„Händchenhalten nicht erwünscht“DFB-Botschafter Hitzlsperger über Katar-WM und Homosexualität

Thomas Hitzlsperger, Vorstandsvorsitzender des VfB Stuttgart, steht vor dem Spiel im Stadion.

Thomas Hitzlsperger, hier am 3. März 2022 in Stuttgart, ist als TV-Experte im Einsatz. Er spricht sich für Mindeststandards bei Menschenrechten bei der WM-Vergabe aus.

DFB-Botschafter Thomas Hitzlsperger wird als ARD-Experte die Fußball-WM aus dem Studio in Mainz begleiten. Denn dass Katar sich das Turnier kaufen konnte, erzürnt den Ex-Profi, der sich nach seiner Karriere outete.

von Alexander Haubrichs  (ach)

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar wirft ihre Schatten voraus. Als Experte wird Thomas Hitzlsperger fungieren, aus dem WM-Studio in Mainz kommentiert er für die ARD das Geschehen. Das ist durchaus pikant, schließlich hat sich der ehemalige Boss des VfB Stuttgart nach der Karriere als homosexuell geoutet.

In Katar ist der Druck auf Homosexuelle nach wie vor groß, dazu kommt die schwierige Lage der Gastarbeiter. Als DFB-Botschafter für Vielfalt ist Hitzlsperger da natürlich gefragt und er findet deutliche Worte, wirbt aber für einen Spagat.

Thomas Hitzlsperger fordert Mindeststandards für Menschenrechte bei WM-Turnier-Vergabe

„Die Situation in Katar ist nicht gut, um es mal vorsichtig zu formulieren. Ich hoffe auf einen spannenden sportlichen Wettbewerb – aber die Personen, die die WM nach Katar vergeben haben, waren Verbrecher. In Zukunft sollten bei der WM-Vergabe Mindeststandards gelten, die erfüllt sein müssen.“

Als DFB-Botschafter für Vielfalt haben Sie eine wichtige Funktion im deutschen Fußball. Reisen Sie zur WM nach Katar? Waren Sie schon mal in dem Land?Thomas Hitzlsperger: Hinreisen zum Turnier werde ich nicht. Bastian Schweinsteiger und Esther Sedlaczek werden vor Ort in Katar sein, wir analysieren die Spiele von Mainz aus. Aber ich war vor Kurzem selbst einmal da, um mir ein Bild zu machen.

Was sind konkret die Bedenken, die Homosexuelle haben?Hitzlsperger: Ich wollte die Erfahrungen machen und sehen, wie die Bedingungen dort sind. Auch wenn es nur fünf Tage waren. Ich wollte sehen, wie die Menschen dort sind, wie sie ticken. Ich hatte keine Angst, obwohl mich Freunde gefragt haben: Bist du sicher, dass du hinwillst. Ich hatte keine Sorge, dass mir was passiert oder dass ich eingesperrt werde. Ich habe mit Menschen gesprochen, die in Katar leben und es war entspannter, als man hierzulande denken mag. Wenn zwei Männer Händchen halten, wird man dran erinnert, dass das in der Kultur nicht erwünscht ist, aber man wird nicht gleich eingesperrt. Aber ich mache mir nichts vor: Mir ist sehr bewusst, dass die Menschenrechtslage anders als hier ist. Die Situation ist nicht gut, um es mal vorsichtig zu formulieren.

Uli Hoeneß propagierte neulich einen positiven Effekt durch die Zusammenarbeit und die WM.Hitzlsperger: Ich will da nicht auf die Aussagen von Uli Hoeneß eingehen. Ich vertraue auf Menschen, die dort leben und NGOs, die die Situation dort beobachten. Wir reden über Katar, weil sie sich entschlossen haben, eine WM auszurichten. Und 2010 als sie den Zuschlag bekommen haben, waren sie nicht vorbereitet. Sie mussten in zwölf Jahren Stadien hochziehen, um der Welt zu zeigen, dass sie das auch können. Um das zu erreichen, haben sie Menschen unter Druck gesetzt, die Hotels bauen mussten, Stadien bauen mussten. Und dabei sind Menschen ums Leben gekommen.

Wie viel Fußballfest wird es in Katar geben?Hitzlsperger: Sie werden bemüht sein, um zu zeigen, dass sie das größte Sportevent der Welt reibungslos veranstalten können. Ich hoffe, dass es ihnen gelingt und die Fans vier Wochen anstandslos über Fußball sprechen können. Doch die Sorge bleibt, dass es weiter Themen geben wird, über die man berichten muss.

Wie wichtig sind Zeichen wie das Protest-Trikot der Dänen oder die deutsche Kapitänsbinde?Hitzlsperger: Es bleibt zu hoffen, dass die Menschen, die unterdrückt werden, auch nach dem 19. Dezember weiter Aufmerksamkeit bekommen werden. Aber das war selten der Fall. Normalerweise sollte so ein Fußball-Turnier allen Spaß und Freude bereiten, doch wir sind in einen Bereich vorgedrungen, der eigentlich alle nur noch frustriert. Und das ist mehr als schade.

