Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner Prof. Dr. Michael Tsokos hat mit EXPRESS.de unter anderem über seinen Blick auf den Tod und prominente Todesrätsel, die er gerne lösen würde, gesprochen.
„Whitney Houston wurde ertränkt“Rechtsmediziner Prof. Michael Tsokos über prominente Todesfälle
Unglaublich viele Leichen gesehen, aufgeschnitten und untersucht. 26 Bücher veröffentlicht, die alle Bestseller wurden. Gefragter Gast in TV-Talkshows. Ausverkaufte Auftritte in großen Hallen: Prof. Dr. Michael Tsokos (57), der Rockstar unter den Rechtsmedizinern.
Gerade ist er mit dem Thriller „Der 1. Patient“ (geschrieben mit Florian Schwiecker, Knaur TB, 12,99 Euro) wieder in den Bücher-Charts. Hier muss sich sein Ermittler-Gespann mit Künstlicher Intelligenz in der Medizin befassen. Über all das und noch viel mehr sprach er im großen Interview mit EXPRESS.de.
Rechtsmediziner Michael Tsokos: Thriller um Künstliche Intelligenz
Der neue Fall für Strafverteidiger Rocco Eberhardt und Rechtsmediziner Justus Jarmer ist „Der 1. Patient“. Wobei ist er der Erste?
Prof. Dr. Michael Tsokos: Er ist der Erste, der bei einer OP stirbt, bei der die KI, also die Künstliche Intelligenz, zu Hilfe genommen wurde. Die Ärztin, die das veranlasst hat, wird angeklagt. Es geht um die Frage, ob sie die Richtige auf der Anklagebank ist, oder ob da nicht eigentlich die KI hin müsste.
Klingt nach Zukunftsmusik …
Michael Tsokos: Ist zwar noch etwas zugespitzt, aber doch schon denkbar. Die Diskussion wird sicher an Fahrt gewinnen, wenn bei solchen Operationen wirklich mal ein Patient stirbt. Und das ist absehbar.
Wir erwischen Sie gerade vor der Sommerpause Ihrer großen Vorlesungs-Tournee. Zufrieden mit dem Verlauf?
Michael Tsokos: Sehr. Ausverkaufte Hallen, ein Wahnsinnspublikum. Bei den spannenden Fällen kann man eine Stecknadel fallen hören. Danach musste ich oft bis zu drei Stunden meine Bücher signieren. Das ist dann doch schon sehr hart, wenn es am nächsten Morgen weitergeht, weil ich bis weit nach Mitternacht damit zu Gange bin.
Der Rockstar unter den Gerichtsmedizinern. Macht Sie das glücklich, wenn man Sie so bezeichnet?
Michael Tsokos: Glücklich ist das falsche Wort - aber es macht mir große Freude. Es ist eine tolle Rückmeldung. Sie ist besser als eine Platzierung auf den Bestsellerlisten, wo ich mit meinen Büchern auch immer lande. Es zeigt, dass ich den Menschen etwas gebe, dass sie fasziniert und ihnen Ablenkung von ihrem Alltag gibt. So ungewöhnlich es auch ist, denn mein Metier ist der Tod.
Welche Voraussetzungen sind für den Beruf wichtig?
Michael Tsokos: Man muss wissen, dass einige Leichen kaum noch wie Menschen aussehen und dass die Fäulnis gerade bei hohen Temperaturen im Sommer weit fortgeschritten sein kann. Auch der Geruch ist nicht sehr angenehm. Man muss sich aber auch bewusst sein, dass man vor der leeren Hülle eines Menschen liegt, der anderen einmal viel, vielleicht alles, bedeutet hat. Und der Gedanke macht mich immer wieder demütig.
Michael Tsokos: Ich habe ein Mordopfer mit eigenen Händen ausgegraben
Unglaublich viele Leichen seziert, über 200.000 Tote gesehen. Hat das Ihren Blick auf den Tod verändert?
