Der Wahl-Kölner Gianni Jovanovic hat eine jahrelange Odyssee hinter sich, bis er endlich ein freies und glückliches Leben führen konnte. Inzwischen kann er als Rom in Köln auch offen zu seiner Homosexualität stehen – homophobe Gewalt hat er aber auch schon in der Domstadt erlebt.
Gianni JovanovicDer schwule Aktivist organisierte einst den ersten Kölner CSD-Wagen für Sinti und Roma
Gianni Jovanovic (46) führt heute ein selbstbestimmtes, glückliches Leben in Köln. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Seit 2012 ist er mit seinem Mann verpartnert, 2021 haben sie in Köln geheiratet. Ein Paar sind die beiden seit rund 20 Jahren.
„Ich bin der Gianni geworden, den ich als kleiner Junge immer als Vorbild hatte und mir gewünscht habe“, sagte der Moderator und Aktivist einst im Podcast („Wohnung 17“) mit Bettina Böttinger. Schöne Worte, doch um an diesen Punkt zu kommen, musste der 46-Jährige viel einstecken, wie er im Interview mit EXPRESS.de erzählt.
Gianni Jovanovic wurde mit 14 Jahren zwangsverheiratet
Die Einstellung, die Gianni heute hat, ist nicht selbstverständlich. Denn der Moderator („Drag Race Germany“), Autor („Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“) und Aktivist, der heute auch als studierter Dental-Hygieniker in Köln arbeitet und seine eigene Praxis betreibt, hatte es wahrlich nicht leicht im Leben.
1978 in Hessen als Rom geboren, wuchs er in einer sehr konservativen Familie auf. Schon als kleiner Junge erfuhr Gianni Jovanovic Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Er wurde mit seiner Familie, als er gerade einmal vier Jahre alt war, Opfer eines Brandanschlags von Neonazis, die Molotowcocktails auf Unterkunft der Familie, damals in Darmstadt, warfen. Als die Familie aus dem brennenden Haus floh, wurde sie von den Tätern mit Steinen beworfen. Gianni wurde von einem Pflasterstein am Kopf getroffen, eine Narbe erinnert ihn bis heute an diese traumatische Erfahrung.
Mit erst 14 Jahren wurde er zwangsverheiratet – mit einer Frau. Dabei dämmerte ihm schon ein Jahr zuvor, dass er Männer mag. „Ich habe mir zum Beispiel die Playgirl geklaut“, erzählt er lachend. Doch zunächst schob er seine Gedanken in diese Richtung alle beiseite. Mit 16 bekamen er und seine (nun) Ex-Frau schließlich ihr erstes Kind, einen Sohn. Mit 17 wurde er zum zweiten Mal Papa, dieses Mal von einer Tochter.
Gianni Jovanovic hat heute, mit 46 Jahren, bereits zwei erwachsene Kinder und ist inzwischen sogar stolzer Opa – er hat drei Enkel.
Im Jahr 1997 ist Gianni mit seiner Familie nach Köln gezogen. Mit Anfang 20, zu Beginn der 2000er Jahre, hat er seiner damaligen Frau eröffnet, dass er Männer liebt. Seine Familie sei zwar nicht bereit dafür gewesen, sagt er, jedoch sei Gianni bewusst geworden: „Du lebst in einem Land, das dir die Möglichkeit dazu gibt, so zu leben, wie du es willst. Die Gesellschaft um dich herum ist durchaus bereit, dich als schwulen Mann anzuerkennen.“ Er wollte seine Familie nicht länger belügen.
Auf dem queeren TikTok-Kanal von EXPRESS.de könnt ihr euch Coming-out-Videos und andere Beiträge zu queeren Themen ansehen
Köln hat im Leben des Moderators einen hohen Stellenwert. „Erst hier konnte ich anfangen, meine Queerness zu leben. Ich hab so viel Liebe, so viel Schutz erfahren von meinen Freunden und in den queeren Clubs, Bars“, sagt Gianni. Seine Freunde hätten ihn ermutigt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Doch der Schritt, seiner Frau von seiner sexuellen Orientierung zu erzählen, war nicht leicht. „Sie hat sofort angefangen zu weinen und meinte ,Was redest du da?'“
Nach diesem ersten Outing kam einige Jahre später das zweite Outing, als Gianni seiner Frau sagte, sich in einen Mann, seinen heutigen Partner, verliebt zu haben. Erst dieses Geständnis besiegelte auch das Ehe-Aus der beiden. Zuvor waren sie der Kinder wegen zusammen geblieben, trotz seiner Homosexualität.
Als Gianni schließlich von zu Hause ausgezogen ist, sein Sohn war knapp zwölf Jahre alt, haben auch seine Kinder erfahren, dass er schwul ist. „Papa, ich wusste das“, habe sein Sohn nur gesagt. Und auch für Giannis Tochter sei das Outing keine große Sache gewesen. „Es ist mir egal, was du bist. Du bist mein Papa“, versicherte sie ihm.
Gianni konnte die Zwangsheirat seine Sohnes nicht verhindern
Obwohl Gianni Jovanovic als erster in seiner Familie die festgefahrenen Konventionen durchbrach, konnte er die Zwangsheirat seines Sohnes nicht verhindern. Der traurige Grund: „Während der Trennungsphase von meiner Frau hatte ich rund ein Jahr kaum Kontakt zu meinem Sohn und dem Rest der Familie. Das ist heimlich hinter meinem Rücken passiert. Ich habe das erst erfahren, als es schon zu spät war.“
Diese Erfahrung war für den Kölner „als hättest du mir eine noch nicht verheilte dicke große Narbe in meinem Herzen nochmal aufgeschnitten“, erzählt Gianni mit bedrückter Stimme.
