FaktencheckMal ehrlich: Wie schlimm sind Inlandsflüge wirklich fürs Klima?
Immer mehr Menschen fliegen, obwohl es die umweltschädlichste Option ist, von A nach B zu kommen. Vor allem Inlandsflüge stehen in der Kritik. Im Gespräch erläutert Christoph Brützel, Professor für Aviation Management, wieso Klimaschützer und Politiker leider oftmals mit „alternativen Fakten“ argumentieren.
Herr Prof. Brützel, mal ehrlich, wie sinnvoll sind Inlandsflüge?Brützel: Zwei Drittel aller Inlandsflüge gehen nach Frankfurt oder München. Zu großen Teilen sind das Zubringerflüge für Reisende, deren Ziel innerhalb Europas oder der restlichen Welt liegt, aber eben nicht in Deutschland. Ansonsten sind Inlandsflüge stark durch Geschäftsleute und auf der Strecke von Köln/Bonn nach Berlin auch durch Beamte frequentiert. Insofern erfüllen sie einen Zweck und sind daher auch sinnvoll.
Inlandsflüge zwischen München und Nürnberg sind sinnvoll
Gilt das auch für die Strecke von München nach Nürnberg?Brützel: Auf den ersten Blick mag es fragwürdig sein, wieso die Lufthansa zwei Städte, die gerade einmal 150 Kilometer entfernt voneinander sind, per Flugzeug verbindet. Schaut man genauer hin, ist diese Verbindung aber total logisch und notwendig.
Wieso das?Brützel: Sie ist ein Paradebeispiel, um zu zeigen, wo es in Deutschland hakt. Beispiel: Ein Reisender, der von Nürnberg nach Bangkok fliegen will, benötigt mit dem Zug in der Regel gut zwei Stunden bis zum Flughafen im Erdinger Moos. Allein vom Hauptbahnhof München bis zum Airport sind es 45 Minuten. Das ist viel zu lang. Da ist ein Reisender am Ende von Nürnberg per Flieger über London oder Paris schneller in Bangkok. Das ist ökologisch zwar nicht gut, wäre zeitlich aber schneller. Dieses Szenario will die Lufthansa aber natürlich verhindern, um weiterhin Marktführer zu bleiben.
Wenn Klimaschützer und Politiker fordern, diese Strecke einzustellen, dann gehen Sie davon aus, dass Reisende – aufgrund der schlechten Anbindung – nicht auf die Bahn ausweichen, sondern zu einem anderen, internationalem Hub fliegen?Brützel: Ein Wechsel auf die Schiene würde nur funktionieren, wenn die Reisezeit auch wirklich wettbewerbsfähig wäre. Die Flugstrecke von Köln nach Frankfurt wurde zum Beispiel deswegen im Oktober 2007 eingestellt, weil Sie mit der Bahn nur knapp eine Stunde benötigen. Aber wer will schon als Geschäftsreisender von Hamburg nach Stuttgart mit der Bahn fahren?
Daten und Fakten
Klimakiller Flugzeug
Es gibt keine umweltschädlichere Option, von A nach B zu kommen, als zu fliegen. Es ist die energieintensivste Art der Mobilität und mit dem hohen Ausstoß von CO₂ sowie Stickoxiden und Wasserdampf in hohen Luftschichten ein absoluter Klimakiller. Alternativen müssen her, um unsinnige Flüge zu vermeiden. Zumal die zunehmende Flug-Nachfrage die technischen Effizienzfortschritte bei Flugzeugen höchstwahrscheinlich mehr als kompensieren wird.
Die Bahn muss attraktiver werden
Die Deutsche Bahn ist noch keine echte Alternative. Da nützt es auch nichts, dass sie in der Regel günstiger ist als das Flugzeug - selbst auf den Schnellfahrstrecken wie Berlin - München. Die DB muss attraktiver werden, verstärkt mit Komfort, kürzeren Reisezeiten sowie Pünktlichkeit punkten. Nur dann wird sie auch für Geschäftsreisende dauerhaft die erste Wahl.
