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PersonalmangelChaos am Flughafen, Engpass in der Gastro: Wo sind denn all die Leute hin?

Fachkräftemangel und generelle Personalengpässe lähmen derzeit Teile unseres Lebens, angefangen in der Gastronomie bis hin zu aktuell chaotischen Zuständen im Flugverkehr.

von Stefanie Monien  (smo)

„Sag’ mir, wo die Leute sind …“ Angesichts des Personalmangels zahlreicher Branchen geht diese (abgewandelte) Liedzeile sicherlich vielen Menschen im Kopf herum – besonders mit Blick auf den chaotischen Ferienstart an manchen Flughäfen in NRW wie dem in Düsseldorf.

Bereits am Wochenende vor Sommerferienbeginn (Montag, 27. Juni 2022) machten sich Tausende auf die Reise. Wegen erwartbarer Engpässe bei Abfertigung und Sicherheitskontrollen mit großem Zeitpuffer – genützt hat das vielen, die in den Urlaub wollten, nichts: Sie standen stundenlang in schier endlosen Warteschlangen. Doch nicht nur an den Flughäfen ist die Personaldecke (mehr als) dünn. Viele Branchen klagen über Abwanderungswellen.

Chaos an Flughäfen in NRW wegen Fachkräftemangel

Die prekäre Lage am Düsseldorfer Flughafen sowie am Airport Köln/Bonn. Dazu Restaurants, die auf Sparflamme wirtschaften müssen – alles symbolhaft für den aktuellen Fachkräftemangel. Aber wo sind sie hin, die Menschen, die vor Pandemie-Beginn Ende 2019 unser Essen gekocht und serviert, unsere Koffer und Konzerttickets kontrolliert, unsere Haare und Brote geschnitten haben?

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Die IW-Expertin Filiz Koneberg auf einem undatierten Foto.

Filiz Koneberg, Expertin für berufliche Qualifizierung und Fachkräfte beim Institut der Deutschen Wirtschaft Köln

Filiz Koneberg, Expertin für berufliche Qualifizierung und Fachkräfte beim Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW), sagt im Gespräch mit EXPRESS.de: „Wir haben in Deutschland noch keinen flächendeckenden Fachkräftemangel. Aber Corona zeigt, dass der Abbau von Beschäftigung in Zeiten der Erholung zum Problem werden kann, wenn zusätzlich zu den geringeren Kapazitäten auch noch die Rekrutierung schwierig wird, weil man eben zu wenig Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt findet. Das macht es dann natürlich für die besonders betroffenen Branchen schwierig, den Aufschwung wieder zu schaffen.“

Personalmangel: Gastronomie in NRW sucht mehr als 170.000 Mitarbeitende

Das gilt zum Beispiel für den Flugverkehr (hier fehlen seit Ende 2019 rund 7200 Fachkräfte) sowie für die Gastronomie: Erst lagen die Branchen coronabedingt am Boden, nun fährt alles schnell wieder hoch. Im gleichen Tempo lassen sich aber die Leute nicht wieder finden. Und viele Bewerberinnen und Bewerber sind inzwischen wählerischer – weil sie es sich leisten können.

Denn das Angebot ist groß: Im Mai 2022 lag die Zahl offener Stellen in NRW bei mehr als 170.000 – Höchststand! „Am stärksten war der Anstieg in der Gastronomie“, sagte Christoph Löhr von der Bundesagentur für Arbeit in NRW: Um satte 145 Prozent schnellte die Zahl unbesetzter Stellen hoch. Laut Hotel- und Gaststättenverband Dehoga haben in Nordrhein-Westfalen 200 Betriebe angegeben, mehr als 50 Prozent ihrer Vollzeitstellen nicht besetzen zu können. 80 Prozent suchen zudem Mini-Jobber. Dazu – wie in anderen Branchen auch – Un- und Angelernte, Aushilfen, Teilzeitkräfte.

