„Hart aber fair“Wolfgang Bosbach (CDU) spricht nach Solingen klare Warnung aus – Applaus im Studio

„Wenn wir die Augen verschließen vor unübersehbaren Problemen aus lauter politischer Korrektheit, dürfen wir uns nicht wundern, wenn immer mehr Menschen Vertrauen in die Politik verlieren“, stellte Wolfang Bosbach (CDU) klar. (Bild: ARD)

„Wenn wir die Augen verschließen vor unübersehbaren Problemen aus lauter politischer Korrektheit, dürfen wir uns nicht wundern, wenn immer mehr Menschen Vertrauen in die Politik verlieren“, stellte Wolfgang Bosbach (CDU) klar.

„Nach dem Attentat, vor den Wahlen: Welche Folgen hat der Angriff von Solingen?“: Louis Klamroth (über)spannte am Montag den Bogen vom mutmaßlichen IS-Terrorangriff bis zum Erstarken der AfD und den Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern.

Der mutmaßliche IS-Terroranschlag in Solingen vom 23. August 2024 erschütterte ganz Deutschland. Auch im 400 Kilometer entfernten Leipzig kochten Wut, Angst und Unsicherheit nach der Messerattacke hoch.

„Wenn Menschen sterben müssen, weil die Politik schläft, ist das ein No-Go“, brachte es eine Passantin gegenüber Louis Klamroth auf den Punkt. Ob diese Emotionen nachvollziehbar wären, wollte der Moderator bei „Hart aber fair“ zum Thema „Nach dem Attentat, vor den Wahlen: Welche Folgen hat der Angriff von Solingen?“ von der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) wissen.

Sebastian Fiedler: „Ich habe die Schnauze voll davon“

„Wir machen das nicht gut“, gestand die Politikerin, weder mit dem Islamismus noch mit der Ausstattung der Polizei.

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Sie warnte allerdings davor, über „die Syrer zu sprechen“, kämen doch 60 Prozent aller Ärzte aus Syrien. „Welches Land wollen wir sein: Wollen wir aufeinander losgehen oder es viel, viel besser machen als jetzt?“, erntete sie auf diese Grundsatzfrage Applaus aus dem Publikum.

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Es wäre eine „legitime Frage“, stimmte ihr CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach zu. Hätten jedoch immer mehr Menschen das Gefühl, dass Humanität vor Ordnung stünde, „dann kippt die Stimmung“, warnte er gleichzeitig.

Es ginge nicht um syrische Ärzte, sondern um „junge bindungslose Männer mit hoher Gewaltbereitschaft“, betonte Bosbach. „Wenn wir die Augen verschließen vor unübersehbaren Problemen aus lauter politischer Korrektheit, dürfen wir uns nicht wundern, wenn immer mehr Menschen Vertrauen in die Politik verlieren.“ Auch er erhielt dafür Applaus.

Katrin Göring-Eckardt räumte ein: „Wir machen das nicht gut.“ (Bild: ARD)

Katrin Göring-Eckardt räumte ein: „Wir machen das nicht gut.“

„Die Welt ist leider Gottes erheblich komplizierter“, gab der Bundestagsabgeordnete und Kriminalbeamte Sebastian Fiedler (SPD) zu bedenken. Selbst wenn jemand wie der mutmaßliche Solinger-Attentäter nach Bulgarien abgeschoben werden sollte, dauerte es bis dahin ein halbes Jahr, nannte er „reale Abschiebehindernisse“.

Das Hauptproblem wäre, nicht zu wissen, mit wem man es zu tun hätte, lenkte er das Thema auf die Herausforderungen des internationalen Terrorismus. Da Radikalisierung zunehmend in den sozialen Medien stattfände, plädierte er für stärkere Befugnisse der Nachrichtendienste und Datenerhebung im digitalen Raum.

