Von der Umgebung abgeschnittene Orte, Lebensmittel per Hubschrauber: Slowenien kämpft mit der „größten Naturkatastrophe seit Jahrzehnten“. Nach den heftigen Unwettern ist am Samstagabend ein Staudamm im Osten des Landes gebrochen.
Dramatische Lage in SlowenienAusmaß der Schäden übersteigt wohl halbe Milliarde Euro
Slowenien kämpft mit den Folgen heftiger Unwetter. Zwei Drittel des Landes sind betroffen. Die Katastrophenschützer sind nach den schlimmsten Überschwemmungen und Erdrutschen seit mehr als drei Jahrzehnten weiter mit der Rettung und Versorgung von Menschen beschäftigt.
Mehrere Orte waren wegen der Fluten und Geröllmassen von der Umgebung abgeschnitten. Sie wurden teils per Hubschrauber mit Trinkwasser und Lebensmitteln versorgt, teils versuchten Soldaten zu Fuß in diese Orte zu gelangen. Die Aufräumarbeiten waren am Sonntag nach der Stabilisierung der Wetterlage in vollem Gange. Das Ausmaß der Schäden allein in Slowenien übersteige Schätzungen zufolge eine halbe Milliarde Euro, erklärte der slowenische Ministerpräsident Golob.
Slowenien: Staudamm im Osten gebrochen, Dörfer evakuiert
Nach den heftigen Unwettern ist am Samstagabend (5. August 2023) ein Staudamm im Osten des Landes gebrochen. Betroffen sei die Anlage am Fluss Mur bei Dolnja Bistrica, berichtete die slowenische Nachrichtenagentur STA.
Insgesamt zehn Ortschaften seien gefährdet.
Rund 500 Menschen mussten eilig aus dem Dorf Dolnja Bistrica in Sicherheit gebracht werden, berichtete das staatliche Fernsehen RTV Slovenija. Auch in Österreich und Kroatien werden weitere Überschwemmungen befürchtet.
Weitere neun Ortschaften seien wegen des Dammbruchs an der Mur gefährdet, sagte der Kommandant des Katastrophenschutzes, Srecko Sestan. Man versuche nun, per Hubschrauber das mehrere Meter breite Loch am Damm mit Betonblöcken abzudichten. Nach Angaben von Hydrologen steigt der Pegel der Mur an ihrem österreichischen Oberlauf bei Graz.
„Wir haben den absolut notwendigen Schritt der Evakuierung unternommen, weil dies die einzige Maßnahme ist, um mögliche Opfer zu verhindern“, sagte der Katastrophenschutzkommandant Srecko Sestan. „Wenn das Wasser anfängt, den Boden wegzutragen, wird der Damm sofort einstürzen, und die Flutwelle wird neun oder zehn Dörfer erfassen.“
Der slowenische Ministerpräsident Robert Golob sprach am Samstag von der „schlimmsten Naturkatastrophe“ der letzten 30 Jahre.
Wegen eines befürchteten Erdrutschs in Crna na Koroskem nahe der österreichischen Grenze wurden Bewohnerinnen und Bewohner in mehreren Orten am Fluss Meza vorsichtshalber in Sicherheit gebracht, berichtete die slowenische Nachrichtenagentur STA am Samstagabend. Die Stadt Crna na Koroskem war einer der am schlimmsten getroffenen Orte. Sie blieb am Samstag von der Außenwelt abgeschnitten.
In der Gemeinde Ljubno ob Savinji an der österreichischen Grenze rissen Erdrutsche vier Häuser weg. An anderen Orten stürzten Brücken ein, Straßen und Bahnschienen standen unter Wasser.
Auch der Zugang zu anderen Gebieten wurde abgeschnitten, der Verkehr war vielerorts gestört. Auch der Urlauber-Reiseverkehr Richtung Kroatien und Mittelmeer war dadurch schwer beeinträchtigt. Am Samstag kam es zu langen Staus.
Auch keine Entwarnung für Kroatien
Der Katastrophenschutz meldete am Samstag innerhalb von 36 Stunden landesweit mehr als 3700 Einsätze. Menschen wurden gerettet, die sich auf Bäumen oder Hausdächern in Sicherheit gebracht hatten. Die Regierung schätze den Gesamtschaden auf voraussichtlich mehr als 500 Millionen Euro.
Auch im benachbarten Österreich wurden weitere Überschwemmungen befürchtet und vorsorglich Campingplätze geräumt. Im südlichen Nachbarland Kroatien rüsteten sich die Behörden für eine für Samstagabend erwartete Flutwelle. Entgegen erster Befürchtungen ist das Land zunächst von größeren Überschwemmungen bewohnter Gebiete verschont geblieben. Eine Entwarnung gab es allerdings noch nicht.
Wegen der erwarteten Flutwelle auf den Flüssen aus dem nördlichen Nachbarland Slowenien hatten Kroatiens Behörden in mehreren Gemeinden mit Deichen aus Sandsäcken und stellenweiser Ableitung von Flusswasser vorgesorgt.
Vereinzelt mussten auch hier bereits Menschen gerettet werden. Betroffen war teilweise auch die Adria-Küste. In Split mussten nach Sturm und Starkregen Fahrzeuge aus überschwemmten Straßen in Sicherheit gebracht und Keller ausgepumpt werden.