Langzeitstudie: Bahnfahren deutlich teurer als zu fliegen
Eine europaweit durchgeführte Langzeitstudie des Marktforschungsinstituts Quotas im Auftrag der International Union of Railways UIC, dem Weltverband der Eisenbahnen, zeigt, dass Fliegen in der Realität gar nicht billiger als Bahnfahren ist - obwohl die Wahrnehmung eine andere ist. Untersucht wurden bei der vom Bahnverband bezahlten Auswertung zahlreiche Hochgeschwindigkeitsrelationen in ganz Europa, unter anderem Berlin-Frankfurt sowie München-Berlin. Auch die Strecken Stuttgart-Paris sowie Paris-Frankfurt flossen in die Untersuchung ein.
Erfolgreiches Marketing bei den Airlines
Airlines werben oftmals mit Lockangeboten. Ryanair hat im November 2018 1,94 € für einen Flug nach Mallorca haben wollen. Jedem Menschen muss klar sein, dass dieser Preis nicht ausreicht, die Kosten zu decken. Ebenso klar ist, dass nur ein Bruchteil, meist <10, der Passagiere zu diesen Kursen fliegen kann.
Wieso eine Kerosinsteuer schwierig umzusetzen ist
Würde auf das gesamte in Deutschland getankte Flugbenzin (auch für internationale Flüge) entgegen der Vereinbarungen eine Mineralölsteuer erhoben, hätte das hieraus erwachsende Steueraufkommen 2012 rund fünf Milliarden Euro betragen. Problem: Die Freistellung von Kerosin von der Mineralölsteuer beruht auf international verbindlichen Richtlinien der „Internationalen Zivilen Luftfahrt Organisation“ (ICAO), der sich alle Mitgliedsstaaten verpflichtet haben.
Keine Subvention in der Luftfahrt
Während die Deutsche Bahn ca. 29 Mio Euro an Energiesteuern zahlen muss und das Kerosin für Flieger nicht besteuert wird, zahlt die Luftfahrt ca. 1,2 Milliarden Euro an Luftverkehrsteuer. Ein Vergleich zwischen Bahn- und Luftverkehr ist grundsätzlich kaum möglich. Schaut man sich die Wirtschaftsdaten an, so erfolgt im Saldo keine Subvention der Luftfahrt. Der ökologische Schaden, der durch die Luftfahrt entsteht, ist hier nicht Gegenstand der Betrachtung.
Mehrwertsteuer-Anpassung bei der Bahn erforderlich
Deutschland zählt mit einer Besteuerung von Bahntickets mit aktuell 19 Prozent zu den Top-Nationen in Europa. Lediglich Kroatien (25%) und Griechenland (24%) verlangen mehr. Eine Absenkung auf 7 Prozent ist im europäischen Vergleich überfällig. Ob die Bahn die eingesparten ca. 500 Mio Euro an die Kunden weitergibt, ist jedoch völlig unklar.
Die Flugstrecke Frankfurt nach Stuttgart gibt es wiederum trotz der sehr guten Bahnanbindung immer noch, genauso wie die Verbindung von Düsseldorf nach Frankfurt. Ihre Erklärung?Brützel: Neben dem Zeitbedarf spielt bei Zubringerflügen auch die mit dem Umsteigeticket verbundene Garantie für den Anschluss eine sehr wichtige Rolle. Fluggesellschaften wollen verständlicherweise nicht dafür einstehen, wenn die Bahn Verspätung hat. Eine andere Erklärung kann auch die geringere Anzahl der ICE-Verbindungen im Vergleich zur Strecke zwischen Köln und Frankfurt sein.
Brützel: Es wird immer Inlandsflüge geben
Was muss passieren, damit es Inlandsflüge nicht mehr gibt?Brützel: Szenarien, nach denen spekuliert wird, dass bis 2035 keine Inlandsflüge mehr benötigt werden, halte ich für unrealistisch. Es wird immer Inlandsverbindungen geben. Zu den Hubs nach Frankfurt und München sowieso, und bei anderen Strecken hängt es von der Auslastung bzw. dem Fluggerät ab.
