„The Only Naomy“ hat eine bewegte Vergangenheit. Als Kind entwickelte die Dragqueen einen Selbsthass, weil sie nicht in die Norm passte. Heute wird sie genau deswegen gefeiert und geliebt. Mit EXPRESS.de hat die Kölnerin darüber gesprochen, wie es dazu kam, dass ihr Papa inzwischen ihr größter Fan ist.
Queer-Award-GewinnerinDrag-Künstlerin „The Only Naomy“: „Mein Vater ist mein Nummer-Eins-Fan“
Als die Kölner Dragqueen „The Only Naomy“ (24) spät abends am Tag der Verleihung der EXPRESS QUEER AWARDS nach Hause kam, verdrückte sie ein paar Tränen. Den Preis habe sie als „manifestierte Wertschätzung” für all das, was in den Monaten davor passiert ist, empfunden.
Denn emotional hatte Robin, so Naomys bürgerlicher Name, eine emotionale Achterbahnfahrt hinter sich. Seit seiner Teilnahme an der TV-Show „Drag Race Germany“ (2023, Paramount+) hat er auch negatives Feedback erfahren, vor allem auf Social Media. Zeitweise wünschte er sich sogar, die Ausstrahlung der Show stoppen zu können.
Naomy war Teil der Pre-Show bei „RuPaul’s Drag Race“ in Köln
Doch die Kölner Dragqueen hat weitergemacht. Und wurde belohnt. Ein besonderes Highlight für sie sei die „RuPaul’s Drag Race – Werq the World“-Tour in der Lanxess-Arena gewesen. Zusammen mit anderen Drags war Naomy Teil der Pre-Show und performte vor tausenden Menschen. „Das war so krass“, erzählt sie im Interview mit EXPRESS.de.
Hätte der kleine Robin mit zwölf Jahren schon gewusst, dass er seine Leidenschaft einmal so frei ausleben kann, und damit auch noch Geld verdient, wäre er wohl überglücklich gewesen.
Prägende Erfahrung als Kind: Blick in den Spiegel brachte sie zum Weinen
So berichtet der heute 24-Jährige, der aus einem kleinen Ort im Oberbergischen Kreis in der Nähe von Waldbröl kommt, von einem prägenden Erlebnis aus seiner Kindheit: „Meine Oma war Schneiderin und hat früher die Kostüme für das Kinder-Prinzenpaar genäht. Sie hatte also auch das wunderschöne Kinderprinzessinnenkleid zu Hause hängen. Als sie nicht daheim war, bin ich zu ihr rüber, sie wohnte direkt neben uns, habe das Kleid angezogen, ganz still und heimlich. In diesem Moment habe ich mich so schön wie noch nie gefühlt.“
Im Prinzessinnenkleid sei Robin fröhlich durch das Haus seiner Oma getanzt. Doch irgendwann schaute er in den Spiegel und musste weinen. „Weil ich realisiert habe: So schön, wie ich mich innerlich fühle, so hässlich fühle ich mich nach außen, wenn ich mich sehe. Das war für mich eine ganz krasse Erfahrung. Das war hart.”
Für Robin sei es der vielleicht erste Moment gewesen, in dem ein Funke Drag in ihm aufgekommen sei. Denn: „Hätte ich da zum Beispiel eine Perücke gehabt, ich glaube, ich hätte sie sofort aufgesetzt und weitergetanzt.“ Doch stattdessen habe er im Laufe der Jahre einen Selbsthass entwickelt. Es ging so weit, dass er sich über eine Essstörung selbst dafür abgestraft hat, nicht in die gesellschaftliche Norm zu passen.
Mit 15 Jahren war Robin das erste Mal auf der Kölner Schaafenstraße feiern. „Das war leider keine gute Erfahrung. Als beeinflussbares Kind in diese Räume zu kommen, ist ganz schwierig.“ Jedoch sei er immer ein Mensch gewesen, der sehr kopfstark war, betont Robin. Was auch an einem gefühlt sicheren Ort für queere Menschen von Bedeutung ist. Denn: „Nicht jeder alte Mann, der dir einen Wodka ausgibt, hat die nettesten Absichten. Zu erkennen, wenn dich jemand ausnutzen will, lernst du erst dort. Ich bin froh, dass ich mich nicht von Geld habe locken lassen.“
„The Only Naomy“ schwärmt von ihren Drag-Mamas in Köln
Aber wie kam der Jugendliche überhaupt mit Drag in Berührung? EXPRESS.de erzählt Robin, dass er damals seiner Bekannten Pam Pengco geschrieben habe, die er heute liebevoll seine „Drag-Mama“ nennt. Er habe sie einfach gefragt, ob er mitkommen dürfe, wenn sie in Drag ausgehe.
