Aldi-NordKrach um Millionen-Erbe - Kommt jetzt die Wendung im Familienstreit?
Köln. – Der Beschluss von Ende Januar hatte es in sich. In trockenem Juristendeutsch handelte die öffentliche Bekanntmachung des Essener Amtsgericht von der „Kraftloserklärung einer Vollmachtsurkunde“. Das wäre zunächst einmal nichts Außergewöhnliches: Käme nicht die Person, um die es geht, aus einer der reichsten Wirtschaftsdynastien der Republik: der Aldi-Nord-Familie.
Neue Wendung im Familienstreit bei Aldi-Nord
Neuer Beschluss soll Aldi-Schwestern Vollmacht entziehen
Papier stammt vom Sohn von Berthold Albrecht
Laut dem amtlichen Papier, das dem „EXPRESS“ vorliegt, hat der einzige Sohn des verstorbenen Konzernerben Berthold Albrecht, seinen Schwestern die Betreuungsvollmachten entziehen lassen. Wie aus seinem Umfeld zu erfahren war, stellt dieser Vorgang für Nicolay Albrecht einen weiteren Schritt dar, um sich von der Bevormundung seiner Familie zu befreien.
„Aldi Nord“: Klage wegen Verdacht der Untreue
Der Vorgang schreibt ein weiteres Kapitel in der seit Jahren schwelenden Familienfehde im Aldi-Nord-Imperium. Es geht um Macht, Geld und Einfluss. So hat der 30 Jahre alte Albrecht-Spross ferner auch seine Schwestern im vergangenen Jahr wegen des Verdachts der Untreue angezeigt. Demnach sollen die Albrecht-Töchter im Oktober 2019 zu Unrecht 50 Millionen Euro aus einer der drei Aldi-Nord-Familienstiftungen ausgeschüttet haben. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf den Fall übernommen.
Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Sie gehen davon aus, dass die Ermittlungen in absehbarer Zeit eingestellt werden.
Die Geschichte um Nicolay Albrecht wirft zahlreiche Fragen auf. Nach dem Tod des Vaters Berthold im Jahr 2012 hatte der junge Mann auf Anraten des Familienanwalts 2014 und 2015 seinen Schwestern die Kontrolle über die geschäftlichen Belange des Essener Konzerns überlassen. Denn Aldi-Nord wird durch drei Familienstiftungen gesteuert. Dort liegt das zweistellige Milliardenvermögen. Nur durch einstimmigen Beschluss der Stiftungen fließen die Beträge für die Investitionen in den Warenhauskonzern.
Die Jakobus-Stiftung wird durch die Töchter des Aldi-Erben Berthold Albrecht und dem Familienanwalt gelenkt. Die Einrichtungen sollen die Unternehmensgruppe „erhalten und fördern“ und zum anderen die Albrecht-Erben alimentieren.
„Aldi Nord“: Kein Mitspracherecht für Nicolay Albrecht
Nicolay Albrecht erhielt kein Mitspracherecht in dem Gremium. Bis heute hat sich nichts an dem Status quo geändert: Pro Jahr sollen sich die Erben 25 Millionen Euro aus dem Stiftungsvermögen zugewiesen haben. Zehn Millionen sollen an die Albrecht-Witwe geflossen sein, den Rest sollen sich die vier Töchter und ihr Bruder gleichmäßig aufgeteilt haben. So steht es in den Ermittlungsakten.
Doch im Herbst 2019 änderte sich den Nachforschungen zufolge der Ausschüttungsmodus: Die Apanage an die Berthold-Familie soll auf 50 Millionen Euro verdoppelt worden sein. Einzig Nicolay Albrecht ging leer aus. Bis heute sind die Gründe für den Ausschluss unklar. Weder seine Anwälte noch der Rechtsbeistand seiner Mutter und der Schwestern wollten sich zu diesen Sachverhalten auf Anfrage äußern.
Der Fortgang des Familiendramas beginnt offenbar an diesem Punkt. Im August 2020 erstattete der Albrecht-Sohn Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Kiel wegen Untreueverdachts gegen drei seiner Schwestern und den Familienanwalt, weil diese sich rechtswidrig als Vorstände im Stiftungsrat die millionenschweren Ausschüttungen im Jahr 2019 genehmigt haben sollen.
