Sind die Abwässer der Metropolen dieser Welt ein Hort für neue Corona-Mutationen? Bereitet sich das Virus – bislang unbemerkt – dort darauf vor, uns irgendwann erneut zu überrumpeln? Mysteriöse Virus-Funde im Abwasser von New York stellen die Forscher derzeit vor viele Fragen.
Forschende stehen vor einem RätselMysteriöser Virus-Fund im Abwasser – „noch nie auf der Welt gesehen”
John Dennehy, Virologe am Queens College, ist beunruhigt. Seit Juni 2020 nimmt er zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Abwasserproben aus 14 Kläranlagen der Mega-Metropole New York City.
Sie überwachen so ganz gezielt die Corona-Lage in der Stadt, sequenzieren die Proben, analysieren die Menge der Viruslast, die von den Menschen in New York ausgeschieden wird. Und wissen so auch sehr schnell, ob neue Mutationen im Umlauf sind.
Nun haben sie seltsame Corona-Entdeckungen gemacht, die sie vor ein Rätsel stellt.
Wie die „New York Times“ berichtet, wiesen die letzten Proben sehr eigenartige Konstellationen von Mutationen auf. Die wurden noch nie zuvor bei Menschen entdeckt – ein potenzielles Zeichen für eine neue, bislang unentdeckte Variante.
Neben den Coronavirus-Varianten, die ohnehin bekannt sind – Delta oder Omikron zum Beispiel – gibt es nun neue, völlig mysteriöse Virus-Fragmente, die jede Menge Fragen aufwerfen. John Dennehy und sein Team zeigen sich besorgt – auch wenn derzeit noch nichts darauf hindeute, dass sie ein erhöhtes Gesundheitsrisiko für den Menschen darstellen.
Seltsame Corona-Funde: „Wurde noch nie auf der ganzen Welt gesehen“
„Beim Sequenzieren konnten wir die Covid-Varianten identifizieren, die New York gerade beschäftigen“, erklärt Dennehy der Zeitung. „Aber darüber hinaus sind wir auf Virus-Fragmente gestoßen, die eine einzigartige Konstellation von Mutationen aufweisen. Diese Struktur, die wir in dieser New-York-Variante gefunden haben, die wurde noch nie auf der ganzen Welt gesehen.“
Beobachtet werden diese neuen merkwürdigen Sequenzen schon seit längerem. Jetzt aber hat das Forschungs-Personal im Wissenschaftsmagazin „Nature“ auch öffentlich erklärt: Man habe keine Ahnung, was da los ist.
Die Forscherinnen und Forscher selbst sind hin- und hergerissen über die Herkunft der verdächtigen Virus-Fragmente. Einige sehen eine Erklärung darin, dass sie von Ausscheidungen von chronisch infizierten Menschen stammten. Immungeschwächte Menschen neigen dazu, das Virus schlechter abzuwehren, eine Mutation könnte bei ihnen leichter vonstattengehen.
Aber andere Expertinnen und Experten vermuten, dass sie möglicherweise von infizierten Tieren stammen, womöglich von der enormen Rattenpopulation der Stadt.
Corona-Fund in New York: Ratten schuld an neuer Variante?
Virologe Donnehy erklärt: „Wir fanden im Abwasser natürlich jene Spuren von Tierarten, die Menschen gegessen haben: Kuh, Schwein, Huhn, Schaf, Lachs. Aber all diese Tiere leben nicht in New York City und können daher nicht die Quelle sein.“ Anders sehe das bei Hunden, Katzen und Ratten aus.
Marc Johnson, ein Virologe an der University of Missouri, sieht ebenfalls die Ratten als mögliche Quelle. Sie streifen millionenfach durch die Stadt. In seinem Labor schuf er sogenannte Pseudoviren – harmlose, nicht replizierende Viren – mit denselben Mutationen, die in den gefundenen, mysteriösen Sequenzen vorhanden sind. Und siehe da: Diese Pseudoviren konnten sowohl Maus- als auch Ratten infizieren. Das ursprüngliche Coronavirus war dazu – anders als bei Hunden und Katzen – bislang nicht in der Lage.
Entwickelt sich das Virus in den Abwässern weiter? Um irgendwann als neue Mutation aus dem Nichts aufzutauchen, um den Menschen erneut zu überrumpeln?
Virologe: „Können nicht ausschließen, dass das Konsequenzen nach sich ziehen wird“
Das Problem: Bislang war in den Blutproben der New Yorker Ratten keine Anzeichen von Corona entdeckt worden. Die Suche geht also weiter, das Rätsel bleibt unbeantwortet. „Solange wir die Quelle für diesen Mutanten nicht kennen und nicht besser verstehen, was wir da sehen, können wir auch nicht ausschließen, dass diese Variante irgendwann einmal Konsequenzen nach sich ziehen wird“, sagt Donnehy.
Noch bestehe kein Anlass zur Sorge, die Spuren machten nicht den Anschein, als seien sie dazu in der Lage, eine neue Welle auszulösen. Zwar seien Mutationen entdeckt worden, die Resistenzen gegen Antikörper oder bestimmte Impfstoffe entwickelt hätten. Die sogar von einer anderen Quelle als einem Menschen übertragen werden könnten.
Neue Corona-Variante in New York: „Wichtig, Leute nicht zu beunruhigen“
Aber: „Es gibt überhaupt keinen Beweis dafür, dass die Virus-Partikel, die wir aus dem Abwasser isoliert haben, in irgendeiner Form infektiös sind. Es ist für uns wichtig, die Leute nicht damit zu beunruhigen, dass sie sich durch das Abwasser infizieren könnten“, erklärt Monica Trujillo, Mikrobiologin am Queensborough Community College. Die Fachleute jedenfalls suchen weiter nach der Quelle für die ominösen Virus-Funde.