Bitte ein Beispiel.Brützel: Wenn es Strecken gibt, die aktuell nur eine Auslastung von knapp 50 Prozent haben, dann wird es schwierig, sie dauerhaft aufrechtzuerhalten. Die Einstellung der Strecke Köln/Bonn nach Leipzig (vgl. Destatis, Seite 44) könnte daher z. B. nur noch eine Frage der Zeit sein. Alternativ könnte sie aber auch statt mit einem Airbus A319 mit einer kleineren Maschine geflogen werden. Dann kostet ein Flug statt 80 Euro im Schnitt 130 Euro. Eine Flugstrecke lohnt sich fast immer, sofern eine Bahnfahrt für Hin- und Rückfahrt neun bis zehn Stunden dauert. Wenn ein Geschäftsreisender eine Tagesreise von Hamburg oder Berlin nach Stuttgart oder auch nur nach Köln machen will, dann wird auch 2035 eine Zugverbindung wegen der Reisezeiten keine wirkliche Alternative zum Flug bieten.
Wieso die Kerosinsteuer nicht wie gewünscht wirken wird
Robert Habeck, Parteichef der Grünen, hat jüngst gefordert, Kerosin für Binnenflüge normal zu besteuern. Dann hätte der Staat Mehreinnahmen in Höhe von etwa 500 Millionen Euro, so dass Bahntickets geringer besteuert werden könnten. Was halten Sie von diesem Vorschlag?Brützel: Das hört sich toll an und würde der Bundesregierung laut dem 26. Subventionsbericht 2018 sogar 570 Millionen Euro bringen. Ich bezweifle allerdings, dass diese Maßnahme den gewünschten Nutzen hat.
Inwiefern?Brützel: Einen zusätzlichen Anreiz bei den Airlines, effizientere Flugzeuge einzusetzen, schafft eine derartige Steuer nicht, da Kerosin mit Abstand der größte Kostenfaktor (Anm. d. Red.: 25 bis 45 Prozent) ist. Fluggesellschaften nutzen also ohnehin jede Möglichkeit, den Kerosinverbrauch und damit die Schadstoffemission zu senken. Hinsichtlich des Angebots und der Nachfrage wird zudem entgegen jeder praktischen Erfahrung unterstellt, dass eine Verteuerung des Rohstoffes zu einem Rückgang von Angebot und Nachfrage führt.
Das ist die feste Überzeugung vieler Politiker.Brützel: Mag sein, auch die EU-Kommission kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass über sogenannte pretiale Lenkungsinstrumente so etwas möglich sei. Empirisch ist aber evident, dass alle Versuche diesbezüglich gescheitert und ineffektiv sind. Denken Sie z. B. an die Ökosteuer, die auf Benzin eingeführt wurde. Hat sich dadurch der Autoverkehr signifikant verringert? Nein. Auf den Straßen fahren mehr Lkw und Autos denn je.
Möglicherweise wäre der Verkehr ohne Ökosteuer noch stärker gewachsen …Brützel: Das ist möglich, effektiv war sie dennoch nicht. Sie hat auch nicht verhindert, dass Menschen SUVs kaufen, also Autos, die relativ mehr Treibstoff verbrauchen als leichtere Autos mit aerodynamischem Profil. Auch in der Luftfahrt stimmt die Theorie nicht. Der Kerosinpreis hat sich z. B. zwischen 2015 und 2018 fast verdoppelt. Erhöhte Kosten für die Airlines haben aber weder zu Preissteigerungen geführt, noch das Wachstum gehemmt. Der Verkehr ist gewachsen, und die Preise sind gesunken.
Das Problem der Luftfahrt: Es gibt ein Überangebot
Welche Erklärung haben Sie dafür?Brützel: Der Wettbewerb setzt die theoretischen Wirkungsmechanismen außer Kraft. Es ist viel zu viel Kapazität im Markt. Die Angebotsentwicklung eilt der Nachfrage voraus.