Michael Tsokos: Den Blick auf den Tod nicht, aber ich habe einen anderen Blick aufs Leben gewonnen. Ich weiß schon lange, wie kostbar es ist, wie schnell es vorbei sein kann. Ich habe auch gelernt, dass man nie im Streit aus dem Haus gehen soll. Wenn dann einer der beiden stirbt, wird der, der zurückbleibt, sich das ein Leben lang vorwerfen, dass man nicht im Guten voneinander gegangen ist.
Was war der skurrilste Fall Ihrer Laufbahn?
Michael Tsokos: Zwei Leichen, ein Mann und eine Frau, in schwarzen, identischen Samtgewändern, die an einem wahrscheinlich selbstgebauten Gerüst hingen. Beide Schädel waren skelettiert, ihre Gesichter waren nach unten geflossen und hingen an ihnen wie ein Bart. Ich habe das mit einigen Entomologen, also Insektenforscher diskutiert, wir können uns immer noch nicht genau erklären, was da passiert ist. Dieser Fall bekommt in meinem im September neu erscheinenden Buch „Mit kaltem Kalkül“ eine tragende Rolle.
Und Ihr grausigster Fall?
Michael Tsokos: Als ich 2015 die Opfer des Kindermörders Silvio Schulz untersucht habe. Der hatte in seiner Kleingartenparzelle seinen eigenen Friedhof angelegt, und ich habe ein Opfer mit eigenen Händen dort in etwa einem halben Meter Tiefe ausgegraben. Ich war dann als Sachverständiger vor Gericht, hinter mir saßen die Mütter der ermordeten Kinder. Er selbst hat kein Wort gesagt. Das war sehr bedrückend.
Prof. Boerne im „Tatort“ aus Münster? Dr. Roth aus dem Kölner „Tatort“? Haben Sie einen Lieblings-Rechtsmediziner im TV?
Michael Tsokos: Ich bin kein „Tatort“- oder „CSI“-Freund, überhaupt kein Freund von irgendwelchen Rechtsmedizinern im Fernsehen. Die beiden machen einen guten Job als Schauspieler, doch das hat mit dem echten Leben nichts zu tun. Wer's mag ... Meins ist das jedenfalls nicht, weil es nur Klamauk ist und die Rechtsmedizin völlig falsch dargestellt wird.
Welches Geheimnis hätten Sie noch gern gelöst?
Michael Tsokos: Das von Nirvana-Sänger Kurt Cobain, der mit einem Kopfschuss tot aufgefunden wurde. Es heißt, das sei Suizid gewesen. Doch er hatte so viel Heroin in Blut, dass er sich nicht mehr hätte erschießen können. Seine Handlungsfähigkeit war durch die Droge aufgehoben, er war zu nichts mehr in der Lage in dem Zustand. Da würde ich mir gern ein eigenes Bild machen, aber die Unterlagen liegen im Giftschrank der Polizei in Seattle. Ich vermute, die wissen da genau, warum ...
Sie glauben auch nicht, dass Popsängerin Whitney Houston eines natürlichen Todes gestorben ist. Was macht Sie sicher?
Michael Tsokos: Ich bin davon überzeugt, dass sie ertränkt wurde. Das sagen viele – auch einige Ermittler in L.A., die an dem Fall viel näher dran sind als ich und mit denen ich in L.A. persönlich gesprochen habe. Whitney Houston wurde leblos in einer Badewanne gefunden, mit dem Gesicht nach unten, die Atemöffnungen unter Wasser. Doch das hat noch kein Rechtsmediziner erlebt, dass eine Leiche in einer Badewanne bäuchlings liegend gefunden wurde. Das gibt es nicht. Ich habe schon einige hundert Badewannenleichen seziert, die lagen alle auf dem Rücken in der Wanne.
Sie haben nach dem überraschenden Tod Ihrer Eltern im letzten Jahr angekündigt, dass Sie weniger machen wollen. Ist das passiert?
Michael Tsokos: Ich mache zwar nicht weniger, aber ich mache nur noch Sachen, die mir mehr Spaß und Freude bereiten. So habe mich von meinem Podcast „Die Zeichen des Todes“ verabschiedet, obwohl ich da bisher schon über 30 Millionen Aufrufe hatte. Ich habe auch die Serie „Obduktion – Echte Fälle mit Tsokos und Liefers“ auf RTLplus beendet. Irgendwie hatte sich das Format für mich abgenutzt, fühlte sich nicht mehr gut an. Die Produzenten und der Sender waren für Neues leider nicht offen. Und ich bin auch bei der Charité raus.
