In ARD-DokuSyrer erzählt seine Erfolgsgeschichte – jetzt hat er Angst vor der Stimmung im Land

Jessy Welmer im Gespräch mit Ammar Bilal. Der Syrer kam 2015 nach Deutschland und schrieb eine echte Erfolgsgeschichte. (Bild: ARD/NDR/beckground tv)

Jessy Welmer im Gespräch mit Ammar Bilal. Der Syrer kam 2015 nach Deutschland und schrieb eine echte Erfolgsgeschichte. (Bild: ARD/NDR/beckground tv)

Jessy Wellmer und Ingo Zamperoni reisen für die ARD durchs Land und fragen: „Was bewegt Deutschland?“ Ihre Gesprächspartner - vom Geflüchteten bis zur Unternehmerin - haben etwas zu sagen. Aber nur zu einigen Themen.

Migration, Wirtschaft und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine: Auf diesen drei Themenblöcken liegt nicht nur im aktuellen Bundestagswahlkampf der Fokus, auch Jessy Wellmer und ihr „Tagesthemen“-Kollege Ingo Zamperoni gliedern ihren neuen Reportagereise-Film „Was bewegt Deutschland?“ in diese Themenblöcke.

Darin reisen sie getrennt voneinander durchs Land und sprechen mit den Menschen vor Ort über das, was sie umtreibt. Wellmer und Zamperoni sind dabei die Zuhörer, die Nachfrager, diejenigen, die den Geschichten der Menschen Raum geben. Begleitet wird das immer wieder von blanken Zahlen, die ARD hatte von Infratest Dimap aktuelle Umfragewerte eingeholt.

In Bairawies gründete Grüner Aktionsbündnis gegen Flüchtlingsunterkunft

Die Reportagereise beginnt im Bundeskanzleramt. Recht pathetisch anmutend stellen Zamperoni und Wellmer mit Blick auf das Reichstagsgebäude die Frage: Welche Probleme sollte der neue Amtsinhaber angehen?

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Ingo Zamperoni unterwegs in Bairawies. Dort spricht er mit Wolfgang Köster (Mitte) und Johann Heimgreiter (rechts) vom Verein „Bairawies Aktiv“. (Bild: ARD/NDR/beckground tv)

Ingo Zamperoni unterwegs in Bairawies. Dort spricht er mit Wolfgang Köster (Mitte) und Johann Heimgreiter (rechts) vom Verein „Bairawies Aktiv“. (Bild: ARD/NDR/beckground tv)

Zamperoni beginnt seine Reise in Bairawies, südlich von München. Dort soll eine Flüchtlingsunterkunft für 128 Menschen gebaut werden, obwohl das Örtchen gerade einmal 280 Einwohnerinnen und Einwohner hat. Und die haben Angst, damit überfordert zu sein. Der Ortsvorsitzende der Grünen, Wolfgang Kloster, hat deshalb ein Aktionsbündnis gegründet und will den Bau verhindern.

Ingo Zamperoni im Gespräch mit der Unternehmerin und Investorin Janna Ensthaler. (Bild: ARD/NDR/beckground tv)

Ingo Zamperoni im Gespräch mit der Unternehmerin und Investorin Janna Ensthaler. (Bild: ARD/NDR/beckground tv)

Ein Grüner, der gegen den Bau einer Geflüchtetenunterkunft demonstriert? Ja, er sei dafür, dass man Hilfsbedürftige aufnehme, aber die Umstände müssten passen, erklärt er Zamperoni. Bairwawies habe keinerlei Infrastruktur, Sozialarbeiter seien nicht eingeplant, und man habe Angst vor Konflikten - innerhalb der geplanten Containerburg und auch von außen.

Kloster wünscht sich einen „echten Dialog“ mit den Verantwortlichen. „Wenn die uns erklären, wie das funktionieren soll, dann haben wir schon viel gewonnen“, sagt er.

