Verdienen Intendantinnen und Intendanten bei der ARD zu viel Geld? Diese und weitere Fragen beantwortet WDR-Boss Tom Buhrow nach dem Rücktritt der hart kritisierten RBB-Chefin Patricia Schlesinger.
WDR-ChefTom Buhrow über seinen Dienstwagen: „7er BMW mit Massagesitzen“
Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) ist die größte Anstalt des Verbunds ARD, und seit 2013 ist er dort Intendant: Tom Buhrow (63).
Die Affäre rund um Patricia Schlesinger rückt dabei gerade den gesamten Öffentlich-rechtlichen Rundfunk in kein gutes Licht – und auch Buhrow muss sich Fragen stellen lassen, nachdem die 61-Jährige wegen zahlreicher Filz-Vorwürfe von der Spitze des Rundfunks Berlin-Brandenburg und der ARD zurückgetreten ist.
Tom Buhrow über Rücktritt von Patricia Schlesinger
Worüber Tom Buhrow sich in der Affäre ärgert, welche Reform die ARD jetzt anstößt und wie er das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wieder herstellen will, sagte er in seinem ersten Interview nach dem Schlesinger-Rücktritt.
Welche Frage wird Ihnen derzeit häufiger gestellt: Was für einen Dienstwagen Sie fahren oder welchen Fußboden Sie in Ihrer Chefetage verlegt haben?
Buhrow: Alles gleich häufig. Es wird quasi unterstellt, dass das, was beim RBB passiert sein soll, in der ganzen ARD los war - was absolut nicht stimmt.
Welchen Dienstwagen fahren Sie?
Buhrow: Einen 7er BMW.
Mit Massagesitz wie RBB-Intendantin Patricia Schlesinger?
Buhrow: Ich muss sagen, leider ja. Ich brauche ihn nicht, ich habe ihn auch noch nie benutzt, und ich wusste es noch nicht einmal.
Tom Buhrow über Dienstwagen und Gehalt: „Die Fragen sind legitim“
Wie sehr nervt Sie das, dass Sie jetzt auf solche Dinge reduziert werden?
Buhrow: Die Fragen sind legitim – von Gehältern bis Büros, Dienstwagen und ganzer Infrastruktur. Aber es ärgert, nervt und macht betroffen, dass jetzt sozusagen alle unter Generalverdacht gestellt werden.
Wann haben Sie das erste Mal von Filz- und Protzvorwürfen gegen Patricia Schlesinger erfahren?
Buhrow: Wir haben alles aus der Presse erfahren und dann natürlich die Unschuldsvermutung gelten lassen. Und weil es keine ARD-Themen waren, die Patricia Schlesinger vorgeworfen wurden, haben wir auch in den ersten Wochen das Gefühl gehabt, es wäre jetzt voreilig, einer Person, die sagt „Das stimmt alles nicht, ich streite das rundherum ab, und wir haben jetzt eine unabhängige Untersuchung“, zu sagen: „Ist uns egal, das Vertrauen ist erschüttert.“ Das kam dann erst in den Wochen danach.
Wie sauer sind Sie auf Patricia Schlesinger, weil Sie sich getäuscht fühlen?
Buhrow: Wir sind alle in der ARD inzwischen enttäuscht und auch wütend. Weil alle Sender unter Generalverdacht gekommen sind und auch Tausende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die jeden Tag gute Arbeit machen – inklusive der RBB-Mitarbeiter, die jetzt die journalistische Ehre des RBB hochhalten. Die ganze ARD leidet darunter, dass in der Öffentlichkeit ein Bild entstanden ist, dass in der Chefetage unkontrolliert gehandelt wurde – wenn die Vorwürfe stimmen. Wir fordern eine lückenlose und transparente Aufklärung der Vorwürfe.
Rücktritt von Patricia Schlesinger: Keiner hat Kontakt zu ihr
Haben Sie nach ihren Rücktritten von den ARD- und RBB-Posten Kontakt mit Frau Schlesinger?
Buhrow: Keiner hat Kontakt.
Welche Fehler hat Frau Schlesinger gemacht, seitdem die Vorwürfe aufkamen?
Buhrow: Ich kann aktuell die RBB-Vorgänge im Detail nicht bewerten. Das ist eine Sache, die zusätzlich zu der unabhängigen Compliance-Untersuchung von der Generalstaatsanwaltschaft ermittelt wird. Es geht mittlerweile um Vorwürfe im strafrechtlichen Bereich – das muss man sich mal vorstellen! Ganz sicher ist das Krisenmanagement nicht stringent gewesen. Ich erinnere an den verweigerten Auftritt im Brandenburger Landtags-Hauptausschuss. Es ist erklärbar, warum man nicht in eine live gestreamte Ausschusssitzung gehen wollte, wo man eigentlich während laufender Ermittlungen nur begrenzt antworten könnte. Aber dann ist es schwierig zu erklären, warum man kurz danach Interviews gibt.
