Ein neues Gesetz ermöglicht es dem Kreml, Hunderttausende weitere Männer in den Krieg zu schicken. Ein Experte erklärt nun die traurige Wahrheit hinter dieser drastischen Maßnahme: Putin sei weit davon entfernt, einen Ausweg aus dem katastrophalen Krieg zu suchen.
Putin mit drastischer MaßnahmeExperte sicher: „Er bereitet sich auf noch größeren Krieg vor“
Russland hat das Wehrpflicht-Alter von 27 auf 30 Jahre erhöht. Im Eiltempo hat der Kreml nun das neue Gesetz verabschiedet. Andrei Kartapolow, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der Duma, erklärte in der vergangenen Woche dazu: „Dieses Gesetz wurde für einen großen Krieg erlassen. Und der Geruch dieses großen Krieges liegt bereits in der Luft.“
Zudem dürfen russische Männer nach ihrer Einberufung zum Militär nicht mehr aus dem Land reisen – so soll eine massive Abwanderung von Männern im wehrfähigen Alter verhindert werden, wie sie Russland im vergangenen Herbst erlebt hat. Putins Hoffnung hinter der drastischen Maßnahme: Russlands Feuerkraft soll angesichts der westlichen Unterstützung für die Ukraine und der aktuell laufenden Gegenoffensive erhöht werden.
Russland: „Putin weit davon entfernt, einen Ausweg aus dem Krieg zu suchen“
Zeigt die Maßnahme des Kremls nun, dass Russland allmählich in die Enge getrieben wird? Nein, erklärt Alexander Gabuev, Direktor des „Carnegie Russia Eurasia Center“, in einem Gastbeitrag für die „Financial Times“. Er warnt vor falschen Schlussfolgerungen: Das neue Gesetz offenbare vielmehr eine andere traurige Wahrheit. „Wladimir Putin ist weit davon entfernt, einen Ausweg aus seinem katastrophalen Krieg in der Ukraine zu suchen, sondern bereitet sich auf einen noch größeren Krieg vor.“
Zwar erobere die ukrainische Armee nach und nach die von Russland besetzten Gebiete zurück und habe bewiesen, dass sie in der Lage ist, tief in feindliches Gebiet einzudringen – zuletzt sogar bis nach Moskau. Auch die westlichen Sanktionen übten einen immer größeren Druck auf Russland aus.
Russland: „Kriegskasse des Kremls trotz Sanktionen gut gefüllt“
Der Kreml glaube aber dennoch, dass er sich einen langen Krieg leisten könne, erklärt Gabuev weiter. „Die russische Wirtschaft wird in diesem Jahr voraussichtlich ein bescheidenes Wachstum verzeichnen, vor allem dank der rund um die Uhr arbeitenden Militärfabriken. Kritische Komponenten wie Mikrochips, die für die Rüstungsindustrie benötigt werden, kommen aus China und anderen Quellen.“
Trotz der Sanktionen sei die Kriegskasse des Kremls weiterhin gut gefüllt, dank unerwarteter Energiegewinne im vergangenen Jahr und neuer Kunden für die russischen Rohstoffe.
Hier bei unserer Umfrage mitmachen:
Der Westen stehe zwar geschlossen hinter Kyjiw, unterstützt die Ukraine mit modernen Waffen und Geld. Und die Meuterei des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin habe die Konflikte unter hochrangigen Militärs sichtbar gemacht.
Der Kreml aber schätze die Lage anders als der Westen ein, erklärt der Experte weiter. Er gebe sich von der ukrainischen Gegenoffensive unbeeindruckt.
„Es geht Putin darum, viel mehr Männer in den Krieg zu schicken“
„Putin setzt darauf, dass die potenziell mobilisierbare russische Truppenstärke drei- bis viermal so groß ist wie die der Ukraine, und die einzige dringende Aufgabe für ihn besteht darin, diese Ressource nach Belieben anzuzapfen: viel mehr Männer zu mobilisieren, zu bewaffnen, auszubilden und in den Kampf zu schicken.“ Genau das sei der Zweck des neuen Gesetzes, das dem Kreml helfen solle, eine weitere offizielle Generalmobilmachung zu vermeiden, so Gabuev.
Von nun an könne Putin in aller Ruhe Einberufungsbescheide an so viele Männer verschicken, wie es ihm beliebt. Möglich wäre auch, dass die Altersgrenze noch einmal verschoben wird.
Parallel versuche Putin, die ukrainische Wirtschaft zu „strangulieren“, so Gabuev. „Da der Kreml weiß, dass der ukrainische Haushalt von seinen westlichen Verbündeten am Leben erhalten wird, will er Kyjiw alle Einnahmequellen entziehen.“ Deshalb habe Moskau nicht nur das Getreideabkommen aufgekündigt, sondern auch massive Luftangriffe auf wichtige ukrainische Häfen geflogen.
Das Fazit des Experten: „Putin hat viele fatale Fehler gemacht. Aber solange er das Sagen hat, wird Moskau seine immer noch enormen Ressourcen darauf verwenden, seine Obsession, die Ukraine zu zerstören und zu unterwerfen, zu verwirklichen.“ Westliche Staats- und Regierungschefs und -chefinnen sollten diese Realität bei ihren zukünftigen Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine berücksichtigen.