Inzwischen sei sein Sohn aber von seiner ersten Frau getrennt und habe neu geheiratet. Mit einer Frau, die er sich selbst ausgesucht habe. Giannis Tochter blieb eine Zwangsheirat erspart.
In Köln fühlt sich der queere Aktivist bis heute wohl und sicher – und das, obwohl er sogar hier schon physische, homophobe Gewalt erlebt habe. Er und sein Ehemann wurden Anfang der 2000er verprügelt. Vor einer Brauerei am Rudolfplatz. Abends, mitten in der belebten Innenstadt.
Gianni und sein Mann wurden mitten in der Kölner Innenstadt verprügelt
Das Paar stand draußen vor dem Laden, Gianni rauchte eine Zigarette. „Plötzlich standen drei junge, sehr kräftige Männer vor uns, die ein deutliches Problem damit hatten, dass wir uns geküsst haben. Wir waren erst zwei Jahre zusammen. Dann haben sie uns beleidigt, mich auch noch wegen meiner Herkunft.“
Die Männer brachen Gianni zwei Rippen, er hatte Verletzungen im ganzen Gesicht, sein Trommelfell war angerissen. „Ich war richtig kaputt“, berichtet Gianni mit nachdenklicher Stimme. Schockierend: Die Täter konnten dank Überwachungskameras ermittelt werden, bekamen aber eine lächerliche Strafe. Alle drei musste je nur rund 150 Euro bezahlen. „Das war sehr demütigend“, so Gianni.
Homosexualität oder Queerness habe laut Gianni dennoch einen anderen Anerkennungsstatus in Deutschland als Sinti und Roma. Schlicht, weil es mehr Überschneidungen mit der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft gibt.
Etwa 500.000 Sinti und Roma wurden im Holocaust ermordet. Nach jüdischen Menschen sind sie die größte Opfergruppe. Was beide Minderheiten gemein haben: „Sie müssen innerhalb von Europa immer noch um ihr Leben fürchten. Dass sie auf offener Straße umgebracht werden könnten. Das ist real“, betont Gianni.
Heute ist der 46-jährige Kölner bekannt als der erste schwule Rom in Deutschland, der sich öffentlich geoutet hat. 2015 hat er in der Domstadt einen Roma-und-Sinti-Wagen auf dem Christopher Street Day organisiert. Etwas Besonderes, denn es war hierzulande das erste Mal, dass Roma und Sinti auf einer Pride sichtbar waren. Im selben Jahr gründete Jovanovic die Initiative „Queer Roma“. Diese fließt inzwischen schon einige Jahre in Giannis Projekt „Kleine Mehrheiten“.
In diesem Rahmen macht er Bildungsarbeit, hält Vorträge und gibt Workshops. Gemeinsam mit seiner Freundin, der freien Journalistin Oyindamola Alashe, veranstaltet er auch interkulturelle Varieté-Empowerment-Shows („WeArtHere!“). Für 2025 sind vier solcher Shows geplant.
Mit dabei sind viele verschiedene Künstlerinnen und Künstler, in der Regel aus Köln, die allesamt eine Marginalisierung haben, erklärt Gianni. Und nennt einige Beispiele: „eine weiße trans Person, die singt. Eine muslimische Lesbe im Rollstuhl, die moderiert. Oder ein Comedian, der taub ist und Comedy macht“.
Angst vor Konservatismus und dem Erstarken der AfD
Mit Blick auf die politische Lage in Deutschland und die anstehenden Neuwahlen hat der Autor Sorge, „dass die extremistischen Parteien jetzt auch auf Bundesebene nochmal zulegen, sodass die anderen Parteien Probleme haben, Koalitionen zu bilden“.
Trotz allem ist Gianni aber fest davon überzeugt, „dass die größte Mehrheit in diesem Land nicht die Ideologie der AfD” teile.
Gianni Jovanovic betont im Gespräch mit EXPRESS.de: „Ich bin nicht repräsentativ für alle Sinti und Roma in Deutschland und Europa, die unter dem strukturellen Rassismus leiden. Weil ich es geschafft habe, aus ganz ärmlichen Verhältnissen, heute jemand zu sein, der eine Erfolgsgeschichte vorzuweisen hat.”
„Es ist ein bisschen so eine ,vom Tellerwäscher zum Millionär'-Story (lacht). Vielleicht schaffe ich es dadurch, eine Brücke für Menschen zu bauen, die Vorurteile gegenüber Sinti und Roma haben. Das Problem ist aber, dass die meisten Sinti und Roma immer noch unter sehr starken Ausgrenzungen im Alltag leiden“, so Gianni weiter.
Gianni Jovanovic plant „sehr persönlichen“ Podcast mit Tochter
Aktuell arbeitet Gianni Jovanovic an einem Podcast, gemeinsam mit seiner Tochter Vanessa, die ihm im Übrigen sehr ähnlich sei. Immerhin beträgt der Altersunterscheid der beiden auch nur 17 Jahre.
„Es ist ein sehr persönlicher Podcast“, sagt er. Die beiden wollen dann auch über Politik sprechen – vor allem soll es aber um ihr Vater-Tochter-Verhältnis gehen. Drei Folgen haben sie schon aufgenommen. Anfang des Jahres soll die erste Ausgabe online gehen. Ein genauer Termin steht noch nicht fest.