Fleisch, vegetarisch, veganWie wir wirklich gesund essen – Wissenschaftler räumt mit Vorurteilen auf

Es gibt in Sachen Ernährung immer neue Trends und Überzeugungen. Wie soll man da noch durchblicken? Hier kommt eine kleine Hilfestellung.

von Andrea Kahlmeier  (ak)

In kaum einem Land kochen die Emotionen, wenn es um Ernährung geht, so hoch wie in Deutschland. Auf der einen Seite werfen Vegetarier und Veganer (mittlerweile zwölf Prozent der Bevölkerung) Fleischessern vor, nicht an Tierwohl oder Klima zu denken. Umgekehrt kontert die Fleischfraktion, dass pflanzliche Ernährung auf Dauer schädlich sei.

Der renommierte Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach hat in seinem gleichnamigen Buch „Die größten Plant-Based Ernährungsmythen“ beleuchtet – sich fundiert wie sachlich die gesundheitlichen Vor- und Nachteile angeschaut. Wir stellen Mythen in Kurzfassung und das Fazit des Wissenschaftlers vor.

Mythos 1: Pflanzenbasierte Nahrung liefert zu wenig Nährstoffe

Dazu sagt Dr. Malte Rubach: „Wir ernähren uns in Deutschland bereits weitestgehend, also zu 62 Prozent pflanzenbasiert, und im Durchschnitt ist die Bevölkerung bis auf wenige Ausnahmen gut mit Nährstoffen versorgt.“ Die Auswertung der Studien habe ergeben, dass erst ein großes Risiko für Nährstoffmangel bestehe, wenn etwa vegane Ernährung nicht bewusst geplant werde oder dabei keine Nahrungsergänzungsmittel zum Einsatz kämen.

Er sieht dann ein gesundheitliches Risiko für Kinder, Jugendliche, Schwangere, ältere Menschen oder Sportler. Und rät, tierische Lebensmittel nicht vollständig vom Speiseplan zu streichen.

Mythos 2: Soja verursacht Brustkrebs

Das Entsetzen war groß. Vor einem Jahrzehnt hatte das Bundesamt für Risikobewertung Frauen in der Menopause davor gewarnt, Nahrungsergänzungsmittel mit hohem Gehalt an Isoflavonen, also Soja, zu konsumieren. Rubach rät zwar von Ergänzungsdiäten mit extrem hohen Mengen an Sojaprodukten ab, gibt aber für den normalen Konsum hierzulande Entwarnung, sowohl was das Brustkrebsrisiko als auch die Schilddrüsengesundheit angeht. Und nennt Zahlen: In Deutschland erkranken doppelt so viele Frauen an Brustkrebs wie in Japan. Dort isst man sieben Kilo Sojabohnen pro Kopf, bei uns gerade mal ein Kilo.

Dr. Malte Rubach ist Ernährungswissenschaftler

Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach.

Mythos 3: Pflanzenbasierte Ernährung verursacht Verdauungsstörungen

Stimmt, anfangs zumindest. Die meisten Menschen sind es aufgrund des zunehmenden Konsums von verarbeiteten und hoch verarbeiteten Lebensmitteln nicht mehr gewöhnt, einen hohen Ballaststoffanteil in ihrer Ernährung zu haben. Da kommt es dann zu Blähungen und Bauchschmerzen. Generell könne die pflanzenbasierte Ernährung die Verdauung indes fördern, so der Fachmann. Man müsse den Darm dahingehend nur etwas trainieren und ihm Zeit geben.

Mythos 4: Pflanzenbasierte Ernährung schützt vor Krebs

Andere Faktoren dürften da um einiges entscheidender sein. Laut der Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums gibt es fünf Aspekte der Ernährung, die das Krebsrisiko erhöhen oder senken können. Weniger rotes Fleisch beispielsweise, kein verarbeitetes Fleisch und weniger Salz sorgen demnach zusammen gerade mal für 2,8 Prozent weniger Krebsfälle. Dabei geht es vor allem um Dickdarm-, Brust-, Lungen-, Bauchspeicheldrüsen- und Magenkrebs. „Weniger rotes Fleisch heißt: weniger als 500 Gramm pro Woche“, so der Ernährungsexperte. Das sollte die Maßgabe sein. Entscheidender seien indes andere Faktoren, darunter Bewegung, Tabakkonsum sowie die familiäre und damit genetische Vorgeschichte.

