Gesundheit, Pflege, junge Wähler, Klimaschutz - und „aus aktuellem Anlass: Sicherheitspolitk“: Diese Themen waren im Wahlkampf zu kurz gekommen. In der Schlussrunde von ARD und ZDF kamen sie auf den Tisch - und auch drei Tage vor der Bundestagswahl hatten sich die Parteien nichts zu schenken.
ARD-Moderator weist Grünen-Politikerin zurecht„Frau Baerbock, ernsthaft?!“
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Annalena Baerbock musste nicht nur ein Mal von den Moderatoren eingefangen werden.
„Klar sagen alle Ja“, witterte Christian Lindner (FDP) eine Fangfrage. War es ein fairer Wahlkampf, ja oder nein?, lautete diese - und schon schnellten die Kärtchen in die Höhe. „Wurden Sie von allen fair behandelt?“, korrigierte Markus Preiß, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, „das sagt viel mehr aus, ob es ein fairer Wahlkampf war“. So schnell konnte man gar nicht schauen, wurden alle Kärtchen - wenig überraschend - auf „Nein“ gedreht.
„Keine Partei hat der anderen etwas geschenkt“, hatte Diana Zimmermann, Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, diesen „kurzen, intensiven Wahlkampf“ beschrieben. Das galt erst recht für „Die Schlussrunde“, zu der die ARD und das ZDF die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien im Bundestag am Donnerstag eingeladen hatten. Gekommen waren Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grüne), FDP-Chef Christian Lindner, AfD-Chefin Alice Weidel, Linken-Chef Jan van Aken und BSW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht.
Alice Weidel (AfD): „Trump setzt das um, was wir als AfD seit drei Jahren fordern“
Nur der Kanzler und Oppositionsführer ließen sich wegen dringender Wahlkampftermine durch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und Alexander Dobrindt (Vorsitzender der CSU-Landesgruppe) vertreten. Insbesondere für die 27 Prozent, die drei Tage vor der Wahl unschlüssig waren, wollte man auf Themen schauen, die im Wahlkampf zu kurz gekommen waren: Gesundheit, Pflege, junge Wähler, Klimaschutz - und „aus aktuellem Anlass: Sicherheitspolitk“, meinte Zimmermann.
„Trump setzt das um, was wir als AfD seit drei Jahren fordern“, erklärte Weidel. Als zweitstärkste Kraft in Deutschland würde die AfD Trump in seinen Friedensbemühungen unterstützen und bei Waffenlieferungen, dem Versenden von Soldaten oder gar finanziellen Hilfen „auf die Bremse treten“. Die Forderung von Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, Taurus-Raketensysteme an die Ukraine zu liefern, lehnte sie als „eskalatorischen Weg“ ab.
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„Trump setzt das um, was wir als AfD seit drei Jahren fordern“, erklärte Weidel, den US-Präsidenten bei seinen Friedensbemühungen unterstützen und keine Waffen mehr in die Ukraine liefern zu wollen.
„Eskalation ist, wenn über die Köpfe Europas und der Ukraine ein Diktatfrieden verhandelt wird“, empörte sich dessen Parteifreund Linnemann, „das geht gar nicht“. Vielmehr müsste Deutschland im verbündeten Europa eine Führungsrolle übernehmen.
„Heißt das, dass Sie das 700 Milliarden Paket als CDU unterstützen?“, hakte Weidel nach und bezog sich auf Berichte, dass die EU ein Paket für den Erwerb militärischer Ausrüstung für die Ukraine vorbereitete.
„Sie stehen hinter Putin, ich stehe hinter der Ukraine“, ätzte Linnemann, und bekam nicht nur von Union-Partner Dobrindt Rückendeckung. Nachdem sich Außenministerin Baerbock zuvor von ihrem Ex-Koalitionspartner Lindner (FDP) anhören musste, dass „die Zeit der moralischen Appelle der feministischen Außenpolitik (...) vorbei“ wäre, schoss sie sich jetzt - Frau hin oder her - auf Weidel ein: „Sie leben in der Schweiz, da sagt sich sowas easy. In Brandenburg fragen mich Schülerinnen und Schüler: Was ist, wenn die ukrainischen Truppen die Russen nicht aufhalten?“ Als Nächstes wären Polen und der Osten an der Reihe. „Wenn Sie da mit Ihren Kindern leben würden, würden Sie beten, dass Europa Ihnen beistehe“, ging sie gleichermaßen auf Wagenknecht los.
