Gesundheitsminister Karl Lauterbach sieht sich nach seinen Äußerungen zu einer Studie, die einen Anstieg von Suizidversuchen unter Kindern im Lockdown feststellt, heftiger Kritik ausgesetzt.
„Respektlos und weltfremd“Karl Lauterbach: Es hagelt heftige Kritik nach seinen Äußerungen
Stein des Anstoßes ist eine Studie der Uniklinik Essen, die kürzlich veröffentlicht wurde. Sie zeigt, welche gravierenden Auswirkungen Corona auf Kinder haben kann: Demnach sei die Suizidrate im zweiten Lockdown um 400 Prozent im Vergleich zu vor der Pandemie angestiegen, heißt es darin. Sehr viel mehr Kinder seien deswegen auf den Intensivstationen gelandet, so der Leiter der dortigen Kinder-Intensivstation Christian Dohna-Schwake.
Lauterbach erklärte daraufhin, dass die Pandemie für Kinder durchaus eine psychisch enorm belastende Zeit darstelle. Doch er äußerte bei „Hart aber fair“ Zweifel an einem direkten Zusammenhang zwischen dem strengen Lockdown und psychischen Folgen.
Karl Lauterbach erklärte, es „furchtbarerweise“ derlei Probleme auch in Ländern gebe, in denen weniger Corona-Maßnahmen ergriffen worden sind. Das dürfe nicht dem Lockdown „in die Schuhe geschoben werden“, das gebe diese Studie aus seiner Sicht nicht her.
Kritik an Karl Lauterbach: „Respektlos und weltfremd“
Eine Äußerung, die für zahlreiche Kritik der Opposition im Bundestag sorgte, wie „Welt“ berichtet. „Das Leid der Kinder kleinzureden, ist respektlos und weltfremd“, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU) demnach. „Suizidversuche sind nur die traurige Spitze des Eisberges. Zahllose Kinder sind durch den Ausnahmezustand der letzten zwei Jahre psychischen Belastungen ausgesetzt – oft unbemerkt.“
Er halte es für offensichtlich, dass Corona-Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen oder Schulschließungen vielfach die Ursache seien. Sorge weiter: „Kinder leiden in dieser Pandemie ganz besonders. Statt das zu relativieren, sollte der Gesundheitsminister sich verstärkt mit der Kinder- und Jugendgesundheit befassen.“
Kritik an Karl Lauterbach: „Natürlich leiden Kinder und Jugendliche“
Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Susanna Ferschl, halte Lauterbachs Unterscheidung ebenfalls für zweifelhaft. „Natürlich leiden Kinder und Jugendliche erheblich unter dieser Situation. Die beständige Unsicherheit, ob die Schule nächste Woche geöffnet hat, ob man Sport oder Theater machen darf oder einfach nur Freunde treffen, macht krank und trifft junge Menschen besonders hart.“ Lauterbach solle die Realität anerkennen, „anstatt sie wegzudiskutieren“. Es brauche dringend mehr Therapieplätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Rückendeckung indes erhielt Lauterbach von der eigenen Partei- Die Fraktionsvize der SPD, Sönke Rix, sagte: „Der Gesundheitsminister hat recht: Bislang fehlt der wissenschaftlich eindeutige Beleg dafür, dass der Lockdown für die Zunahme psychischer Belastungen bei Kindern und Jugendlichen ursächlich ist.“ Dennoch sei es naheliegend, dass Corona-Maßnahmen das Wohlbefinden von Jugendlichen beeinflussten. Dauerhafte Schließungen sollten weiterhin umgehen werden.
Studie hat anscheinend noch einige Unschärfen
An der Studie selbst beteiligten sich 27 Kinderintensivstationen. Sie verzeichneten von Mitte März bis Ende Mai 2021 etwa viermal so viele wie im gleichen Zeitraum im Jahr davor. Laut „Spiegel“ habe diese Studie aber einige Unschärfen. Sie sei noch nicht veröffentlicht und habe noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen, sei also noch nicht von anderen Forscherinnen und Forschern überprüft worden.
Dennoch erklärten Experten, dass sie nicht überrascht seien, dass die Zahl der Suizidversuche gestiegen sein soll. Marion Schwarz vom Verband BKJ, der bundesweit Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten vertritt, sagte dem „Spiegel“: „Viele Kolleginnen und Kollegen berichten, dass die Nachfrage nach Therapien extrem gestiegen sei.“