Die strafrechtlichen Vorwürfe basieren auf Urteilssprüchen der Verwaltungsgerichte bis hin zur höchsten Instanz. Demnach müsste das Jakobus-Gremium paritätisch mit zwei Aldi-Managern und zwei Nachkommen von Berthold Albrecht besetzt werden.
„Aldi Nord“: Einfluss der Erben eingeschränkt
Derzeit ist dies nicht der Fall. Bisher hat die Stiftungsaufsicht in Schleswig-Holstein die Töchter des Aldi-Erben erfolglos aufgefordert, dies zu ändern. Nach wie vor regieren die weiblichen Nachfahren Bertholds nebst dem Familienanwalt die Jakobus-Stiftung. Somit entscheiden sie stets über alle wichtigen Konzernpläne mit und können alle Entscheidungen blockieren.
Ein Umstand, der dem anderen Familienzweig bei Aldi-Nord ein Dorn im Auge ist. Seit Jahren sucht Theo Albrecht jun. die Erben seines jüngeren Bruders Berthold zu entmachten. Die Gegenseite könne „das Unternehmen am Nasenring durch die Manege führen“, fürchtete der Firmenpatriarch im Gespräch mit dem Handelsblatt. Zumal er die üppigen Ausschüttungen aus dem Stiftungsvermögen missbilligt.
Im Streit mit seinen Nichten und seiner Schwägerin beruft Theo Albrecht jun. sich auf die Satzungsänderung der Jakobus-Stiftung, die der Bruder vor seinem Tode vorgenommen hatte. Demnach wurde der Einfluss seiner Erben eingeschränkt, was diese als unzutreffend zurückweisen.
Und so eskaliert ein Familienstreit, der ein Milliardenunternehmen belastet, das sich gerade auf einem notwendigen Modernisierungskurs befindet. Der Zoff zwischen Nicolay Albrecht und dem Rest seiner Familie scheint auch in absehbarer Zeit kein Ende zu finden. Wie zu erfahren war, strebt der 30-Jährige nach dem Widerruf der Vollmachten zugunsten seiner Schwestern seine vollen Rechte als Begünstigter der Jakobus-Stiftung an. Es bleibt abzuwarten, wie dieses Vorhaben ausgeht.
„Aldi Nord“: Staatsanwälte prüfen Fortgang der Ermittlungen
Ähnlich steht es um das Untreueverfahren gegen die Albrecht-Töchter. Am 15. Oktober 2020 meldete sich einer der Verteidiger bei der Staatsanwaltschaft. Er ließ die Ermittler wissen, dass vermutlich nicht Nicolay Albrecht der eigentliche Urheber der Strafanzeige sei. Mit seiner Darstellung unterstellte der Anwalt, dass der Anzeigenerstatter womöglich von interessierter Seite instrumentalisiert worden sein könnte. So zumindest interpretieren die Strafverfolger dieses ominöse Telefonat. Von wem und ob überhaupt? Das ist alles noch unklar.
Zu Guter Letzt stellt sich die Frage, ob die Strafanzeige des Albrecht-Sohnes überhaupt wirksam ist. Nach Recherchen in Justizkreisen könnten die Ermittlungen allein aus formal juristischen Gründen eingestellt werden. Zum einen geht es um die Strafvorschrift des Familiendiebstahls. Der Fall verjährt bereits drei Monate nach der Tat. Dies wäre hier der Fall. Es sei denn der Anzeigenerstatter hat erst später davon erfahren.
Zweitens haben die Anwälte der Beschuldigten eine weitere Verteidigungslinie aufgebaut. Tenor: Ganz gleich, ob der Stiftungsvorstand korrekt besetzt war oder nicht, dürfte die Ausschüttung der Millionenbeträge keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Die Düsseldorfer Staatsanwälte prüfen derzeit diese Fragen, um zu entscheiden, ob sie weiter ermitteln oder das Verfahren einstellen werden.