„Ich habe die Schnauze voll davon, dass wir das große Wehklagen haben“, machte er seinem Unmut Luft, „wir brauchen leistungsfähige Nachrichtendienste, Polizei und Ausländerbehörden in Deutschland, ansonsten können wir lange Reden schwingen, es wird nicht funktionieren.“

Katrin Göring-Eckardt: „Straftäter haben ihr Aufenthaltsrecht verwirkt“

„Wie macht man es?“, stellte Klamroth die Gretchenfrage und zitierte Friedrich Merz (CDU), der einen Aufnahmestopp von Menschen aus Syrien und Afghanistan vorgeschlagen hatte. „Will er das Grundrecht auf Asyl ausheben?“, wollte er von dessen Parteikollegen Bosbach wissen.

Statt zu antworten, schweifte der Innenpolitiker in eine Geschichtsstunde über Artikel 16a des Grundgesetzes ab und kritisierte die Abschiebepolitik der Bundesregierung: „Hunderte Afghanen machen in Afghanistan Urlaub und kommen wieder zurück als Schutzbedürftige“, sah er darin eine „Kapitulation unseres Asylrechts“.

„Weil sie dort nicht ins Gefängnis kommen“, ließ Göring-Eckardt dieses Argument genauso wenig gelten wie den Vorwurf des CDU-Politikers, sich nicht klar zu Abschiebungen zu äußern. Zwar wäre jeder Fall einzeln zu begutachten, doch „Straftäter haben ihr Aufenthaltsrecht verwirkt. Ich möchte nicht, dass (sie) wieder in Deutschland sind, das können die Leute von uns verlangen“, wurde ihre deutliche Ansage mit Applaus belohnt.

Wolfgang Bosbach: „Die Messerdebatte ist Ausdruck politischer Hilflosigkeit“

Wie bei der Diskussion zur Verschärfung des Waffenrechts handelte es sich dabei um „berechtigte Debatten, die wir seit langer Zeit führen“, merkte Fiedler an.

Angesichts von jährlich 14.000 Messerdelikten plädierte er für ein Komplettverbot von Messern im öffentlichen Raum. „Dann regeln wir im Gesetz, welche Dinge ausnahmsweise erlaubt sind“, wollte er den (wie Göring-Eckardt einwarf) „Millionen Apfelschälenden Menschen“ die Sorge nehmen, dass sie ihre Messer nicht mitführen dürften.

Am Montag diskutierte Louis Klamroth (Mitte) das Thema „Nach dem Attentat, vor den Wahlen: Welche Folgen hat der Angriff von Solingen?“. (Bild: ARD)

Am Montag diskutierte Louis Klamroth (Mitte) das Thema „Nach dem Attentat, vor den Wahlen: Welche Folgen hat der Angriff von Solingen?“.

„Die Debatte ist notwendig, aber hätte diese Tat nicht verhindert“, betonte der Kriminalbeamte. Warum es „seine“ Innenministerin (Nancy Faeser, SPD) dann einforderte, fragte Klamroth. „Meine Innenministerin?“, konterte Fielder genervt. „Sie haben in der letzten Sendung auch schon versucht, mir Regierungserklärungen anzudichten. Sie müssen damit leben, dass ich meine eigene Sicht auf die Dinge habe.“

Eine Erklärung hatte er dennoch parat: „Meine Innenministerin nutzt die Gelegenheit“, holte er gegen die FDP aus, die sich bisher gegen die Verschärfung des Gesetzes ausgesprochen hatte.

Die Tat hätte auch mit einem Schraubenzieher durchgeführt werden können, konterte Bosbach. „Die Messerdebatte ist Ausdruck politischer Hilflosigkeit“, meinte er, denn „das Problem ist nicht die Klingenlänge, das Problem ist das andere Ende der Klinge: Warum nehmen junge Männer ein Messer mit, wenn sie nicht latent gewaltbereit sind?“

Göring-Eckardt: „Diesen brutalen Mord dafür zu nutzen ist billige Münze“

Dass sein Parteikollege Mario Vogt via X den IS-Angriff als „Bankrotterklärung für die Ampel“ bezeichnet hatte, interpretierte Bosbach als „Vorwurf, dass (sich die Bundesregierung) in existenziellen Fragen der Emigrationspolitk und inneren Sicherheit nicht einigen“ könne.