Was würden Sie tun, damit weniger Flieger abheben?Brützel: Solange die EU-Kommission mit der Generaldirektion Wettbewerb dafür eintritt, auf Teufel komm raus den Wettbewerb zu befeuern und die Marktkonsolidierung zu verhindern, solange wird es auch keine steigenden Flugpreise geben. Erst wenn eine Konsolidierung zugelassen wird und sich die Anbieter friedlich einigen, wer welche Märkte bedient, entwickeln sich die Preise nach oben und der Verkehr wird nachfragegerecht. Empirischer Beleg: In den USA gab es sieben große internationale Carrier, heute sind es mit American Airlines, Delta und United drei und auch die Anzahl der Low Cost Carrier ist geschrumpft – dort entwickeln sich die Preise kontinuierlich nach oben.
Also darf der Wettbewerb nicht so stark unterstützt werden?Brützel: Genau. Eine zweite Variante wäre, Verkehrsrechte wieder einzuschränken und politisch zu mandatieren. Bei der Bahn oder dem Bus ist das zum Beispiel der Fall, im Luftverkehr nicht. Jeder darf in Europa dorthin fliegen, wohin er will – egal mit welchem Fluggerät.
Konsolidierung in der Luftfahrt: IAG, Skyteam und Stars Europe
Zurück zu ersten Variante: Wer würde nach einer Konsolidierung in Europa übrig bleiben?Brützel: Es wären im globalen Netzverkehr drei große Anbieter. Die IAG, heute bestehend aus den Airlines Iberia, Aer Lingus und British Airways, ergänzt um die anderen europäischen Mitglieder der One-World-Allianz, dann eine Gruppe aus den Star-Alliance-Carriern rund um die Lufthansa-Gruppe und schließlich die Skyteam-Mitglieder um Air France / KLM. Übrig bleiben werden auch einige Low-Cost-Carrier, allen voran Ryanair und easyJet und evtl. Wizz Air, und einige in Touristikkonzerne integrierte Flugbetriebe wie Tuifly und Thomas Cook Airlines. Für weitere Fluggesellschaften wird es eine Existenzberechtigung nur als Betrieb (Capacity Provider) geben, eine Entwicklung die im klassischen Regionalfluggeschäft ja bereits heute abgeschlossen ist.
Gibt es dann noch Airlines wie Alitalia, LOT, TAP Air Portugal oder SAS?Brützel: Über kurz oder lang werden die ehemaligen nationalen Fluggesellschaften unter europäischen Holdings konsolidiert. Wenn irgendwann die Lufthansa-Gruppe, SAS, TAP Air Portugal, LOT und die anderen Star-Alliance-Mitglieder unter einem Dach fliegen, dann mag dieses Dach nicht mehr Lufthansa AG heißen, sondern z.B. „Stars Europe Holding“. Wenn die Finanzkrise 2009 noch drei Jahre länger angedauert hätte, wäre das schon passiert. Aktuell ist der Leidensdruck noch nicht groß genug. Das heißt aber nicht, dass die Marken und Betriebe nicht weiterbestehen bleiben. Wenn eine „Stars Europe“ im Netzgeschäft aus Deutschland (hub-and-spoke, Anm. der Red.: Transport über einen Zentralknoten) operiert, dann wird die Marke und der Betrieb sinnvollerweise von Lufthansa gestellt, allein um außerhalb des europäischen Luftraums ECAA verkehrsrechtlich qualifiziert zu sein. In Kopenhagen gilt Entsprechendes für SAS und in Warschau für LOT. Was konsolidiert wird, ist das Netzmanagement und damit die Ergebnisverantwortung. Im dezentralen Geschäft hingegen ergibt eine Integration der Punkt-zu-Punkt-Flug-Aktivitäten unter der Marke Eurowings durchaus Sinn, wenn man den pan-europäisch agierenden Marktführern Ryanair und easyJet Konkurrenz machen möchte.