Mit zu hohen High Heels, in denen er gar nicht richtig laufen konnte, ging es schließlich ins Exile. „Abends hat mich meine Mama wieder abgeholt. Sie hat mir zum Glück immer vertraut und mir freie Hand gelassen, weil sie wusste, dass ich nicht auf dumme Ideen komme.“
Heute hat Naomy sogar zwei Drag-Mamas. Neben Pam sei das auch Tittyana – eine (cis-) Frau, die Drag macht, was man in der Szene als AFAB-Queen bezeichnet. Die Abkürzung steht für „assigned female at birth“, auf deutsch: „bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugewiesen“.
Robin denkt lächelnd an seine Anfänge als Dragqueen zurück: „Die beiden haben mir lang und schmerzhaft beigebracht, wie das Business funktioniert.“ Vier Jahre, nachdem er mit Drag anfing, ist er nach Köln gezogen.
Keine große Umstellung, war sein Lebensmittelpunkt schon zuvor in der Domstadt, inklusive Freundeskreis. „Ich habe mich als Robin total vernachlässigt. Alles, was es für mich gab, war Naomy. Unter der Woche bin ich im Jogging zur Schule, freitags dann direkt mit meinem Köfferchen zur Bahn und nach Köln gedüst. Da ging es weiter zu meiner Drag-Mama. Wir haben uns am Wochenende immer Stunden fertig gemacht, Musik gehört und gelacht. Das ist so meine Wahl-Familie gewesen.” Wie viel der Dragqueen diese Menschen bedeuten, wird bei jedem Wort deutlich.
„Mein Vater ist mein Nummer-Eins-Fan!“
Neben ihrem Job als Make-up-Artistin verbringt sie den Großteil ihrer Zeit in der Kölner Drag-Szene, hat mit der „Wig Snatch“ auch ihre eigene Eventreihe auf die Beine gestellt und ist Teil zahlreicher weiterer Shows, etwa der „Fantastic4some“ – in wechselnden Locations. Am 26. Oktober 2024 findet im Exile in Köln außerdem ein Halloween-Special der „Wig Snatch“ statt.
Obwohl Robin aus einem liberalen Haushalt kommt, konnte sein Vater zunächst nicht viel mit Drag anfangen. Auch geoutet habe er sich nie bei ihm, nur bei seiner Mutter. Obwohl er wusste, dass sein Vater nichts gegen Schwule habe.
„Weil ich Angst davor hatte, was er sagt. Er wusste auch nicht, dass ich mich geschminkt habe. Er hat uns morgens die Brote für die Schule geschmiert, mir und meinen Schwestern. Dann habe gewartet, bis er aus dem Haus ist. Erst dann bin ich aus dem Bad gekommen.“ Doch seit seiner Schulzeit ist viel passiert. Inzwischen kann sich der 24-Jährige über vieles mit seinem Vater unterhalten.
Und nicht nur das: „Mittlerweile ist er mein Nummer-Eins-Fan!“, sagt Robin stolz. Als er schon mit 17 Jahren ein Gewerbe anmelden musste und anfing, mit Drag Geld zu verdienen, hat sich auch sein Papa immer mehr für die Leidenschaft seines Sohnes interessiert. „Mein Vater hatte es noch nicht verstanden, aber gesagt ,Wenn du das machst, dann richtig!'”
Ein weiterer Wendepunkt: Naomy war Teil des Films „Meine Freundin Volker“, eine Produktion für den NDR, bei der Schauspieler Axel Milberg eine Dragqueen verkörpert, die Zeugin eines Mafia-Mordes wird. Der Film ist ein Plädoyer für gesellschaftliche Vielfalt. „Das hat meinen Vater total berührt. Auf einmal war er Feuer und Flamme für das Thema“, sagt Naomy.
So habe sich ihr Vater extra einen Instagram-Account angelegt und like seitdem alles von ihr, erzählt die Dragqueen. Und: „Immer, wenn ich eigene Shows habe, kommt er. Er steht dann in der letzten Reihe und freut sich und ist total stolz auf mich. Er gibt mir auch gute Kritiken: Wenn mein Vater sagt, es war gut, dann weiß ich, es war wirklich gut.“