Wie groß ist der Ansehensverlust für die ARD und den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Buhrow: Das ist noch nicht endgültig absehbar, aber ich rede da nicht drum herum: Diese Krise berührt auch die ARD – der RBB ist schließlich ein Mitglied der ARD. Deshalb ist es jetzt meine Aufgabe, dass wir in der ARD die Schlussfolgerungen analysieren und angehen.
Tom Buhrow über Reform in der ARD
Was muss jetzt konkret geschehen?
Buhrow: Wir sind uns einig: Das Kernthema ist das zwischen Aufsicht und Operative. Man kann nicht selber als Intendant entscheiden, wie man beaufsichtigt wird. Die Aufsicht braucht aber eine gute personelle Ausstattung, das heißt: unabhängige Geschäftsstellen. Das sieht in der ARD sehr unterschiedlich aus. Der WDR zum Beispiel hat sehr gut ausgestattete Geschäftsstellen. Er hat sogar eine für den Verwaltungsrat und eine für den Rundfunkrat. Die arbeiten unabhängig den Aufsichtspersonen zu, damit diese ihre Kontrollfunktion gut wahrnehmen können. Wir überprüfen, ob überall in der ARD die Geschäftsstellen der Aufsicht adäquat ausgestattet sind. Es gilt die Maxime: Jeder investierte Cent in effektivere Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist ein gut investierter Cent. Aufsicht ist oft unbequem. Sie ist anstrengend. Aber sie macht es sicherer für uns alle, weil kritische Fragen alle schon vorher gestellt werden.
Ist das alles?
Buhrow: Das Zweite sind Experten. Die Medienpolitik hat im – allerdings noch nicht gültigen – Staatsvertrag festgeschrieben, dass die Gremien auch externe Experten heranziehen können. Das begrüßen wir, und das wollen wir unterstützen.
Wird dieses Programm in Ihrer kurzen ARD-Vorsitzzeit bis Jahresende kommen oder überlassen Sie das Ihrem Nachfolger, voraussichtlich SWR-Intendant Kai Gniffke?
Buhrow: Das werden wir jetzt anstoßen. Ob wir das noch in diesen viereinhalb Monaten vollenden können, weiß ich nicht, aber wir bringen es auf die Schiene.
Die ARD-Intendantinnen und –Intendanten waren am Donnerstag in einer Schalte zusammen. Was haben Sie beredet?
Buhrow: Wir sind uns einig, dass die Stärkung der Aufsicht ein wichtiger Punkt ist. Das gilt für die einzelnen Landesrundfunkanstalten, es gilt auch für die ARD-Gemeinschaftsaufgaben insgesamt. Das hat jetzt nichts mit der aktuellen Situation beim RBB zu tun. Es gibt in der ARD einen Programmbeirat, aber es gibt nicht annähernd eine solche Struktur wie für jeden einzelnen Sender. Die Intendantinnen, Intendanten und die Aufsichtsvertreter werden gemeinsam besprechen, wie wir angesichts der vielen Gemeinschaftsaufgaben in der ARD die Governance zukünftig regeln.
Mit wem verhandeln Intendantinnen und Intendanten ihr Gehalt aus?
Die Öffentlichkeit befasst sich in der Causa Schlesinger erstmals genauer mit den Gremien und der Rolle des Verwaltungsrats. Umso mehr hat ja eigentlich erstaunt, dass den Medienberichten zufolge die Intendantin eines öffentlich-rechtlichen Senders ihr Gehalt aushandelt mit einem einzelnen Menschen, dem Chefkontrolleur.
Buhrow: Das habe ich mit Fassungslosigkeit zur Kenntnis genommen.
Mit wem handeln Sie Ihr Gehalt aus?
Buhrow: Mein Gehalt ist einmal mit dem Verwaltungsrat vereinbart worden, als ich vor neun Jahren zum ersten Mal zum Intendanten gewählt wurde. Als ich das zweite Mal gewählt wurde, habe ich gesagt, dass ich keine neue Verhandlung meines Gehalts möchte. Alles, was mein Gehalt angeht, ist transparent und im Geschäftsbericht aufgeführt. Da gibt es auch keine versteckten Teile. Wir haben das bei uns in der ARD abgefragt: Nur der RBB hat variable leistungsbezogene Gehaltsbestandteile. Wieso es dort nicht transparent gemacht wurde, weiß ich nicht.
Die Affäre um die zurückgetretene RBB-Intendantin kommt zu einer Zeit, wo die öffentlich-rechtlichen Medien ohnehin herausgefordert werden. Es gibt politische Zweifel, Zweifel bei den Zuschauern und Zuhörern. Und das Ganze manifestiert sich in der Öffentlichkeit in einem Bild, das teilweise gezeichnet wird von Granden, die eher feudalistisch, unkontrolliert und weit weg sogar von ihren Redakteuren und auch weit weg vom Fernsehzuschauer sind. Wie wollen Sie dieses Bild entkräften?