Personalmangel in NRW: Kräfte aus der Gastro wandern in Transportbranche ab

Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell sagte der „Zeit“: „Es ist faszinierend zu sehen, dass jetzt, mit dem entstandenen Mangel, klar wird: Wir können auch mit den An- und Ungelernten nicht weiter so schlecht umgehen.“

Laut Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) sind z.B. arbeitslos gewordene Servicekräfte aus der Gastronomie zu in der Krise gewachsenen Branchen wie Lieferdiensten, Test- und Impfzentren, Callcentern oder ins Transportwesen gewechselt. Dafür sprechen auch aktuell veröffentlichte Zahlen vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln: Zwischen den Jahresdurchschnitten 2019/20 und 2020/21 sank die Zahl der Beschäftigten im Gastro-Service um 40.000 – gleichzeitig ging auch die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen zurück.

Wie das? Vielleicht deswegen, weil Fachkräfte nicht nur die Branche wechselten, sondern viele sich auch selbstständig machten, Start-ups gründeten, ihr eigener Boss weitab von Schichtarbeit wurden und auch nicht mehr zurückwollen?

Enzo Weber vom IAB jedenfalls konstatiert, dass die Leute weder weggelaufen noch im großen Stil rausgeworfen worden seien. „In der Corona-Krise hat es deutlich weniger beendete Arbeitsverhältnisse gegeben als zuvor.“

Weg aus der Gastro: Auch Studentinnen und Studenten planen um

Und die vielen „Studis“, die ihr BaföG mit Kellnern aufbesserten? Auch sie sind nach dem „Corona-Kahlschlag“ in der Gastronomie abgewandert. Alexandra Feldhofer von der Studentenvermittlung Jobruf mit Sitz in Köln sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, welche Gelegenheitsjobs für Studierende nun relativ stabil seien – etwa Umzugs- oder Gartenhilfen.

Der Bedarf an Servicepersonal auf privaten Feiern sei riesig – das Angebot vergleichsweise gering. Zudem würden auch Studentinnen und Studenten mehr und mehr abwägen, wie viel sie neben dem Studium überhaupt arbeiten wollten.

Personalmangel: Bringt 42-Stunden-Woche die Rettung für gebeutelte Wirtschaft?

Was ist vom Vorschlag von Industrie-Verbandsboss Siegfried Russwurm zu halten, dem Fachkräftemangel durch die 42-Stunden-Woche entgegenzuwirken? „Generell ein komplexes Thema“, sagt Filiz Koneberg: „Wir werden mit dem Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand demografischen Wandel und Fachkräftemangel ganz neu erleben. Man kann nicht erwarten, dass sich die Lage entschärft. Wir werden viele solcher Vorschläge offen diskutieren müssen – unter dem Aspekt, wie wir es in Deutschland mit weniger Menschen schaffen, unsere Wirtschaft zu erhalten. Eine andere Möglichkeit wäre eine bessere Vereinbarung von Beruf und Familie, damit Teilzeitkräfte aufstocken können. Und mehr Zuwanderung. Darauf sind wir angewiesen, um in Zukunft unseren Fachkräfteengpass zu entschärfen.“

1,74 Millionen offene Stellen: Diese Branchen suchen Personal

Die Branchen mit den meisten offenen Stellen:

  1. Dienstleistungen: 491.600
  2. Unternehmensnahe Dienstleistungen (z.B. Wachdienste, IT): 418.300
  3. Verarbeitendes Gewerbe: 212.600
  4. Baugewerbe: 190.900
  5. Handel & Kfz-Reparatur: 167.600
  6. Verkehr/Lagerei: 88.600
  7. Information/Kommunikation: 68.000
  8. Öffentliche Verwaltung/ Sozialversicherung: 38.200
  9. Finanz-/Versicherungsdienstleistung: 31.900
  10. Land-/Forstwirtschaft: 16.000
  11. Bergbau/Energie/Wasser/Abfall: 15.700

Im ersten Quartal 2022 waren bundesweit 1,74 Millionen Stellen nicht besetzt. Gegenüber dem ersten Quartal 2021 stieg die Zahl offener Stellen um 612.500 (+54 %), so die Stellenerhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.