Dieser Abschied hat viele überrascht. Was war der Grund?
Michael Tsokos: Was ich da gemacht habe, war nicht mehr die Universitätsmedizin, für die ich mal gebrannt habe. Ich bin Hochschullehrer geworden, um Studenten was beizubringen. Als ich vor 17 Jahren an der Charité angefangen habe, hatte ich 13 Vorlesungen à 90 Minuten pro Semester, doch dann ist vor ein paar Jahren alles auf eine einzige Online-Vorlesung zusammengeschrumpft. Das ist kein Unterricht mehr, das ist nur noch ein Witz ohne Lerneffekt. Heutzutage wird der Transgendermedizin viel zu viel Raum eingeräumt und Fächer wie die Rechtsmedizin fallen hinten runter.
Können Sie sich auch ein Leben ohne Leichen vorstellen?
Michael Tsokos: Ja, natürlich. Was ich jetzt mache, macht mir Spaß, aber irgendwann ist es vorbei. Ich möchte nicht mit 70 immer noch das Gleiche machen wie jetzt. Dann gibt es keine öffentlichen Vorlesungen vor Tausenden von Leuten mehr und mit dem Schreiben ist dann auch Schluss. Spätestens in drei Jahren ist für mich Feierabend mit allem Beruflichen.
So viele Leichen gesehen, trotzdem hat Prof. Tsokos Angst vor dem Tod
Haben Sie durch Ihre Arbeit erreicht, dass bei einigen Menschen die Angst vom Tod geringer geworden ist?
Michael Tsokos: Definitiv! Ich glaube ..., nein, ich weiß, dass ich auf meinem Instagram-Kanal @dr.tsokos wichtige Aufklärungsarbeit leiste. Ich habe gerade einen jungen Mann getroffen, der mir sagte, er könne den Tod einer Eltern besser verstehen, seit er mir auf Instagram folgt. Der Tod habe für ihn nicht mehr diesen Schrecken.
Haben Sie jetzt weniger Angst vorm Tod?
Michael Tsokos: Nein, natürlich nicht, da ich jeden Tag sehe, wie plötzlich, brutal und unbarmherzig der Tod über Einen kommen kann.
Nach den vielen Erfahrungen – wie möchten Sie selbst nie sterben?
Michael Tsokos: Durch Krebs! Eine schlimme Vorstellung, von ihm innerlich aufgefressen zu werden.
Leben Sie selbst gesund?
Michael Tsokos: Sagen wir mal so: Ich schlag’ nicht über die Stränge. Ich rauche nicht, abgesehen von einer dicken kubanischen Zigarre ab und zu, und trinke Alkohol in Maßen, das bedeutet, dass ich auch mal ein halbes Jahr keinen Tropfen trinke, aber beim Italiener eine gute Flasche Rotwein nicht ausschlage ...
Das ist Michael Tsokos, der „Rockstar“ unter den Rechtsmedizinern
Michael Tsokos (geb. 23. Januar 1967 in Kiel). Leitete von 2007 bis 2023 das Institut für Rechtsmedizin in der Berliner Charité, aktuell Leiter des Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin-Moabit. Besuchte ein Gymnasium bei Kiel (Abi-Schnitt 3,0). Über den Medizinertest (Zweitbester im Bundesgebiet) erhielt er nach seiner Bundeswehrzeit einen Medizin-Studienplatz.
Er ist als Experte im In- und Ausland tätig (z. B. für das BKA bei der Identifizierung der Opfer von Terrorangriffen und Katastrophen). Sein Instagram-Kanal @dr.tsokos hat mehr als 600.000 Follower. Er ist Träger des schwarzen Gürtels (2. Dan) im Taekwondo, managte von 2017 bis 2018 den in Berlin lebenden, aus Serbien stammenden Kickboxweltmeister im K1, Dalibor Music. Er lebt in Berlin, ist verheiratet und fünffacher Vater. Nächster NRW-Termin: 8. Januar 2025, Gruga-Halle Essen.