Geflüchteter hat „Angst, dass alle Syrer wie Kriminelle behandelt werden“

Wie gelungene Integration aussehen kann, soll das Beispiel der Malerei Bollhagen in Bremen zeigen. „Das Land würde stillstehen, wenn wir keine Zuwanderer hätten“, sagt der Inhaber Peter Bollhagen zu Jessy Wellmer. „Das Fachkräfteproblem lässt sich nicht mit Stammtischparolen lösen. Ich brauche Leute, die Lust haben zu arbeiten, und keinen studierten Arzt.“

Jessy Welmer spricht mit dem Vorstandsvorsitzenden des Autombilzulieferers ZF in Friedrichshafen.  (Bild: ARD/NDR/beckground tv)

Jessy Welmer spricht mit dem Vorstandsvorsitzenden des Autombilzulieferers ZF in Friedrichshafen. (Bild: ARD/NDR/beckground tv)

FDP-Mitglied Bollhagen plant seinen Ruhestand, will Ammar Bilal zum Teilhaber machen. Der war 2015 aus Syrien geflohen und ist das Paradebeispiel einer Erfolgsgeschichte: Ausbildung im Betrieb, dann Geselle, und nun macht er an den Abenden und am Wochenende seinen Meister. Bilal sagt: „Ich will in Deutschland sterben, das ist meine zweite Heimat.“ Doch die aktuelle Stimmung im Land macht ihm Sorgen. „Ich habe Angst, dass alle Syrer wie Kriminelle behandelt werden, das habe ich auch zu spüren bekommen in der letzten Zeit.“

„Wir brauchen eine gesunde Beziehung zu Leistung zurück“

Im weiteren Verlauf der Reportage kommen weitere Stimmen aus der „Mitte der Gesellschaft“ zu Wort: Da ist der Vorstandsvorsitzende eines großen Automobilzulieferers, der früh auf E-Mobilität setzte und nun, so sagt er, wegen verfehlter Wirtschaftspolitik kurz vor der Pleite steht.

Jessy Wellmer und Ingo Zamperoni fragen in ihrer Reportagereise: „Was bewegt Deutschland?“ (Bild: ARD/NDR/Morris Mac Matzen)

Jessy Wellmer und Ingo Zamperoni fragen in ihrer Reportagereise: „Was bewegt Deutschland?“ (Bild: ARD/NDR/Morris Mac Matzen)

Da ist die Kölner Familie, die seit Generationen bei Ford arbeitet und sich wegen des geplanten Stellenabbaus sorgt. Da ist aber auch die Braunschweiger Unternehmerin, die sagt: „Wir haben keinen guten Spirit, wir brauchen eine gesunde Beziehung zu Leistung zurück und ein Gemeinschaftsgefühl.“

Und dann ist da noch der ehemalige Kriegsdienstverweigerer, der von Zamperoni als die „personifizierte Zeitenwende“ verkauft wird, weil er sich wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mit 51 Jahren zum Reservisten hat ausbilden lassen. Ihm werden zwei Mitarbeitende des Friedenskreises Halle gegengeschnitten.

Wichtige Themen fehlen im Wahlkampf - und auch in diesem Film

All diese Gesprächspartner vereint: Sie haben etwas zu sagen. Die einen freilich mehr als die anderen. Was sie zu sagen haben, ist nicht nur interessant, es spiegelt auch das, was die Bevölkerung im Land zu großen Teilen in diesen Zeiten umtreibt. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass etwas fehlt.

Die ebenfalls großen Themen Klimakrise, Digitalisierung, Wohnen, Pflege und Überalterung der Gesellschaft und Bildung spielen auch hier keine Rolle. Wenn schon die Parteien im Wahlkampf diesen Themen keine Aufmerksamkeit schenken, so hätte es dieser Reportage gutgetan, zumindest einen Teil davon aufzugreifen.

„Was bewegt Deutschland?“ ist am Montag, 17. Februar, 20.15 Uhr, im Ersten zu sehen und schon jetzt in der ARD-Mediathek, (tsch)