Luftverkehr und CO₂: „Da wird eine Sau durchs Dorf getrieben“
Themenwechsel: Das Fliegen generell wird aufgrund des hohen CO₂-Ausstoßes an den Pranger gestellt. Es gibt sogar eine gewisse Form von „Flugscham“. Brützel: Davon halte ich nichts. Der Nerz-Scham hat vor Jahren mal funktioniert, der Drang der Menschen, günstig Urlaub machen zu wollen, wird größer als die Flugscham sein. Wenn es eine Flugscham gäbe, wieso gibt es dann keine SUV-Scham? Jeder Fünfte fährt einen SUV und stößt überdurchschnittlich viel (Anm. d. Red.: im Schnitt ca. 132,5 Gramm) CO₂ pro Kilometer aus. Der Anteil an der CO₂-Emission ist deutlich höher als bei einem Flug. Es wirkt auf mich gerade so, als würden wir wieder mal eine Sau durchs Dorf treiben. Aktuell ist es der Luftverkehr in Bezug auf CO₂.
Wie kann denn der CO₂-Ausstoß verringert werden?Brützel: Der einzige effektive Ansatz ist die Deckelung der CO₂-Emissionen. Also das, was über den Emissionshandel für den Luftverkehr schon stattfindet. Wenn das Ziel lautet, den Ausstoß um 50 Prozent in den nächsten 25 Jahren zu verringern, dann werden jährlich zwei Prozent weniger Zertifikate ausgegeben. Je knapper die Emissions-Zertifikate, desto höher steigt der Preis.
Für das 1,5-Grad-Ziel des Weltklimarats wird das wahrscheinlich noch nicht reichen, aber apropos Preis: Es gibt Überlegungen, Bahntickets günstiger als mit 19 Prozent zu besteuern. Ihre Meinung?Brützel: Es ist ein Irrglaube, dass nur deswegen auf einmal alle Menschen Bahn fahren. Das wird nicht funktionieren. Wichtig ist, dass in den Ausbau der Strecken investiert wird, damit man schneller und fahrplangerecht in angemessener Frequenz von A nach B kommt.
Bahn vs. Flugzeug: Ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen
Oft wird argumentiert, dass Fliegen nicht günstiger sein darf, als mit der Bahn zu fahren...Brützel: Das ist aber regelmäßig ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. Wenn man ein Lockangebot für 24,99 Euro ohne Aufgabegepäck nach Berlin mit dem Normaltarif der Bahn vergleicht, wird das Bild verzerrt. Für einen innerdeutschen Flug müssen Airlines im Schnitt mindestens 80 Euro erlösen, damit bei einer Auslastung von 80 Prozent in einem Airbus 319 oder 320 die Vollkosten erwirtschaftet werden können. Bei der Bahn dürfte der Durchschnittserlös aufgrund der Sparpreise und der BahnCard-Rabatte niedriger sein. Schon heute wirbt die Bahn mit deutschlandweiten „Super-Spar-Preisen unter 30 Euro.
Der Bund und die Deutsche Bahn haben sich gerade auf ein 86-Milliarden-Paket geeinigt…Brützel: Ja, aber das ist Geld für die Sanierung des Bestandes. Ein höherwertiges Schienennetz, um 2030 doppelt so viele Menschen zu befördern wie heute, wird damit nicht aufgebaut.
Subventionierung im Luftverkehr? Wohl eher nicht...
Zurück zur Luftfahrt: Fluggegner kritisieren die hohe Subventionierung. Wie sehen Sie das?Brützel: Politiker und Klimaschützer argumentieren vielfach mit »alternativen Fakten«. Der Vorwurf einer ungerechtfertigten Subventionierung durch Steuerbefreiungen entspricht nicht den messbaren Realitäten. Die Deutsche Bahn ist der Verkehrsträger, der am stärksten vom Staat subventioniert wird, siehe die jüngsten Modernisierungspläne. Im Luftverkehr werden Flughäfen, Flugsicherheit und Luftsicherheitskontrollen vollumfänglich aus Gebühren finanziert (vgl. Faktendarstellung aus Mai 2019 auf airliners.de). Zudem müssen Airlines über das Europäische Emissionshandelssystem (ETS) für einen erheblichen Teil ihrer innereuropäischen Flüge CO₂-Emissionszertifikate zukaufen, die bereits systematisch die geforderte CO₂-Emissions-Abgabe beinhalten.