Dazu gehöre eventuell auch die Entsendung deutscher Truppen zur Friedenssicherung. „Die Friedenssicherung kann nur über die Ukraine erfolgen - da ist ein 800.000-Mann-Heer“, widersprach Dobrindt. Noch gäbe es weder Frieden noch Waffenstillstand „und Sie reden über deutsche Friedenssicherung“. Das wollte die Politikerin nicht gesagt haben und holte zu Erklärungen aus. Doch der gestrenge Preiß unterbrach: „Frau Baerbock, Sie haben ausgeredet.“
FDP-Chef Christian Lindner: „Fällt es nur mir auf, oder wird hier viel Geld verteilt - auch von der AfD?“
Es war nicht das einzige Mal, dass die Moderatoren in der turbulenten Debatte zur Ordnung rufen mussten (Preiß: „Ich informiere Sie ganz kurz darüber, dass niemand Sie versteht“), um alle Themen zu behandeln - Gesundheit und Pflege etwa. Die SPD wolle durch ein Umschichten der Zuschüsse innerhalb der Pflegeversicherung zwischen Langzeit- und Kurzzeit-Gepflegten inerhalb von zwei bis drei Jahren einen 1.000-Euro-Deckel erreichen.
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Ex-Finanzminister Christian Lindner wurde es in „Die Schlussrunde“ einige Male etwas zu teuer ...
„Es werden 2.000 bis 3.000 Euro sein“, forderte Dobrindt Miersch auf, ehrlich zu sein, „weil Wohnen, Essen ... obendrauf kommt“. Die CSU wolle die Quartierpflege stärken und so die Pflege, medizinische Versorgung und Betreuung in Richtung Kommunen verlagern.
Die Linke wiederum sprach sich für eine Pflegevollversicherung aus. Finanziert werden könnte das, wenn Erwerbseinkommen über 5.500 Euro - anders als bisher - einzahlen würden.
„Die häusliche Pflege durch Familienangehörige zu fördern, dass der Staat Familienangehörige bezahlt“, mache laut Weidel Sinn. 2.000 bis 3.000 Euro im Monat setzte sie dafür als Stundenlohn an.
„Fällt es nur mir auf, oder wird hier viel Geld verteilt - auch von der AfD?“. war Lindner ganz Finanzminister: „2.000 bis 3.000 Euro Gehalt ist eine sympathische Idee, aber auch die AfD kann an Adam-Riese nicht vorbeirechnen.“
Als dann auch noch Baerbock das Grüne-Programm vorstellen wollte, beendete Preiß die Runde jäh: „Frau Baerbock, ernsthaft?!“
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch gegen Erhöhung von Verteidigungsausgaben: „Das darf nicht passieren“
Der Redefluss der Grüne-Politikerin fiel nicht nur den Moderatoren auf: „Bevor das jetzt wieder ein Dauervortrag wird ...“, unterbrach Dobrindt die Ausführungen von Baerbock zu den Maßnahmen für Bildung, die die Bundesregierung in die Wege geleitet hatte.
„Also Sie können nicht ertragen, eine Frau hier ausreden zu lassen - jedesmal fallen Sie mir ins Wort“, wurde es der zu bunt. „Immer wieder die gleiche Leier von Ihnen“, stöhnte Dobrindt genervt, „bevor die sich ihre Regierung gegenseitig schön reden: Das Erste, was sie gemacht haben, ist die Sprach-Kitaführung komplett zu streichen. Da ging es darum, dass Kinder in der Kita Deutsch lernen können, damit sie in der Schule mitkommen“, kritisierte er die Ampel.
