Trauer um Express-ReporterGünther Classen gestorben – 40 Jahre den Mördern auf der Spur

EXPRESS-Polizeireporter Günther Classen in einer „Netflix“-Dokumentation

Auch beim Fernsehen oft zu Gast: Günther Classen in einer „Netflix“-Dokumentation

Solche wie ihn gab es nicht mehr und wird es wohl auch nicht mehr geben. Als Polizeireporter war EXPRESS-Legende Günther Classen einer der Letzten seiner Art, ein journalistischer Dinosaurier sozusagen. Jetzt ist er im Alter von 79 Jahren gestorben. Der EXPRESS trauert und blickt auf ein unglaubliches Reporter-Leben zurück.

von Michael Kerst  (mik)

Als ich vor mehr als 22 Jahren als Redakteur zum EXPRESS kam, war Günther schon seit Ewigkeiten da, ein mit allen Wassern gewaschener Reporter, den so schnell nichts mehr erschüttern konnte. Viele Jahre haben wir als Polizeireporter gearbeitet, manchmal in besonders spektakulären Fällen auch gemeinsam vor Ort „ermittelt“ – wie Günther das nannte. Diese Fälle waren Highlights, bei denen ich viel gelernt und wir uns immer wieder gegenseitig „in den Hintern getreten“ haben, um weiterzumachen und nicht aufzugeben.

Günthers Lebenswerk sind seine Fälle, solche, zu denen er auch immer wieder in Fernsehdokumentationen vorgestellt und befragt wurde. Fälle, die nur einer wie er journalistisch lösen konnte. Drei Beispiele von Hunderten:

Günther Classen: Diese Fälle machten ihn berühmt

Günther war beim letzten Attentat der RAF, dem Mord an Detlev Karsten Rohwedder, am 1. April 1991 am Kaiser-Friedrich-Ring in Niederkassel der erste Reporter vor Ort, machte das ikonische Foto von den Einschusslöchern im Fenster von Rohwedders Haus.

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Der „Mord ohne Leiche“ am Kö-Millionär Otto-Erich Simon (hier mehr über den spektakulären Fall lesen) Ende 1991 war ein Fall, der Günther Classen sein Leben lang nicht mehr losließ. Es kam 1993 zum Prozess gegen den Baulöwen Peter T., aber in dem gab es nie ein Urteil. Der Fall wurde letztlich nie zu Ende gebracht – eine Tatsache, die Günther als extrem unbefriedigend ansah.

Günther Classen fand Skelett – Mörder überführt

Und dann gab es 2016 den Fall, nach dessen Aufklärung Polizeireporter-Kollegen, Ermittler und Richter gleichermaßen den Hut vor Günther zogen: Am 8. April 2016 erlebte ich mit, wie er einen Grusel-Anruf entgegennahm. Ein Mann erzählte von einem Mordopfer, das im Wald verscharrt worden sei. Günther fuhr mit ihm in den Wald bei Lindlar ... (hier die ganze Geschichte lesen) und fand nichts. Auch die Kölner Mordkommission, die er hinzugerufen hatte, suchte vergeblich.

Doch Günther konnte und wollte nicht aufgeben, fuhr wieder in den Wald und fand schließlich auf eigene Faust das Skelett. Die Leiche, Dennis S. (32), wurde identifiziert, sein Mörder Christoph S. (48) 2017 vom Kölner Landgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Günther sagte im Prozess als Zeuge aus und wurde vom Richter Michael Bern gelobt: „Da ist ja der Mann, der den Fall ins Rollen gebracht hat.“ Opfer-Anwalt Sebastian Schölzel sagte: „Dieser Reporter ist offenbar schlauer, als die Polizei erlaubt.“

Hier lesen: Günther Classen – 30 Jahre auf der Spur des Verbrechens

So war er, unser Kollege Günther Classen: Unbeirrbar, wenn er sich in einem Fall festgebissen hatte. Im Umgang mit Opfern und Zeugen war er immer mitfühlend und menschlich, teilte ihr Leid und wollte ihnen helfen. Und das ist ihm in hunderten Fällen gelungen, zahllose Menschen sind ihm zu Dank verpflichtet.

„Er war für mich ein moderner Robin Hood“, sagt Janine Esskuchen, die als gute Freundin die letzten Jahre seines Lebens begleitet hat. „Er hat alles für andere Menschen getan, wollte ihnen wirklich beistehen. Dafür hat er allzu oft nicht auf sich selbst geachtet.“

Günther Classen auf Spurensuche an einem Tatort. Er kniet auf einer Wiese.

Spurensuche: An Tatorten war Günther Classen immer auf der Suche nach womöglich übersehenen Spuren.

Tatsächlich hat Günther gelebt wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt – so habe auch ich ihn in vielen Jahren in der Redaktion des EXPRESS erlebt. Er hat Raubbau an sich und seiner Gesundheit betrieben. Günther Classen ohne Zigarette im Mund – dieses Bild konnte sich keiner vorstellen, der ihn kannte. „Aber ich habe ihm zuletzt sogar das Rauchen abgewöhnt“, sagt Janine Esskuchen stolz. Und er arbeitete wie ein Besessener, oft Tage und Nächte durch, und das manchmal über Wochen.

Zuletzt ereilte ihn – nachdem er mit weit über 70 Jahren als Redakteur aufgehört hatte – eine schwere Krankheit, die immer wieder zu Krankenhausaufenthalten und Operationen führte. Am Mittwoch (28. Juni 2023) gegen 11 Uhr blieb sein Herz stehen ... Ciao, Günther! Du bleibst in unserer Erinnerung und in unseren Herzen.