Und wie sieht es bei den Steuervorteilen aus?Brützel: Innerdeutsche Flüge sind genauso umsatzsteuerpflichtig wie innerdeutsche Bahnfahrten, da gibt es keinen Unterschied. Korrekt ist, dass internationale Flüge nicht umsatzsteuerpflichtig sind. Die Bundesregierung bezifferte den aus § 26 Abs. 3 UStG begründeten Entgang von Umsatzsteuern in 2012 auf rund 80 Millionen Euro (Deutscher Bundestag Drucksache 17/10724, Seite sieben, Anm. d. Red.: mittlerweile sind es ca. 100 Millionen Euro). Bei der Kerosinsteuer sind es die angesprochenen 570 Millionen Euro bei Inlandsflügen. Dem gegenüber stehen jedoch die Einnahmen aus der Luftverkehrssteuer, die 2011 eingeführt worden ist, um den öffentlichen Haushalt zu finanzieren. Im vergangenen Jahr 2018 hat der Bund also zwar insgesamt auf 650 Millionen Euro Steuereinnahmen verzichtet, dafür aber auch 1,175 Milliarden Euro über die Luftverkehrssteuer erhalten. Da kann per Saldo von einer steuerlichen Subventionierung des Luftverkehrs nicht die Rede sein. Zudem tragen die Airlines die Kosten für CO₂-Emissionszertifikate, während andere Verkehrsträger keine Emissionszertifikate benötigen.
Lufthansa gleicht CO₂-Ausstoß durch weiteren Zukauf von Zertifikaten aus
Inwiefern funktioniert der Handel mit den Zertifikaten, wenn sich Verkehrsmittel mit derart hohen Emissionen weiterhin auf Wachstumskurs befinden?Brützel: Der Zertifikatehandel ist m.E. das einzige effektive Steuerungsinstrument, wenn die Ziele zur Reduktion von CO₂-Emissionen nachhaltig erreicht werden sollen. Die Emissionen werden dort eingespart, wo es wirtschaftlich ist. Die Zielsetzung ist ja nicht, den Luftverkehr einzugrenzen, sondern die CO₂-Emissionen. Wenn der Luftverkehr wächst und hierzu Zertifikate erwirbt, für die an anderer Stelle entsprechend weniger CO₂ emittiert wird, dann sehe ich dies nicht als Indiz dafür, dass das System nicht funktioniert. Der Lufthansa-Konzern z.B. weist in seinem Geschäftsbericht 2018 (Seite 211) aus, dass er für 62 Prozent der durch innereuropäische Flüge verursachten CO₂-Emissionen (insgesamt 8,5 Millionen Tonnen) Zertifikate zugekauft hat. Der Preis für die Zertifikate am Markt bewegt sich derzeit durchaus im oberen Bereich des Korridors, der den Beschlussfassungen zum ETS zugrunde lag. Die jährliche Zuteilung der Zertifikate, bzw. die hierdurch zugelassenen Emissionsmengen, liegen m.W. auch im Korridor zum Erreichen der Reduktionsziele. Wenn die Emissionsziele für die einbezogenen Industrien politisch angepasst werden sollen, kann man beschließen, die jährlichen Kontingente der zugeteilten Zertifikate stärker zu reduzieren oder Zertifikate durch Rückkauf aus dem Markt nehmen. Dann wird der Marktpreis entsprechend steigen. Ob das dann dazu führt, dass der Luftverkehr weniger wächst, steht allerdings auf einem anderen Blatt.