Die Regierungsbildung steckt in den letzten Zügen, doch bei „Maybrit Illner“ beherrschte einmal mehr die Coronapandemie die Diskussion. Hat die Ampel-Koalition ihre erste schweren Fehler bereits begangen? Die Antwort entzweite vor allem den künftigen Vizekanzler Robert Habeck und CDU-Mann Norbert Röttgen.
Corona-Zoff bei IllnerScharfe Attacke: Röttgen als „Oppositionsclown“ betitelt
Die Ampel-Koalition befindet sich auf der Zielgeraden – und sieht sich ohne Schonfrist der schwersten Aufgabe überhaupt ausgesetzt: Die Corona-Pandemie nimmt derzeit in der vierten Welle schier ungebremst an Fahrt auf, die Intensivstationen laufen voll.
Den Ernst der Lage umschrieb der designierte Vizekanzler Robert Habeck am Donnerstagabend, 25. November 2021, bei „Maybrit Illner“ mit drastischen Worten. In der „schwersten Gesundheitskrise“ Deutschlands werde die „Zeit knapp“. Schon jetzt gehe es „um Tage“, schlug der Grünen-Politiker Alarm, die Krankenhäuser seien voll.
Zumindest in diesem Punkt war sich Habeck mit CDU-Mann Norbert Röttgen einig - es sollte eine der wenigen Übereinstimmungen an diesem hitzigen Abend bleiben. Dabei hatte Röttgen zu Anfang noch betont: „Irgendwelche Schuldfragen zu klären, hilft im Moment nicht.“ Stattdessen forderte er „überparteiliche Verantwortung“ und forderte Noch-Kanzlerin Angela Merkel und ihren wahrscheinlichen Nachfolger Olaf Scholz zu einer Bürgeransprache auf: „Wir haben keine Zeit mehr.“ Es sei bereits „fünf nach zwölf“.
Grünen-Chef Habeck suchte derweil die Schuld bei der alten Regierung und bemängelte deren angeblich träge Entscheidungsfindung: „Alle hätten wissen können, wie eine Impfrate von knapp 70 Prozent bei einer Delta-Variante im Winter wirkt.“ Es sei „ein Schandfleck der deutschen Politik, dass wir da so reingelaufen sind“. In Schutz nahm der 52-Jährigen hingegen die Ampel-Koalition. Ohne den kundigen Rat der Ministerien seien richtige Entscheidungen erschwert gewesen. „Von der scheidenden Regierung muss man das allerdings erwarten. Die kriegen ja noch Geld dafür“, teilte Habeck aus.
Maybrit Illner: Schlagabtausch zwischen Habeck und Röttgen
Nicht so eindeutig geklärt war die Schuldfrage erwartungsgemäß laut Norbert Röttgen. Zwar räumte er „Versäumnisse der Regierung“ und „Entscheidungsdefizite“ ein, kritisierte aber gleichzeitig, dass die Ampel die epidemische Notlage nationaler Tragweite nicht fortführen wolle. Damit habe man sich selbst um Eindämmungsmaßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie gebracht, stellte Röttgen fest. Hier schaltete sich auch FDP-Generalsekretär Volker Wissing in die Debatte ein. Das neue Infektionsschutzgesetz ermögliche sogar schärfere Regeln, so der 51-Jährige, der vor allem die Ministerpräsidenten der Länder bei der Umsetzung der Maßnahmen in die Verantwortung zog.
Zunächst wolle man „mildere Mittel“ einsetzen, erklärte Robert Habeck mit dem Hinweis auf die tiefgreifenden Folgen eines allgemeinen Lockdowns. Sollte das keine Wirkung entfalten, müsse man hingegen „mit dem großen Vorschlaghammer draufhauen und wieder alles dicht machen“. Henrike Roßbach von der „Süddeutschen Zeitung“ ließ an der Aussage kein gutes Haar. Tagelanges Abwarten sei der falsche Schritt: „Die Zeit ist ja schon abgelaufen.“
Dem pflichtete auch ihre Journalisten-Kollegin vom „Spiegel“, Christiane Hoffmann, bei. Es hätte „schon lange gehandelt werden müssen“, kritisierte sie und konnte sich auch einen Seitenhieb auf die Ampel-Koalition nicht sparen: „Ich habe Befürchtungen, dass dieses Versagen, das wir hier sehen, kein gutes Zeichen ist für die künftige Regierung.“
Robert Habeck verurteilt NRW-Karnevalfeiern
Habecks Verteidigungshaltung - „Wir sind träge Wesen“ - ließ Hoffmann nicht so stehen, im Gegenteil: „Politische Führung bedeutet, dass man eine Situation, die man erkannt hat, adäquat einschätzt und dann auch unangenehme Wahrheiten ausspricht.“ Experten seien bereitwillig für Beratungen zur Verfügung gestanden, warf die Journalistin ein.
Diese Vorlage ließ Norbert Röttgen, mit seiner Partei künftig in der Opposition, nicht ungenutzt. „Sie sind jetzt in der Verantwortung, Sie haben die Mehrheit im Parlament, Sie haben die ersten Gesetze gemacht“, teilte er in Richtung Robert Habeck aus. „Sie können doch jetzt nicht so tun, als wären sie zwei Jahre im Tal der Ahnungslosen gewesen und wissen von nichts etwas.“ Der rhetorische Frontalangriff brachte Habeck auf die Palme. Das sei doch nicht Röttgens Niveau, erzürnte er sich: „Sie wollten gerade die Hand reichen, und jetzt machen sie hier den Oppositionsclown.“
Als nächstes nahm Habeck Hendrik Wüst, den Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, ins Visier: „Die gleichen Ministerpräsidenten, die drei Tage später gesagt haben, wir müssen jetzt zum Lockdown kommen und bloß nicht die epidemische Lage auslaufen lassen, haben in ihrem Bundesland fröhlich das Karnevalfeiern erlaubt.“
Bei Maybrit Illner: FDP-Mann Volker Wissing schließt Impfpflicht nicht aus
Immerhin: Bei der Diskussion um eine mögliche Impfpflicht schien sich so etwas wie Einigkeit in der Runde einzustellen. „Wenn wir unter 75 Prozent Impfquote haben, wird es bei einer Delta-Variante immer wieder zu einer Überforderung des Gesundheitssystems kommen“, stellte Habeck fest und brachte ein Obligatorium ins Spiel. Anders als noch Anfang November schloss auch FDP-Mann Wissing eine Impfpflicht nicht mehr aus. Deren Wirksamkeit würde sich aber erst im kommenden Winter zeigen.
Journalistin Roßbach war das erneut zu viel Hinhaltetaktik: „Jetzt wird gesagt, Impfpflicht hilft akut nicht, brauchen wir jetzt erst mal nicht machen.“ Eine Unterstützung derlei Maßnahmen könne in der Bevölkerung bei niedrigeren Zahlen im Frühling sinken, befürchtete sie: „Und dann kommt wieder der Herbst, und man wird wieder feststellen: Man ist in der fünften Welle.“ (tsch)