Hier wohnte SchumiDas langsame Sterben von Kerpen-Manheim
Kerpen – Ein kleines Lego-Duplo-Auto liegt in der zugewachsenen Einfahrt eines Einfamilienhauses. Vergessen von irgendeinem Kind, das hier in längst vergangenen Tagen spielte.
Ein Haus weiter stehen Blumentöpfe auf der Fensterbank. Tische und Stühle im Wohnzimmer. Aber es ist kein Mensch weit und breit zu sehen.
Unheimlich, beklemmend und surreal. Willkommen in dem verlassenen Dorf Manheim am Rande von Köln – dem Ort, den sich der Tagebau Hambach holt.
Traumhäuser sind verlassen und verrammelt
Wer sich am Tag nach Manheim verirrt, der wird sofort dieses merkwürdige Gefühl verspüren: Hier stimmt etwas nicht.
Ein Traumhaus neben dem anderen. Aber an allen Häusern sind die Rollläden heruntergelassen oder dicke Bretter schützen Fenster und Türen. Keine Menschenseele ist zu sehen. Keine Autos parken in den Einfahrten.
Ja, dieses Dorf ist wirklich wie ausgestorben. Es scheint, als seien die meisten Menschen sogar Hals über Kopf abgehauen.
Sogar die Vögel zwitschern hier nicht mehr
Totenstille. Kein Vogelzwitschern ist zu hören. Selbst die Piepmätze haben diesen tristen Ort wohl verlassen. Aber was bitte ist hier passiert, fragt man sich. Die Antwort: Dieses Dorf wird für den Abbau von Braunkohle von der Landkarte verschwinden. RWE Power kaufte das ganze Dorf auf. Gut zehn Kilometer entfernt leben nun diese ehemaligen Dorfbewohner - in Manheim-neu.
Nachts kommen dunkle Gestalten ins Dorf
Nachts, wenn es dunkel ist, erwacht das Manheim-alt langsam. Denn dann kommen sie - Plünderer, Ganoven, Einbrecher. Oder Jugendliche, die Bock auf einen „Lost-Place“ haben. Kaum ein Haus, das noch seine Dachrinne besitzt. Denn der Ort ist ein El-Dorado für Metalldiebe.
Auch das ehemalige Haus von Schumi wird abgerissen
Sogar an dem früheren Wohnhaus des berühmtesten Einwohners, Formel-1-Legende Michael Schumacher, fehlt die Rinne. Das braun geklinkerte Haus wird als eines der letzten Objekte vom Bagger platt gemacht.
Zwar ist der Werkschutz von Strom-Gigant RWE-Power unterwegs. Aber für die Sicherheitsleute ist nicht immer sofort zu erkennen, ob Diebe in den Transportern sitzen oder Handwerker, die das Dorf langsam entkernen. Und so „verdient“ jeder irgendwie noch an dem Ausschlachten eines ganzen Dorfes.
Die letzten Bewohner wollen nicht drüber sprechen
Noch 26 Häuser sind von den Dörflern bewohnt. Diese Menschen wollen nicht sprechen. Für sie ist es schwer, zu gehen. Sie zögern es hinaus.
Einige Ältere trösten sich mit der Vorstellung, nicht mehr zu leben, wenn eines Tages ihr Haus abgerissen wird.
Sie haben keine Kraft, keinen Mut mehr, ihre Heimat zu verlassen. Das Dorf hinter sich zu lassen, in dem sie jeden Menschen, jeden Winkel, jeden Stein kannten.
Und immer wieder gibt es Einbrüche
Heinz Adam Schiffer (66) ist so einer, der das Dorf kennt wie kein anderer. Seine gesamte Familie besaß hier Häuser. Er selbst hat noch eine alte Halle hier, in der er Reparaturen für das Tambourcorps „Einigkeit Berrendorf-Wüllenrath“ durchführt.
Der leidenschaftliche Karnevalist wurde auch bereits Opfer von Dieben: „Kein Haus, dass keine Aufbruchspuren hat. Das ist eine Schande. Mir haben sie einen VW-Polo geklaut, sind damit über die Felder gebrettert.“
Wehmut, als das Jugendzentrum jetzt schloss
Erst vor wenigen Wochen war er dabei, als das Jugendzentrum im Ort für immer geschlossen wurde. Eine traurige Veranstaltung, zu der viele Ehemaligen kamen.
„Da waren Freunde, die man schon seit 20 Jahren nicht gesehen hatte. Viele habe ich gar nicht mehr erkannt. Der Tag war einerseits toll, andererseits wussten wir alle, dass wir uns hier nie wieder sehen werden. Da war viel Wehmut dabei.“
Die Bagger sind in der Ferne zu hören
Während er das erzählt, steht er mitten auf der Hauptstraße. Kein Auto weit und breit ist zu sehen.
Nur ein schwerer Kipper kommt irgendwann angedonnert. In weiter Ferne ist das notorische Hämmern zu hören – die Bagger, die sich ein Haus nach dem anderen vornehmen.
„Wir beseitigen täglich im Schnitt ein Haus, je nach Größe“, erzählt ein Bagger-Führer.
Baggerführer ist der traurigste Job der Welt
Zuvor rückt ein Bautrupp an, entfernt Dämmwolle oder Asbest-Platten. Erst, wenn der Sondermüll entsorgt ist, kommt der dicke Greifarm-Bagger und rupft die Holzbalken vom Dachgestühl.
„Es ist der traurigste Job, den man machen kann, diese Traumhäuser zu zerstören“, sagt der Bagger-Mann. „Aber er muss ja gemacht werden.“
Magdalena, der letzte Engel im Ort
Sie lächelt voller Verständnis, als die Kinder um sie herum toben. Seit drei Jahren leitet sie im Gemeindehaus Manheim, dass sonst komplett leer ist, die Hausaufgaben für Flüchtlingskinder.
Magdalena Schumacher könnte es sich auf ihrer Terrasse im Schatten gut gehen lassen, reisen oder andere Senioren treffen.
Flüchtlingskinder sind glücklich und lachen
Aber Magdalena sagt: „Das hier, das macht mir Spaß. Es erfüllt mich mit Freude und Zufriedenheit, wenn ich diesen Kindern helfen kann. Sie sind glücklich und lachen, wenn sie bei mir sind. Eine schönere und sinnvollere Beschäftigung kann man im Alter nicht haben.“
Nur – auch für sie heißt es eines Tages Abschied nehmen. Denn sie fing mit 30 Flüchtlingskindern aus Syrien und dem Iran an. „Jetzt sind es nur noch acht.“
Ex-Bewohner wollen den Ort nie mehr betreten
Den ganzen Tag lang trifft der letzte gute Engel niemand im Dorf.
„Die, die hier lebten, kommen nicht mehr in den Ort. Sie wollen das nicht sehen, wie ihre Häuser zugewachsen sind, wie sie zerfallen. Das schmerzt zu sehr. Die meisten wollen nur eins: Diesen Ort nie mehr betreten und vergessen.“