„Menschsein beerdigt“Geheimer Besuch im Lager: Kölner Pfarrer zeigt „Flüchtlingsknast“

Hans Mörtter von der Lutherkirche Südstadt zeigt auf das nachts erleuchtete Flüchtlingslager.

Der Kölner Pfarrer Hans Mörtter zeigt auf die Aufnahmeeinrichtung auf Samos.

Stacheldraht, Tränen und Selbstmorde: Das ist ein Alltag, den sich viele Menschen nicht vorstellen können. Der Kölner Pfarrer Hans Mörtter schildert die Zustände vom neuen Flüchtlingslager von Samos.

von Markus Krücken  (krue)

Köln/Samos. „Er schaute mit vergnügten Sinnen / auf das beherrschte Samos hin“. Nein, dieser Schillersche Satz trifft auf Hans Mörtter nicht zu. Denn der Kölner Pfarrer ist alles andere als vergnügt, als er EXPRESS.de von seinem Geheimbesuch in der Flüchtlingsaufnahmeeinrichtung auf der griechischen Insel berichtet.

Kölner Pfarrer Hans Mörtter traf Flüchtlinge auf Samos

Zum zweiten Mal war der seit mehr als 30 Jahren in der Flüchtlingsarbeit aktive Geistliche nun vergangene Woche vor Ort, um sich selbst in Griechenland ein Bild von der Lage der Menschen zu machen und gelangte über persönliche Kontakte zu Helfern quasi illegal ins Lager.

Ein Lager, das nach der Meinung und Beschreibung Mörtters in Wahrheit ein Gefängnis darstellt. 300 Flüchtlinge harren hier unter widrigen Umständen aus und haben keine Perspektive.

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„Es ist der Wahnsinn“, beginnt Mörtter, „Die Menschen sollen die Botschaft nach Hause schicken: ‚Hier ist die Hölle, kommt bloß nicht‘. Aber das Problem ist: Zuhause ist die Hölle größer.“ Eine Woche lang machte er sich selbst ein Bild der Lage.

Mörtter: „Das ist ein Camp mitten auf dem Land. Die Menschen kommen aus dem Lager überhaupt nicht weg. 1.60 Euro kostet die Fahrt mit dem Bus in die Stadt, aber die Flüchtlinge bekommen ja kein Geld. Es gibt keine Privatsphäre, die Leute hausen zu zweit oder viert in Containern, aber es gibt keine Schlüssel, nicht mal zu den Toiletten oder Duschen: Es ist wie ein Gefängnis. Abends haben sie wieder in der Einrichtung zurück zu sein, denn es gilt eine nächtliche Ausgangssperre. Per Drohne wird das Lager tagsüber überwacht, nachts ist das Flutlicht an. Die Leute sind verzweifelt. Hier wird das Menschsein beerdigt.“

Flüchtling Fayz harrt auf Samos im Container aus.

Flüchtling Fayz steckt seinen Kopf aus dem Container.

Die „Ärzte ohne Grenzen“-Kräfte hätten ihm berichtet, dass das inzwischen jahrelange und vergebliche Warten für Viele auf Anerkennung ihres Status und die Erlaubnis zur Weiterreise in Europa einem Psychoterror gleichkomme.

„Die Leute müssen warten, warten, warten. Vor allem die jungen Syrer werden nicht weitergelassen und sind festgesetzt. Sie können nichts machen als englisch auf dem Handy lernen. Manche, zum Beispiel Raucher, leihen sich Geld, fahren in die Stadt, arbeiten schwarz für 1 Euro in der Stunde auf dem Bau, schleppen Steine und werden so ausgebeutet, damit sie sich Kippen kaufen können. Frauen aus dem Lager bieten sich auch als Prostituierte an, um an Geld zu kommen“, hat er erfahren.

Und die Verpflegung?

„Das Catering im Lager ist unterirdisch. Einmal gab es neulich ausnahmsweise morgens eine halbe Tomate und ein Ei, aber auch nur, weil der italienische Ministerpräsident zu Besuch da war, um das Lager zu besichtigen und sich die neuen Duschen und vermeintlich sauberen Container zeigen zu lassen“, berichtet Mörtter.

Was kann er überhaupt selbst bewirken? „Ich kann nur versuchen Öffentlichkeit zu schaffen und den Helfern und Flüchtlingen vor Ort mit Gesprächen zur Seite zu stehen“, sagt er.

Verstreut lungern Menschen im Lager tagsüber herum.

Gespenstische Atmosphäre in der Knast-gleichen Einrichtung auf Samos.

Griechenlands Migrationsminister Notis Mitarakis will von dem Begriff „Knast“ nichts wissen, er redet von „geschlossenen Kontrollzentren“ und hebt hervor, das Lager sei geräumig und entspräche dem Lebensstandard, den man von einem europäischen Land erwarten könne.

Kölner Pfarrer schockiert über Zustände: „Wer krank wird, hat Pech“

Nach dem Besuch der so von Medien betitelten „Kleinstadt hinter Stacheldraht“ kann Mörtter dies nicht bestätigen. „Die Leute fühlen sich wie in Geiselhaft und das sagen sie genau so. Als Spielbälle der Mächte, Tauschware. Von der Türkei mit Erdogan auf der einen und den Griechen auf der anderen Seite“, so Mörtter.

„Es gibt Suizide. Das wurde mir bestätigt. Und wer im Lager krank wird, hat Pech. Einen Zahnarztbesuch? Können sie sich abschminken. Im Krankenhaus in der Stadt, das einzige, was es auf Samos gibt, werden Viele nicht behandelt und einfach abgewiesen. Das sind dann eindeutig Beispiele für Rassismus.“

Hans Mörtter: „Stellen Sie sich vor, Sie müssten fliehen“

Was antwortet er hierzulande Geistern, die jemanden wie ihn als naiven Gutmenschen, die Flüchtlingsthematik als übertrieben ansehen und davon überzeugt sind, den Flüchtlingen gehe es auf der Insel gar nicht so schlecht?

Mörtter: „Stellen Sie sich vor, in Deutschland wäre eine Atomkatastrophe und Sie müssten fliehen. Sie kommen in ein anderes Land und würden so behandelt. Kein Mensch möchte so behandelt werden.“