend vor, das Grundgesetz zu ändern. Nur so könnte der Bund dauerhaft Mittel für die Klima-Vorsorge bereitstellen. Bislang sind ihm die Hände gebunden.

Wie ist Deutschland beim Katastrophenschutz aufgestellt?

„Wir müssen jetzt diese nationale Katastrophe national beantworten“, lautet Schulzes Appell. Erst Anfang Juli war das erste bundesweite Beratungszentrum zur Klimaanpassung in Kommunen an den Start gegangen. Es hilft und berät etwa in Pflege- oder Obdachlosenheimen, damit Bewohner bei Höchsttemperaturen im Schatten sitzen können. Unter anderem - denn: Der Anpassungsbedarf ist enorm.

Auch beim Katastrophenschutz könnte der Ruf nach neuen Strukturen lauter werden. In Friedenszeiten sind auch hier nämlich die Länder alleine zuständig. Während Helfer Menschen von Balkonen retten, will die Bundesregierung erst einmal nicht darüber sprechen, wie gut oder schlecht Deutschland beim Katastrophenschutz aufgestellt ist.

Die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz sagt lediglich, dass die „bewährten Strukturen der Katastrophenhilfe in Kommunen und Ländern auch weiter erfolgreich greifen“ würden. Kräfte der Bundeswehr, des Technischen Hilfswerks und der Bundespolizei seien im Einsatz. „Wenn erforderlich, werden sie weiter verstärkt werden.“

Bundeswehr darf offiziell erst nach Bitte um „Amtshilfe“ helfen

Aber sind die Abläufe, bei denen jede Sekunde zählt, wirklich noch zeitgemäß? Auch die Bundeswehr, die zur Stunde mit schwerem Gerät in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz blockierte Straßen frei macht und Menschen per Hubschrauber birgt, darf formal erst dann agieren, wenn Länder und Kommunen um „Amtshilfe“ bitten. Ein Relikt aus der Nachkriegszeit.

Umweltverbände fordern jenseits der Frage nach einer Neuverteilung von Kompetenzen Sofortmaßnahmen, um die Klima-Anpassung in Deutschland voranzubringen. Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Olaf Bandt, regt an, „den bisher vernachlässigten Hochwasserschutz in den Mittelpunkt der Politik zu stellen“. So müssten etwa neben größeren Flüssen auch kleinere Fließgewässer künftig eine wichtige Rolle spielen, sagt Bandt.

Ob auf diese Weise schwere Unglücke abzuwenden sind, ist unklar. Statistisch gesicherte Aussagen über die Starkniederschläge der Zukunft lassen sich laut Umweltbundesamt (UBA) bislang nicht treffen. Klar ist nur: Der Klimawandel ist längst in Deutschland angekommen – und wird nicht wie ein vorübergehendes Wettertief einfach wieder abziehen. (dpa, jba)