Ex-Häftling Boris Becker blickte am Dienstag im Interview mit Sat.1-Moderator Steven Gätjen auf seine Zeit hinter Gittern zurück. Kehrt er als geläuterter Mann in die Freiheit zurück? Ein Kommentar.
Geläutert oder unbelehrbar?Boris Becker muss beweisen, dass er seine Sieger-Mentalität zurückgewonnen hat
Vor Gericht warf die Richterin Boris Becker unter anderem vor, nicht ausreichend Reue gezeigt zu haben. Alle anderen seien schuld, nur er nicht. Er wiederum beteuerte, von all den Finanz-Eskapaden, die tagtäglich um ihn herum stattfanden, nichts gewusst zu haben. Jedenfalls vor Gericht.
Die Folge? 30 Monate Haft! Wie viele Monate Boris Becker davon wirklich absitzen muss, konnte zum damaligen Zeitpunkt niemand wissen. Nun, nach sieben Monaten Knast in insgesamt zwei britischen Anstalten, ist der dreifache Wimbledon-Sieger frei. Am Dienstagabend (20. Dezember 2022) blickte die Tennis-Ikone im Sat.1-Interview mit Steven Gätjen auf seine Zeit hinter Gittern zurück.
Boris Becker: An Gefängnis-Strafe durfte kein Weg vorbeiführen
Vom Ruhm des einstigen Kämpfers, der auf den Courts dieser Welt die Fans reihenweise große Augen machen ließ, ist wenig bis gar nichts mehr übrig geblieben. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sahen einen gebrochenen Mann, der die vergangenen sieben Monate im Exil verbrachte und damit beschäftigt war, das aufzuarbeiten, was er in Freiheit angerichtet hatte.
Denn Becker hinterließ einen finanziellen Scherbenhaufen. Verlor völlig den Überblick. Wusste irgendwann nicht einmal mehr, wie liquide er wirklich war. Was ihn allerdings nicht am sinnlosen Geld verprassen hinderte.
War Boris Becker unschuldig im Gefängnis? Auf keinen Fall. An einer Haftstrafe durfte kein Weg vorbeiführen. Auch er räumte direkt zu Beginn des Interviews ein, Fehler gemacht zu haben. „Natürlich war ich schuldig. Die Anklageschrift umfasste ursprünglich 29 Punkte. In 25 Punkten wurde ich freigesprochen. In vier Punkten nicht“, sagte der Ex-Tennis-Star.
Ehrliche Tränen oder alles nur Show?
Im Knast erlebte Boris Becker eigenen Aussagen zufolge schreckliche Dinge. Man habe sogar einmal versucht, ihn umzubringen. Einem Mitinsassen sei die Sicherung durchgebrannt.
Drückte der frühere Ausnahmesportler hier ein bisschen auf die Tränendrüse? Wahrscheinlich nicht. Beckers Schilderungen wirkten authentisch. Seine Zeit hinter Gittern hinterließ zudem erkennbare Spuren. Nicht nur optisch. Denn neben seines erheblichen Gewichtsverlustes wirkte der 55-Jährige seelisch angekratzt. Boris Becker musste das Interview mehrfach unterbrechen.
Seine Augen wurden feucht und feuerrot. Was wirklich in einem Menschen vorgeht, dessen Leben sich auf acht Quadratmeter beschränkt, weiß nur jemand, der schon einmal die dicke Zellentür von innen gesehen hat, die ihn oder sie von der Freiheit trennt. Das weiß nur jemand, der monatelang ohne seine Liebsten überstehen musste, ohne zu wissen, was morgen passiert. Das weiß nur jemand, der ganz oben war und sich nun auf dem harten Boden der Realität wiederfindet.
Die Zeit in Haft sei die schlimmste seines Lebens gewesen. Aber er habe auch davon profitieren können. „Es klingt vielleicht komisch. Vielleicht hab ich das gebraucht. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Es gibt einen Grund für dieses Urteil. Ich habe über Jahre Fehler gemacht und falsche Freunde gehabt. War nicht organisiert genug. Hab mich treiben lassen und wurde faul. Der Gefängnis-Aufenthalt hat mich zurückgeholt“, stellte Boris Becker klar.
Boris Becker muss Kämpfer-Mentalität unter Beweis stellen
Doch das muss er nun erst einmal unter Beweis stellen. Er muss zeigen, dass er wieder der Junge aus Leimen (Baden-Württemberg) sein kann, der auf dem Court als harter Arbeiter bekannt war. Der Junge, der sein Ziel nie aus den Augen verlor und nie vom Weg abkam. Der Kämpfer. Der sechsfache Grandslam-Sieger.
Jeder Mensch hat die berühmte zweite Chance verdient. Der 55-Jährige hat für seine Vergehen mit der Freiheit bezahlt. Sollte er seine dazugewonnene Erkenntnis aber doch irgendwann wieder mit Füßen treten und in alte Muster zurückfallen, dann wäre das nicht nur ein Affront an ihm selbst, sondern auch an seiner Partnerin Lilian und seinen Kindern, die außerhalb der Gefängnismauern mit ihm litten und an seiner Seite blieben.