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In „Die Schlussrunde“ hatte die ARD und das ZDF die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien im Bundestag eingeladen.
Tatsächlich hatten sowohl Lindner wie Miersch die Errungenschaften ihrer Koalition im Bildungsbereich angesprochen. Die Länder bräuchten aber weitere Unterstützung durch den Bund, betonte der SPD-Politiker. „Wenn man Verteidigungsausgaben erhöht, droht, dass im Bildungsbereich gespart wird - das darf nicht passieren“, warnte er.
Jan van Aken (Linke): „Die Pflichtjahrdebatte ist verlogen“
Junge Wähler betraf auch ein anderes Thema. Während sich die CDU laut Dobrindt nach dem „schwedischen Modell“ für eine aufwachsende Wehrpflicht von sieben Monaten ausspricht, forderte Weidel eine zweijährige Wehrpflicht, wie sie „2011 unter CDU Führung abgeschafft wurde“.
Zwei Jahre - damit konnte Lindner gar nichts anfangen: Man würde junge Menschen von qualifizierter Ausbildung abhalten, Steuerzahler fielen weg - „was das kostet, kann man sich ausrechnen“, wetterte er gegen den „gewaltigen Freiheitseingriff“. Er wäre vielmehr „großer Fan“ von einem „verpflichtenden Gesellschaftsjahr“, egal, ob in der Bundeswehr, bei der Feuerwehr oder im europäischen Ausland. Mit einem Pflichtjahr für soziale Arbeit konnte sich auch Wagenknecht anfreunden, „aber losgelöst von militärischen Einsätzen“.
„Die Pflichtjahrdebatte ist verlogen“, schimpfte van Aken. So viele junge Menschen wollten ein freiwilliges soziales Jahr machen, aber die Bundesregierung würde diese wegen fehlender Finanzmittel abweisen. Es wäre besser, das Geld bereitzustellen - „ein ideologisches Pflichtjahr brauchen wir nicht“.
Dobrindt wettert gegen Weidel: „Das ist falsch, Ihr Märchen aus dem Märchenwald“
Notwendig hingegen wären laut dem Linken-Chef „Klimamaßnahmen, die sozial gedacht“ wären: Bisher wären das Heizungsgesetz oder der Strompreis mit der Gießkanne geregelt worden. Würden Zuschüsse hingegen sozial gestaffelt werden, „kriegen Sie die breite Zustimmung der Bevölkerung“.
„Plakative Ziele, die durchs Ärmerwerden erreicht werden und die Stahlindustrie nach China bringt, sind kein sinnvoller Weg“, betone Wagenknecht. Man müsse ins Erforschen neuer Technologien investieren, „mit den Heutigen können wir nicht klimaneutral werden“. Für Technologieoffenheit sprachen sich auch Linnemann (“Die Politik muss das Klimaziel vorgeben, wie es erreicht wird, muss die Wirtschaft machen“) und Lindner aus: Das vorzeitige Erreichen der Klimaziele bis 2045, fünf Jahre vor der EU, würde Deutschland „750 Milliarden Euro kosten“, rechnete der FDP-Chef vor, „ökonomischer Schaden ohne physikalischen Vorteil“.
Die Kosten, nämlich die „höchsten Energiepreise“, wären laut AfD-Politikerin Weidel das eigentliche Problem der Klimadebatte. Sie gab der CO2-Bepreisung der CDU die Schuld. „Das ist falsch, Ihr Märchen aus dem Märchenwald“, bezeichnete Dobrindt das als Stimmungsmache im Wahlkampf.
Wie dieser für seine Partei zu einem Happy End kommen könnte, wusste van Aken: „Der CO2-Verbrauch der oberen zehn Prozent ist immens.“ Würden sich Milliardäre über eine Vermögenssteuer beteiligen, brächte das acht Milliarden Euro. Und die würden alles finanzieren, „was wir an guten Dingen im Wahlprogramm haben“, so der Linken-Chef. (tsch)