Deutlichere Worte fanden naturgemäß die Vertretenden der Regierungsparteien: „Mir stehen nicht nur Nackenhaare hoch“, zeigte sich Fiedler entsetzt, „es ist in hohem Maße dümmlich.“ Die Aussage wäre „nicht nur unterkomplex, sondern zeigt in eine völlig falsche Richtung“, ergänzte Göring-Eckardt, „diesen brutalen Mord dafür zu nutzen ist billige Münze.“

Die Wahlen im Osten

Björn Höcke von der AfD hätte nach der Tat sogar aufgefordert, „mit der AfD die Wende zu wählen“, lenkte Louis Klamroth den Fokus auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Schon vor der Attacke in Solingen lag die AfD Umfragen zufolge bei 30 Prozent, die Grünen bei 3 Prozent und die SPD bei 5 Prozent.

„Das macht die AfD im Osten schon länger“, überraschte die Taktik Historikerin und Autorin Katja Hoyer nicht. Der Angriff von Solingen würde die Stimmung weiter aufheizen und hätte Einfluss auf die Landtagswahlen. Im Osten wäre die Migration nämlich in den letzten Jahren erst richtig losgegangen: „Dresden hat sich seit den 90er-Jahren mehr verändert als Köln“, brachte sie ein Beispiel.

Es wäre an der Zeit, nicht nur über Ostdeutschland zu sprechen, sondern Ostdeutsche zu Wort kommen zu lassen, plädierte Lina Herzog, Aktivistin und Initiatorin des Bündnisses „Dorfliebe für alle“ in Thüringen. „Mir muss man nicht sagen, dass bei mir kein Bus fährt oder das vorletzte Krankenhaus schließt“, ergänzte sie, „Wovor ich wirklich Angst habe und was eine Bedrohung ist, dass die Politik weiter nach rechts geht - das löst keine Probleme.“

Göring-Eckardt: „Unserem Land geht es nicht gut“

Diese Entwicklung wäre nicht vom „Himmel gefallen“, wusste Bosbach. Er „gebe die Hoffnung nicht auf“, AfD-Wähler zurückzugewinnen. Dafür müssten die Parteien wie SPD und CDU aber auch „ansprechbar vor Ort“ sein, argumentierte der mit 24 Jahren jüngste Bürgermeister von Gartz in Brandenburg, Luca Piwodda (Partei des Fortschritts PdF): „Nicht nur drei Monate vor der Wahl, sondern dauerhaft. Dann kriegt man auch Vertrauen.“

Auf lokaler Ebene hätten Politiker wie er ohnehin keine Zeit für „politische Tagträumereien“ oder Abgrenzungen einzelner Parteien: „Wir müssen Schulen sanieren“, begründete er seine pragmatische Entscheidung, Parteipolitik vor den Rathaustoren zu lassen und auch mit Vertretenden der AfD zusammenzuarbeiten.

Was auf der lokalen Ebene möglich wäre, gelte „leider nicht auf Landes- oder Bundesebene“, so Göring-Eckardt. Mit der von Piwodda angesprochenen „verbindenen Politik“ konnte sich aber auch die Grünen-Politikerin identifizieren: „Unserem Land geht es nicht“, brachte sie es auf den Punkt, „es wird nicht besser, wenn sich alle belauern. Wir haben sehr viele gute Ideen gemeinsam - vielleicht bringen wir die mal voran.“ Der nachfolgende Applaus zeigte, dass die versöhnlichen Worte zumindest beim „Hart aber fair-Publikum“ auf offene Ohren stießen ... (tsch)