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Intimes GeständnisWarum sich Jungs erst spät für Nachrichten-Lady interessierten
Hamburg – Ein lieber Gast am Abend – der uns noch viel lieber wäre, hätte er mehr Erfreuliches mitzuteilen: Linda Zervakis (45) ist die First Lady der „Tagesschau“. Dass sie Nachrichten kann, führt uns die Deutsch-Griechin regelmäßig vor.
Doch sie kann eben nicht nur seriös – sie ist auch charmant, witzig, schlagfertig und sehr klug. Das beweist sie in ihrem neuen Buch „Etsikietsi – Auf der Suche nach meinen Wurzeln“, in ihrem Podcast – und bei uns im großen Interview.
Wie kam die Idee, ein Buch über Ihre Familie zu schreiben?Linda Zervakis: Das lag an meiner Mutter, die mir ganz spontan ihr altes Tagebuch zugesteckt hat. Damit bekam ich einen Einblick in ihr Leben vor meiner Zeit – und erfuhr, was sie wirklich durchgemacht und was sie verpasst hatte.
Was war da entscheidend?Sie hätte gern eine weiterführende Schule besucht, wäre gern Schauspielerin geworden. Beides ging nicht, weil ihr Vater strikt dagegen war. Wenn ihre Träume damals wahr geworden wären, wäre ihr Leben ganz anders verlaufen – und sie wäre sicher nie Fabrikarbeiterin in Deutschland geworden.
Daraus ist Ihr berührendes Buch geworden. Auffallend ist der Titel. Was bedeutet „Etsikietsi“?Das ist griechisch und heißt etwa »so lala«. Wenn man in Griechenland nach seinem Befinden gefragt wird und es einem nicht gut geht, sondern mal so, mal so, sagt man es. Es ist ein Zustand, der auch bei meiner Familie stimmt – der reicht von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt.
Wie ist es mit der legendären „griechischen Melancholie“?Natürlich steckt die bei uns auch drin. Aber wir kommen immer aus dem Tal raus, dann lachen wir so lange, bis wir uns fast in die Hosen machen. „Etsikietsi“ bezieht sich übrigens auch auf mich, ich hatte viele Momente dieser Art in meinem Leben.
Zum Beispiel...?Weil meine Eltern arbeiteten, hatte ich von klein auf eine deutsche Tagesmutter. Sie konnte mir gut Deutsch vermitteln, deswegen war das Griechische in der Schule nie ein Thema. Aber ich musste parallel zur deutschen auch noch sechs Jahre in eine griechische Schule. Immer, wenn ich zu Kindergeburtstagen eingeladen war, musste ich absagen, weil ich nachmittags Unterricht hatte.
Hatten Sie eine schöne Kindheit?Sie war etsikietsi. Unsere Familie war finanziell nicht wahnsinnig gut aufgestellt, wir konnten uns viele Sachen nicht leisten. Wenn andere Kinder in den Ferien nach Lanzarote fuhren, blieb ich zu Hause, weil wir die Kohle nicht hatten. Manchmal musste ich die Cord-Jacken meines Bruders auftragen. Dazu kam mein griechisches Aussehen, durch das ich mich manchmal fast ausgegrenzt fühlte.
Klingt ja nicht so schön…War es auch nicht. Während meine deutschen Mitschülerinnen nur leichten hellen Flaum auf Armen und Beinen hatten, hatte ich da dunklen Bewuchs, der nach der Rasur schnellstens nachwuchs. Ich trug eine Brille mit schwerem Gestell, hatte dicke, durchgehende Balken-Augenbrauen. Die verschwanden nach dem ersten Besuch bei der Kosmetikerin – erst dann bekam ich Angebote von Jungs. Da war ich absoluter Spätzünder.
Sind Sie eigentlich mehr Deutsche oder mehr Griechin?Ich bin da Mischmasch, von beidem ein bisschen, so was wie ein Mezzo-Mix-Getränk. Ich denke, rede und träume auf Deutsch, aber natürlich geht das Griechische nicht raus. Das halte ich aber für eine Bereicherung, dass ich da on top noch was dazu bekommen habe.