An der Mannschaftsführerbinde, die Thomas Müller in England getragen hat, hat sich auch Kritik entzündet, weil man nicht die Regenbogenbinde trug. Dabei wollte man mit neun Nationen ein Zeichen setzen. Wird da die Latte zu hoch gelegt?Hitzlsperger: Ich verstehe den Gedanken, dass man nicht einen Wettbewerb haben wollte: Wer setzt das stärkste, coolste Protest-Signal? Am Ende kam der Vorschlag von den Niederländern und dem ist man gefolgt. Es ist ein Statement, aber weniger eine Provokation als eine Regenbogenbinde. Aber da merkt man auch als DFB, wie schwierig und nervig das alles gerade ist.

Hitzlsperger: Auch in Deutschland gibt es noch Diskriminierung

Ist die Diskussion nicht ein wenig bigott? In Deutschland bekommen wir es ja auch nicht hin, dass sich Spieler zu einem Outing entschließen.Hitzlsperger: Wir können nicht den DFB oder die DFL kritisieren, dass sich niemand outet. Es passiert sehr viel Gutes, aber die Entscheidung treffen die Menschen am Ende selbst. Manuel Neuer trug die Regenbogenbinde, es gibt schwul-lesbische Fußballklubs. Ich weiß, dass es ein großer Schritt ist. Aber es ist nicht nur ein Fußballproblem, sondern in unserer Gesellschaft ein Problem, weil man immer noch diskriminiert wird.

Warum sind die Frauen da so viel weiter als die Männer?Hitzlsperger: Das kann ich schwer erklären, sie gehen mit dem Thema offener um, das ist gut. Aber sie kämpfen mit ihren eigenen Problemen.

Nach der bereits umstrittenen WM in Russland nun das Turnier in Katar. Wie kann es zu solchen Fehlentscheidungen kommen?Hitzlsperger: Die Entscheidung wird von wenigen Menschen getroffen. Das System war so aufgebaut, dass man mit einfachen Mitteln einen kleinen Kreis überzeugen konnte, eine WM nach Asien oder in einen Golf-Staat zu vergeben. Die FIFA muss darauf achten, dass gewisse Mindeststandards erfüllt sind. Doch dort saßen und sitzen Menschen, die durch den Fußball versuchen, ihre Lebenssituation finanziell zu verbessern. Damals waren Verbrecher dabei, es gibt ein Foto, da sind fast alle tot oder inzwischen verurteilt – das sagt eigentlich vieles.

Hitzlsperger: 50+1 schützt deutsche Klubs vor Ausverkauf

Katar hat sich auch mit viel Geld in den Fußball eingekauft. Droht der Ausverkauf des Fußballs?Hitzlsperger: In Deutschland schützt uns 50+1, das ist ein scharfes Schwert, das den Klubs hilft, den Ausverkauf zu verhindern. Man kann Katar nicht vorwerfen, Geld in den Fußball zu stecken. Auf der anderen Seite ist immer einer, der das Geld annimmt. Die Kritik mussten die Bayern zuletzt einstecken auf der Mitgliederversammlung. Aber sie argumentieren: Wenn ihr Lewandowski und Co. hier haben wollt, dann brauchen wir das Geld. Und dann engagiert man PR-Agenturen, die irgendwie rechtfertigen helfen, warum man es nimmt.

In der Zwischenzeit war allerdings Wirtschaftsminister Robert Habeck zweimal in Katar, um in der Energiekrise die Geschäftsbeziehungen auszubauen.Hitzlsperger: Genau, da wird es noch mal komplizierter, wenn man bedenkt, wie viele deutsche Unternehmen dort Wirtschaft treiben. Da fällt es mir auch schwer zu argumentieren, warum die Sportler das boykottieren sollen. Es ist kompliziert, und da muss ich als Fußball-Experte sagen: Da schaue ich dann auf das Turnier.

Freuen Sie sich auf ein Fußball-Fest?Hitzlsperger: Als Fest würde ich es nicht bezeichnen. Ich freue mich auf einen spannenden sportlichen Wettbewerb, der nicht so langweilig ist wie die Bundesliga, wo man weiß, wie es ausgeht, weil die Verhältnisse so unterschiedlich sind. Im Gegensatz zum Handball kann man sich im Fußball keine Nationalmannschaft zusammenkaufen. Ich bin gespannt auf die deutsche Mannschaft. Werden sie Weltmeister oder erleben sie ein ähnliches Turnier wie in Russland? Was ist mit den Franzosen? Den Südamerikanern? Den Zuschauerinnen und Zuschauern ist zu wünschen, dass es ein spannendes Turnier wird, in dem der Sport im Mittelpunkt steht. Wir hoffen alle, dass wir während des Turniers nicht über weitere Todesfälle oder Menschenrechtsverletzungen berichten müssen. Schließlich wurde bereits im Vorfeld zu Recht ausführlich über die vielen negativen Begleitumstände dieser WM berichtet.