In Europa wird jetzt aufgemacht, zuletzt haben Dänemark und Norwegen fast alle Beschränkungen gestrichen. Und Deutschland, soll es dem Beispiel folgen? Bei „Maischberger“ sind sich da zwei Mediziner uneins. Und zwei Journalisten nehmen Lauterbach in die Mangel.
„Maischberger“Lauterbach wird ordentlich in die Mangel genommen – „Bislang der größte Fehler“
Europa macht sich locker: Spanien will Corona künftig wie eine Grippe behandeln. Dänemark und Norwegen streichen die meisten Corona-Beschränkungen. Andere Länder könnten den Beispielen folgen. Und Deutschland?
Auch hierzulande werden immer mehr Rufe nach Lockerungen laut, zuletzt hat Bundesjustizminister Marco Buschmann eine solche in Aussicht gestellt.
Wann wird also so eine Rückkehr zur Normalität möglich? Das fragte jetzt auch Sandra Maischberger am Mittwoch (2. Februar) ihre Gäste bei „maischberger. die woche“: Es diskutierten:
- Thomas Voshaar, Lungenfacharzt und Chef der Lungenklinik in Moers
- Janosch Dahmen (Grüne), Mediziner und Gesundheitspolitiker
- Gerhard Delling, Ex-ARD-Moderator
- Cerstin Gammelin, stellvertretende Chefin des Parlamentsbüros der Süddeutschen Zeitung
- Florian Harms, Chefredakteur von T-Online.
„Maischberger“: „Der dänische Weg ist ein hohes Risiko“
Seit dem 1. Februar gelten bei unserem nördlichen Nachbarn keine Einschränkungen mehr: Bis auf einige Einreiseregeln hat Dänemark vieles fallen lassen, obwohl dort weiterhin eine Inzidenz von über 5000 herrscht. In Deutschland liegt sie bei 1283. Kann Deutschland dem Beispiel nicht folgen?
„Der Vergleich von Deutschland und Dänemark ist wie der von Äpfeln und Birnen“, meint der Grüne Janosch Dahmen. „Der dänische Weg wäre zum jetzigen Zeitpunkt ein hohes Risiko, das wir wahrscheinlich mit einem hohen Preis bezahlen würden.“ Deutschlands Bevölkerung sei älter, weniger geimpft, weniger geboostert. Die Impfquote liegt dort bei gut 81 Prozent, in Deutschland bei etwa 76 Prozent. Journalistin Gammelin wirft ein: In Deutschland lebten wesentlich mehr Menschen. „Das kann man nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen.“
Trotzdem sieht der Lungenfacharzt Thomas Voshaar das anders: Er sieht dringenden Handlungsbedarf und wirft der Politik vor, sich vom Virus vor sich hertreiben zu lassen. „Obsessive Angst“ habe sie, so Voshaar. „Wann wollen wir diesen Varianten, die uns eigentlich der Himmel geschickt hat, mehr Lauf lassen?“
„Maischberger“: Deutschland „noch nicht mal in der Halbzeitpause“
Dahmen entgegnete, dass dies die falschen Worte seien „angesichts so vieler Menschen, die krank werden“. Im Kampf gegen die Welle befinde sich Deutschland „noch nicht mal in der Halbzeitpause“, so Dahmen. Damit war er mit Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD), der aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte, einer Meinung. Lockerungen seien da viel zu früh, auch, um die Intensivstationen nicht weiter zu belasten.
Voshaar bleibt hartnäckig: Omikron sei zwar ansteckender, aber habe doch einen meist milderen Krankheitsverlauf. „Das ist doch genau das, was wir brauchen, um schnell von der Pandemie in den endemischen Zustand zu kommen.“ Dahmen widerspricht erneut: „Zu sagen, wir lassen die Ungeimpften sich einmal anstecken und damit sind sie nachhaltig und breit vor Ansteckungen und schwerer Erkrankung geschützt, das ist im Moment nicht durch die Wissenschaft gedeckt.“
„Maischberger“: Gesundheitssystem nicht das „Maßstab aller Dinge“
Er stellte infrage, ob man wirklich immer auf das Gesundheitssystem schauen muss. „Alles richtet sich danach, ob die Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger gerade noch entspannt sind oder nicht.“ Die Mediziner und Pflegende würden schließlich für die Gesellschaft arbeiten. Er plädierte dafür, dies nicht „zum Maßstab aller Dinge“ zu machen und will einen Perspektivwechsel.
Dazu zähle eben auch, klare Ziele für den Weg aus den Corona-Maßnahmen zu benennen sowie die umstrittene Verkürzung des Genesenenstatus zu korrigieren. Das müsse „auf der Stelle zurückgenommen werden“, um das Vertrauen der Bevölkerung nicht weiter zu verlieren.
„Maischberger“: Karl Lauterbach wird in die Mangel genommen
Der Genesenenstatus gilt in Deutschland nicht mehr für 180, sondern nur noch für 90 Tage. Die Verkürzung kam auf Basis neuer RKI-Vorgaben Mitte Januar völlig überraschend – und sorgte für viel Kritik. Lauterbach hat die umstrittene Verkürzung als „sinnvoll“ verteidigt und räumte ein, dass es hier zwischen dem RKI und seinem Hause ein „Kommunikationsproblem“ gegeben habe.
„Das war bislang der größte Fehler und er hängt ihm auch nach“, erklärte Journalistin Cerstin Gammelin. Dieser Vorfall habe für Verwirrung und Aufregung im Alltag gesorgt. Lauterbach sei sich seiner Verantwortung „manchmal noch nicht richtig bewusst“.
Auch T-Online-Chefredakteur Harms kritisierte die nicht immer eindeutige Kommunikation. „Das Corona-Management ist jetzt nicht besser als unter Merkel und Spahn. Und daran trägt natürlich auch Lauterbach eine Mitverantwortung“, befand er.
Auch die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen sei problematisch. Gesundheitsämter klagten, sie seien überfordert und könnten dies nicht auch noch kontrollieren, die Regierung ruderte zurück. „Wir haben in Deutschland kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, so Harms. „Dann hat man doch als Bürger in diesem Land den Eindruck: Das funktioniert da oben gar nicht.“
„Maischberger“: Für Lockerungen müssen drei Kennzahlen stimmen
Über Lockerungen werden mit Sicherheit trotzdem weiter debattiert, auch weil die Einzelhändler und Gaststätten drängen. Drei Kennzahlen müssten stimmen, so der Grüne Dahmen, um Maßnahmen zurücknehmen zu können: „Die Hospitalisierungsinzidenz muss abnehmen, die Betten-Verfügbarkeit auf den Stationen muss für einen Regelbetrieb ausreichen und es muss gesichert sein, dass das Personal nicht reihenweise ausfällt.“