Mythos 5: Pflanzenbasierte Ernährung hält schlank

Ach, wenn es so einfach wäre! Wir essen doch immer mehr Obst und Gemüse, doch der Anteil der Übergewichtigen steigt immer mehr an, zeigen Studien. Der Grund, so Rubach: „Eine zu hohe Aufnahme von Kalorien, die meist aus pflanzlichen Kohlenhydraten wie Getreideprodukten oder Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln stammen.“ Unabhängig vom Grad pflanzenbasierter Ernährung sei also nur bei einer kalorisch ausgewogenen Ernährung ein effektiver Schutz vor Übergewicht möglich.

Mythos 6: Pflanzenbasierte Ernährung macht starke Knochen

Da ist natürlich besonders die Wachstumsphase wichtig, die bedeutend für die lebenslange Knochengesundheit ist. Und hier warnt der Experte explizit: „Es ist möglich, dass durch eine stark pflanzenbasierte Ernährung oder rein pflanzliche Ernährung bereits in jungen Jahren der Grundstein für Osteoporose im Alter gelegt wird.“ Ein besonderes Augenmerk auf die Versorgung mit Kalzium sowie Vitamin D und ausreichend körperliche Aktivität sei in jungen Jahren besonders wichtig, wenn eine stark pflanzenbasierte Ernährung verfolgt wird.

Mythos 7: Margarine ist gesünder als Butter

Die Studienlage sei mehr als eindeutig, schmunzelt der Experte: Aus gesundheitlichen Gründen ist es nicht notwendig, auf die pflanzliche Alternativen umzusteigen. Einzige zwingende Ausnahme stelle eine Milcheiweißallergie dar.

Butter wird von einem Block geschnitten

Lecker, so schöne frische Butter auf knusprigem Brot. Aber ist Margarine nicht gesünder?!

Mythos 8: Fleischersatz ist gesünder als Fleisch

Ebenso wie bei Milchersatz könne nicht von einem echten Ersatz gesprochen werden, erklärt Rubach, da die ernährungsphysiologische Wertigkeit einfach nicht gegeben sei. Zur Deckung des Proteinbedarfs müsste Fleischersatz in entsprechend größeren Mengen gegessen werden. Aber macht das Sinn? Dann sollte man besser direkt Erbsen, Soja, Kartoffeln oder Getreide essen, die neben Protein noch eine Reihe weiterer wertvoller Nährstoffe liefern würden.

Mythos 9: Veganer und Vegetarier leben länger

Irrtum: Eine vegane, vegetarische oder pflanzenbasierte Ernährung verlängert das Leben nicht mehr oder weniger als jede andere nährstoffdeckende Ernährungsweise im Rahmen eines insgesamt gesundheitsförderlichen Lebensstils. Im Gegenteil: „Der Konsum tierischer Lebensmittel und insbesondere tierischen Proteins steht in einem positiven Zusammenhang mit einer höheren Lebenserwartung“, so Rubach.

Mythos 10: Nur pflanzenbasierte Ernährung ist nachhaltig

Pflanzliche Lebensmittel verursachen pro Kilogramm zwar einen geringeren Fußabdruck an Treibhausgasen als tierische Lebensmittel, doch wir essen davon deutlich größere Mengen. So summiert sich der Anteil aller pflanzlichen Lebensmittel zu einem beachtlichen Ausstoß an Treibhausgasen, der je nach Berechnung höher oder etwa gleich groß ist, wie der Anteil aller tierischen Lebensmittel. Rubach rechnet vor: „Schon bei einer Ernährungsweise, wie sie die DGE bis Februar empfohlen hat, würden die gesamten Treibhausgasemissionen der deutschen Ernährung bei deutlich reduziertem Fleischverzehr, aber erhöhtem Verzehr von Gemüse und Hülsenfrüchten, Getreide, Kartoffeln, Obst, Pflanzenölen, Fisch und Milch sowie Milchprodukten, sogar um zehn Prozent ansteigen.“ Landnutzung sowie Frischwasserverbrauch durch pflanzliche Lebensmittel in der deutschen Ernährung übersteigen den der tierischen sogar deutlich. Auch die Habitat-Störungen für Tiere seien vergleichbar.

Das Fazit vom Experten Dr. Malte Rubach

Was also tun? Den Kopf in den Sand stecken und alles beim Alten lassen? Nein! Rubachs Fazit: „Es gilt vielmehr, das gesamte Ernährungssystem weiterzuentwickeln und nicht einzelne Lebensmittel daraus zu streichen. Wir werden sie tatsächlich alle brauchen, um bald zehn Milliarden Menschen auf dem Planeten ernähren zu können.“