Slowenien: Drei Tote innerhalb von 24 Stunden
Bei Überschwemmungen und Erdrutschen starben im Nordosten und im Zentrum von Slowenien nach Polizeiangaben binnen 24 Stunden drei Menschen – darunter nach Angaben der Nachrichtenagentur STA zwei Niederländer im Alter von 50 und 20 Jahren aus Gouda. Es handelte sich den Angaben zufolge um Vater und Sohn. Über die Umstände ist bisher nichts bekannt.
Die fünf am Samstag zunächst vermissten Niederländer sind wieder aufgetaucht. Nach Angaben des Außenministeriums vom Sonntag haben sie sich inzwischen gemeldet. Weitere Einzelheiten wurden dazu nicht mitgeteilt.
Am Rande der Hauptstadt Ljubljana wurde zudem ein weiterer Toter aus dem Fluss Save geborgen, dessen Tod nach ersten Erkenntnissen der Polizei womöglich ebenfalls auf die Überschwemmungen zurückgeführt werden muss.
Slowenien: „Die größten Schäden durch eine Naturkatastrophe seit 1991“
Ministerpräsident Robert Golob zufolge habe das Adria-Land „die wahrscheinlich größten Schäden durch eine Naturkatastrophe in der Geschichte des (seit 1991) unabhängigen Sloweniens“ erlitten. Beschädigt sei vor allem die Straßen- und Energieinfrastruktur sowie Hunderte Wohngebäude.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sicherte Slowenien Hilfe zu. Die Schäden in dem Adria-Land seien „herzzerreißend“, twitterte sie. Darüber wollte der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarcic, am Samstag mit der Regierung in Ljubljana beraten.
Erdrutsch in Dravograd: „Apokalypse wahrhaft biblischen Ausmaßes“
In Dravograd nahe der Grenze zu Österreich mussten nach einem Erdrutsch am Samstag 110 Menschen, darunter 30 Touristen, in Sicherheit gebracht werden. Dort drohte ein weiterer Erdrutsch. Der Ort liegt am Zusammenfluss der drei anschwellenden Flüsse Drau, Meze und Mislinje. Bürgermeister Anton Preksavec sprach von einer „Apokalypse wahrhaft biblischen Ausmaßes“, wie STA berichtete. Mindestens drei weitere Orte waren von Erdrutschen betroffen.
Mindestens drei Brücken stürzten ein, zahlreiche Autobahn-Abschnitte und Landstraßen standen unter Wasser.
Österreich: In Kärnten und Steiermark drohten weitere Überschwemmungen
In Österreich stieg nach Angaben der österreichischen Nachrichtenagentur APA insbesondere der Pegel des Flusses Mur. In Graz und in Mureck an der slowenischen Grenze wurden demnach erhöhte Wasserstände gemessen. Dies habe insbesondere in Slowenien Besorgnis ausgelöst, da dort am Samstag bereits ein Damm am Fluss Mur gebrochen war.
Zugleich stabilisierte sich die Lage in den Hochwassergebieten Österreichs APA zufolge - auch wenn es mancherorts wie im Kärntner Bezirk St. Veit am Samstag noch Evakuierungen gegeben habe. In Kärnten waren demnach weiter fünf Bezirke von Überschwemmungen betroffen. Mehrere Haushalte in Südösterreich mussten wegen drohenden Hangrutschen evakuiert werden. Die Aufräumarbeiten und Bekämpfung der Hochwasserschäden haben mittlerweile begonnen.
In den südlichen österreichischen Bundesländern Kärnten und Steiermark drohten nach neuen heftigen Regenfällen weitere Überschwemmungen. Mehr als 2500 Feuerwehrleute waren in jedem der Bundesländer im Einsatz, dazu Dutzende Soldaten.
Kärnten kämpft gegen zahlreiche Murenabgänge. In Magdalensberg (Gemeinde Treffelsdorf) mussten Menschen aus ihren Häusern evakuiert werden. Eine große Mure ging direkt zwischen zwei Mehrfamilienhäusern ab. Tonnen an Schlamm und Gestein verschütteten die Straße. Der Bürgermeister spricht von einer angespannten Lage, aber auch von einer leichten Entspannung und dankt der Feuerwehr für ihren Einsatz.
In einem südlichen Vorort der Hauptstadt von Kärnten, Klagenfurt am Wörthersee, musste ein Rückhaltebecken ausgepumpt werden, damit es nicht überläuft. In Lavamünd gerieten völlig durchnässte Hänge ins Rutschen und bedrohten Wohnhäuser. In Leibnitz in der Steiermark wurde ein Seniorenheim vorsorglich geräumt. Im südlichen Burgenland hat sich die Lage nach den jüngsten Niederschlägen entspannt.
Erdrutsch nach schweren Regenfällen: Mehrere Tote in Georgien
Weil Autobahnen und Ausweichstraßen teils wegen der Überschwemmungen gesperrt waren, kam es am Samstagmorgen zu Staus auf den wichtigsten Transitrouten für Kroatien-Reisende. Die Behörden empfahlen, Fahrten nach oder durch den Norden Sloweniens zu verschieben.
Unterdessen starben in Georgien nach schweren Regenfällen bei einem Erdrutsch in einem Ferienort im Nordwesten des Landes mindestens 16 Menschen. Dutzende werden weiter vermisst, teilten die Behörden am Samstag mit. Der Erdrutsch ereignete sich am Donnerstag in Schowi, einem kleinen Ferienort im bergigen Nordwesten Georgiens. (dpa/mg)