Der Herbst ist da. Und mit ihm sind die Folgen der Hochwasser-Katastrophe in der Region noch immer präsent. Zehn Wochen nach dem Horror weiß auf dem Pferdehof in Blessem niemand, wie es weitergeht.
„Alles weg!“Pferde-König von der Erft: Flut-Schaden geht in die Millionen
Blessem. Nicht weit hinter der Luxemburger Straße, den Kölner Dom im Rücken, kommt man schon über die Landstraße im Pkw nach Blessem. Oder vielmehr: Was das Hochwasser von dem kleinen Ort übriggelassen hat.
Zehn Wochen nach der Flutkatastrophe mögen viele Menschen angesichts der Corona-Pandemie oder der Bundestagswahl zuletzt andere Themen gehabt haben, doch die Betroffenen der Tragödie unweit der Erft spüren die Auswirkungen noch immer jeden Tag.
Hochwasser-Hotspot Blessem: Familie Spoo beschreibt die Schäden zehn Wochen nach der Flut
„Und das wird auch noch Jahre so bleiben. Erst an diesem Montag haben wir einen lieben Nachbarn beerdigen müssen. ‚Ich kann nicht mehr‘, sagte er mir immer. Er war ausgezehrt, konnte das Drama nicht verkraften und ist an seinen Folgen gestorben“, beklagen Martin Spoo und seine tapfere Ehefrau Beate beim Besuch von EXPRESS.de in den Ruinen ihres Pferdehofs.
Seit 1880 und vielen Generationen hat sich die erfolgreiche Familie ihren Wohlstand mit den Tieren und Immobilien hart erarbeitet. Bis auf ein kleines Hochwasser im Jahr 1960 hatte die benachbarte Erft, die an diesem Freitagmorgen so friedlich im Sonnenschein vor sich hin plätschert, auch nie nennenswert Probleme bereitet.
Doch am 14. Juli kam es anders. Dieses Datum bedeutete für die Pferdefamilie fast den kompletten Zusammensturz ihres Lebenswerks. Beim Gang durch die einst vornehme Anlage gibt es jetzt nichts als den Anblick von Ruinen, Schutt, verwaisten Pferdeboxen, verstreutem Stroh.
„Es ist alles weg, alles raus, es stinkt überall. Es ist eine Lebenstragödie für alle Generationen. Vor allem für unsere Kinder, die den Betrieb übernommen haben und diesen Eigentumsbetrieb verloren haben“, so Martin.
Von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr abends war hier zuvor Leben drin. Sechs Mitarbeiter waren rund um die Uhr mit den Pferden beschäftigt. Auch die benachbarte Kneipe „Blessemer Eck“ gehörte den Spoos. Doch an einen Wiederaufbau ist erst einmal nicht zu denken, im Gegenteil.
„Wir haben das Riesenglück, dass wir die Jahrzehnte zuvor viel verdienen durften. Man kann den Schaden nicht beziffern“, sagt er. Er geht in die Millionen, soviel sei sicher.
Auf der Anlage, die europaweit einen guten Ruf in der Szene genieße, werden Pferde ausgebildet, Tiere in die ganze Welt verkauft. Selbst Olympia-Heldin Isabell Werth, erzählt Spoo, sei hier Kundin.
Flutdrama in Blessem: Familie rettete 60 Pferde vor dem Ertrinken
Lebendig hat er noch vor Augen, wie die 60 Pferde bei 1,50 Meter Pegelstand bis in die frühen Morgenstunden evakuiert werden mussten und das Wasser immer weiter anstieg.
Wie durch ein Wunder blieben die Vierbeiner ruhig, „klammerten“ sich fast an die Menschen; der herbeigeholte Tierarzt habe kaum eingreifen müssen, schildert Spoo: „Wir haben am Flutabend weit über 60 Pferde evakuiert. Das Wasser stieg immer höher und wir entschieden: Alle müssen weg. Via Facebook-Aufruf kamen viele Anhänger herbeigefahren. Es war stockdunkel. Aber es sind alle gerettet worden.“
Der materielle Schaden ist immens. Aber am Ende überwiegt die Einsicht, überhaupt überlebt zu haben: „Man kann sich nicht vorstellen, wie es hier aussah. Der Schlamm stand hüfthoch. Diese Tage kann man sich nicht vorstellen“, so Spoo.
Und er wird emotional: „Die ganzen Beine waren voller Blut und man hat es nicht gemerkt, weil man immer weitergemacht hat. Als die Häuser vor den eigenen Augen wegbrachen, dort drüben unsere Reiterhalle, wusste man nicht: Wie weit geht der Krater da drüben noch auf? Wir hatten panische Angst: Wo bleibst du jetzt? Ein älterer Nachbar wollte noch was aus dem Keller holen, da kam der Wassereinbruch. Wir mussten ihn zu zweit hochziehen, haben das gerade noch geschafft.“
Wie es weitergeht, weiß Stand heute keiner. Eine Versicherung? Pustekuchen.
„Wir haben einen neuen Betrieb zur Pacht hinter Düren und müssen uns neu orientieren. Wir wissen noch gar nicht, was wir hier mit der Anlage machen. Es kann drei Jahre dauern, bis wir wissen, wo wir wieder aufbauen können“, so Martin Spoo.
Ehefrau Beate dankt den vielen Helfern für die Aufräumarbeiten auf dem Hof und denkt beim Abschied auch an jene Opfer, die die Flutkatastrophe sogar noch härter getroffen hat: „Ich bin da sehr pragmatisch. Im Vergleich zu den Menschen im Ahrtal müssen wir hier ja fast die Klappe halten.“