Am Sonntag fällt die Entscheidung: Wer wird die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Bundeskanzlerin Angela Merkel? EXPRESS.de hat mit Politikprofessor Stefan Marschall von der Heine-Uni in Düsseldorf gesprochen. Was ist anders an dieser Wahl?
„Kurzfristig und flexibel“Politologe überrascht mit Aussage über Wahlverhalten der Deutschen
Köln. Der Wahl-Countdown läuft. Fragt man im Bekanntenkreis: Wen wählst du? Dann kommt meist ein Name – Olaf Scholz (SPD), Armin Laschet (CDU) oder Annalena Baerbock (Grüne). Dass jemand eine Partei nennt, ist eher unwahrscheinlich. Dieser Wahlkampf ist ein besonderer.
1. Wahlkampf-Phänomen: Parteienbindung hat abgenommen
„Was man schon feststellen kann, dass insgesamt die Parteienbindung abgenommen hat“, erklärt Politikprofessor Stefan Marschall von der Heine-Uni in Düsseldorf gegenüber EXPRESS.de eines der Phänomene im Bundestagswahlkampf 2021. „Früher war das so, dass man einer Partei treu war. Vielleicht weil es die Eltern schon so gemacht haben, diese Partei zu wählen. Oder weil man einem bestimmten Milieu zugehörig ist.“ Genau diese Einstellung habe sich in den letzten Jahren immer mehr geändert.
„Das heißt, man ist heute eher bereit, auch mal zu wechseln und eine andere Partei zu wählen als bei der letzten Wahl. Man kann auch sagen, die Wähler sind wählerischer geworden und entscheiden von Wahl zu Wahl zunehmend auch kurzfristig und flexibel, wem sie ihre Stimme geben“, weiß Marschall.
Und bei dieser Bundestagswahl sei es nochmal eine ganz besondere Situation, „weil alle wissen, der zukünftige Kanzler oder die zukünftige Kanzlerin wird auf jeden Fall jemand anderes sein. Zum ersten Mal gibt es keine Amtsinhaberin, die antritt.“ Klar ist, es wird eine neue Person geben, die Deutschland regiert. Die Ära Angela Merkel ist zu Ende.
In diesem Zusammenhang weist der Politikprofessor darauf hin, dass „wir in diesem Wahlkampf eine sehr starke Fokussierung auf Personen haben. Da überlegen Parteien natürlich, durchaus auch strategisch, welche Person steht vielleicht am besten im Mittelpunkt, wer kann am besten die Werte der Partei vermitteln, aber wer ist vielleicht auch wählbar für andere jenseits der Partei. Man möchte ja ein personelles Angebot machen, das nicht nur die eigenen Anhänger anspricht, sondern auch darüber hinaus andere, die Wechselwähler anziehen könnte.“
2. Wahlkampf-Phänomen: Politiker handeln nach Umfragewerten
Eine weitere Besonderheit: Früher standen die Politiker für Ideale – wenn man beispielsweise an die Altkanzler Helmut Schmidt oder Willy Brandt (beide SPD) denkt. Heute handeln Politiker oft nach Umfragewerten und nach der Stimmung in der Bevölkerung. Zudem werden bestimmte Verhaltensmuster der Politiker viel bewusster wahrgenommen. Wie beispielsweise der Armin-Laschet-Lacher bei der Flutkatastrophe.
Kann so etwas eine Wahl entscheiden? „Abgesehen von der Tatsache, wie kleinteilig oder wie banal Sachen waren – sei es der Armin-Laschet-Fauxpas oder die Plagiatsvorwürfe gegen Annalena Baerbock – es bleibt natürlich immer etwas hängen“, ist Marschall der Meinung.
3. Wahlkampf-Phänomen: Kandidaten-Bekenntnis auf Instagram und Co.
Was auf den ersten Blick nach einem neuen Trend aussieht, ist tatsächlich gar nicht so neu. Promis bekennen sich auf Instagram, Facebook und Co. zu ihren Lieblingspolitikern. Politikprofessor Stefan Marschall erklärt: „So ein ganz neues Phänomen scheint das nicht zu sein. Bekenntnisse zu Parteien – auch von Prominenten – das hat es immer wieder bei Wahlen gegeben. Auch in den 50er, 60er, 70er Jahren, wo auch Intellektuelle gesagt haben, sie stehen für die eine oder andere Partei. Durch die sozialen Medien hat das allerdings eine neue Dimension bekommen. Es ist leichter geworden, mitzuteilen, für wen man steht.
Zum Schluss gibt der Experte noch einen Ausblick auf den Wahlabend... Wer gewinnt die Wahl? „Ich glaube nicht, dass wir um 18.01 Uhr einen klaren Wahlsieger haben werden. Vermutlich wird es mehrere Möglichkeiten geben für Koalitionen. Es wird ein superspannender Wahlabend – aber es ist derzeit ganz schwer, eine Prognose abzugeben.“