Sie gelten als charmante, witzige, schlagfertige Frau, doch das, was Sie in der „Tagesschau“ vortragen, wird immer schwärzer. Ist es für Sie ein Problem, dass Sie für die Viertelstunde vollkommen umschalten müssen?Das bin ich gewohnt. Ich war vor meiner Fernsehzeit viele Jahre am Radio und wusste, was von mir verlangt wird. Schließlich stehen da immer die Nachrichten im Mittelpunkt, die präsentiere ich, dazu muss ich adrett aussehen. Nach Feierabend erkennt mich keiner mehr.
Einige Generationen vor Ihnen waren „Tagesschau“-Sprecher noch anders drauf. Sie wagten es nicht, in der Öffentlichkeit mal wie ganz normale Menschen aufzutreten…Das ist zum Glück vorbei. Die Zuschauer wissen, dass wir ganz normale Menschen sind. Dafür hat auch Social Media gesorgt. Da haben die Menschen ja auch gesehen, dass ich zuerst auch nicht mit Corona klargekommen bin. Dieses Authentische ist wichtig, dadurch bleiben wir glaubwürdiger. Wenn in meinem Vertrag stünde, ich dürfte tagsüber nicht sein, wie ich bin, hätte ich den Job nicht machen können.
Prägt es den Alltag, dass Sie negative Geschichten vortragen? Ich versuche, das auszugleichen. Dadurch, dass ich Familie habe und Mutter bin, habe ich Tage, in denen ich komplett in meinem kleinen Familien-Mikrokosmos unterwegs bin. Da kann es durchaus sein, dass ich ein, zwei Tage nichts von draußen mitbekomme. Das ist gut als Ausgleich und Puffer.
Wenn Sie an Ihre Zukunft denken – würden Sie Ihren Lebensabend lieber in Deutschland oder Griechenland verbringen?Auch da käme ein Mischmasch raus. Obwohl es eine unerfüllte Sehnsucht gibt, könnte ich nicht komplett nach Griechenland ziehen, weil ich da nie gelebt habe. Aber wenn ich nicht mehr arbeite, wird es mein Zeitvertreib sein, mich mit Griechenland auseinanderzusetzen. Weil ich das Land selbst auch nur aus den großen Ferien und dem Urlaub kenne, besteht großer Nachholbedarf. Vielleicht lebe ich dann ein halbes Jahr in Deutschland und ein halbes in Griechenland.
Wir erlebten in den vergangenen Wochen heiße Tage, die man eher in Griechenland als in Deutschland vermutet. Leiden oder genießen Sie?Ich finde das sehr gut. Es war das erste Mal, dass ich in diesem Sommer ohne Unterhemd im T-Shirt rumlaufen konnte und nicht fror. Sonst ist es jedes Jahr dasselbe: Ich hoffe schon im April, dass es bald richtig warm wird, was es natürlich nicht wird. Dann haben wir mal zwei Tage hintereinander 16 Grad, und der Hamburger glaubt, dass das schon Sommer ist, die Menschen tragen T-Shirt und kurze Hose. Ich selbst trage T-Shirt, Wollpullover und Übergangsjacke – und fröstle weiter. Jetzt kann ich etwas Wärme speichern und bereite mich damit seelisch auf den Herbst vor.
Linda Zervakis und die guten Deutschen
Linda Zervakis (geboren am 25. Juli 1975 in Hamburg) ist das Kind griechischer Fabrikarbeiter und späterer Kiosk-Besitzer. Half während ihrer Schulzeit und später bis zum 25. Lebensjahr im Kiosk aus.
Sie machte ein Praktikum in einer Werbeagentur, arbeitete dort auch als Texterin. Es folgte ein Volontariat in Radio- und TV-Stationen. 2001 wechselte sie zum NDR. Seit 2010 ist sie Sprecherin der „Tagesschau“. Wurde im Mai 2013 Nachfolgerin von Marc Bator (47) in der 20-Uhr-Ausgabe.
Sie betreibt den Podcast „Linda Zervakis präsentiert gute Deutsche“, ist verheiratet und hat zwei Kinder (8 und 5).