Buhrow: Ich muss in einem Punkt widersprechen. Das Publikum schätzt uns und vertraut auch unseren Programmangeboten. Skepsis besteht bei einigen Menschen im Hinblick auf die Finanzierung. Ich sehe keine Vertrauenskrise, was das Programm angeht. Es gibt immer mal wieder Kritik an Ausgewogenheit oder Programmzusammenstellung, aber grundsätzlich wird das Programm sehr geschätzt. Bei den Finanzen sieht es anders aus. Und da kann ich einfach nur sagen: Dieses Klischee, dass die Intendanten und Intendantinnen machen können, was sie wollen, ist ein Zerrbild. Wir haben alle jeweils zwei Aufsichtsgremien. Jeder hat einen Verwaltungsrat und einen Rundfunkrat. Ich möchte irgendeine Institution in Deutschland sehen, die auch nur annähernd so viel Aufsicht hat wie wir. Trotzdem können die Befugnisse noch verstärkt werden. Dass Intendanten und Intendantinnen da unkontrolliert entscheiden können, ist so nicht. Wir müssen die Menschen überzeugen, dass wir Diener der Gesellschaft sind, dass wir unvoreingenommen die Menschen informieren und dass wir sie mit unserem Programm auch unterhalten wollen. Ich kann diese Wunden jetzt nicht von einem Tag auf den anderen heilen.
Die Rückgewinnung von Vertrauen in der ARD hängt sehr davon ab, was beim RBB passiert. Kann mit dieser Senderspitze die Aufklärung gelingen?
Buhrow: Das entzieht sich meiner Kenntnis. Wer will das jetzt beurteilen? Wir wünschen dem Sender von Herzen, dass er in ein ruhigeres Fahrwasser kommt. Das ist zuvorderst ein RBB-Thema. Wir in der ARD stellen uns dem, dass es uns auch mit überschattet. Aber wir sourcen nicht unseren Ruf aus an eine einzelne Anstalt, das muss jetzt beim RBB gelöst werden – im Zusammenspiel zwischen Belegschaft, der Geschäftsleitung, den Aufsichtsgremien und möglicherweise der Rechtsaufsicht.
Verdienen Intendantinnen und Intendanten zu viel Geld?
Der RBB hat ein Investigativteam eingerichtet, das sich mit dem eigenen Sender beschäftigt. Erwarten Sie auch Anfragen an den WDR? Es gibt jetzt eine erste Recherche zum Norddeutschen Rundfunk. Es geht dort um einen Dokumentarfilm aus der NDR-Abteilung von Frau Schlesinger mit Drehbuchbeteiligung ihres Mannes. Was halten Sie davon?
Buhrow: Ich kenne diese Sache nicht. Das hängt davon ab, wie revisionssicher und compliance-sicher das damals geregelt wurde. Was den ersten Teil der Frage angeht: Wir werden ständig gefragt, und das ist ja auch legitim. Wir kriegen jeden Tag alle Arten von Fragenkatalogen.
Verdienen Intendantinnen und Intendanten zu viel Geld?
Buhrow: Legitime Frage. Das begleitet mich auch, seit ich Intendant bin. Ich finde, so wie jeder, der ein öffentliches Amt hat, muss man sich das fragen lassen. Das wird in den Sendern mit den dafür vorgesehenen Gremien festgelegt. Es gibt auch im öffentlich-rechtlichen Raum Bereiche, da wird weniger verdient an der Spitze, und es gibt Bereiche, da wird mehr verdient.
Fänden Sie eine Abfindung für Patricia Schlesinger öffentlich vermittelbar?
Buhrow: Ich kenne nicht die rechtlichen Kriterien dafür, und so was aus dem Bauch zu entscheiden, damit ist man nicht gut beraten. Ich bin einfach zu weit weg davon.
Glauben Sie, dass die Causa Schlesinger auch Auswirkungen haben wird auf die nächste Finanzierungsrunde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland?
Buhrow: Das ist ein komplett getrenntes Verfahren, und es ist ja auch extra vom Verfassungsgericht so eingerichtet. Damit auch Krisen oder aktuelle politische Streitigkeiten isoliert davon sind. Deshalb glaube ich, dass die dafür eingesetzten Experten des Finanzgremiums KEF das ab Frühjahr 2023 losgelöst davon betrachten können.
Was würden Sie jemanden auf der Straße sagen, warum es sich immer noch lohnt, 18,36 Euro im Monat zu bezahlen? Wie wollen Sie das Vertrauen zurückgewinnen?
Buhrow: Ich würde fragen: Haben Sie Kinder, haben Sie Enkelkinder, und haben Sie schon mal die „Sendung mit der Maus“ mit denen gesehen? Schauen Sie die „Tagesschau“? Haben Sie unsere Corona-Berichterstattung gesehen? Welchen Krimi gucken Sie? Was ist Ihr Lieblingshörfunksender, Ihr Lieblingspodcast? Meistens – nicht immer, aber meistens – wird dann deutlich, dass das, was wir den Menschen an Programm bieten, sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr geschätzt wird. (dpa)