Sowohl die Bundesregierung als auch die USA haben der Ukraine weitere Zusagen für schwere Waffen gemacht: Mehrfachraketenwerfer und ein hochmodernes Luftabwehrsystem sollen kommen. Doch braucht es wirklich mehr Waffen? Bei „Markus Lanz“ droht der Streit um diese Frage zu eskalieren.
Ukraine-Talk bei Lanz eskaliertStrack-Zimmermann rastet aus: „Wenn das passiert, dann gnade uns Gott“
Die Ukraine bekommt von den USA ein hochmodernes Raketensystem und Mehrfachraketenwerfer, auch Bundeskanzler Olaf Scholz gibt das Versprechen ab, Raketenwerfer und das Luftabwehrsystem Iris-T zu liefern. Doch braucht es wirklich mehr Waffen für die Ukraine? Oder sollten wir vielmehr über das wirkliche Kriegsziel sprechen?
Der Streit über die neuen Waffenlieferungen eskaliert bei „Markus Lanz“ am Donnerstagabend (2. Juni): Zeitweise brüllen vier Menschen gleichzeitig im Studio, versuchen sich gegenseitig zu übertrumpfen. Vor allem eine Politikwissenschaftlerin sorgt mit ihren Ausführungen für reihenweise entsetzte Gesichter.
Zu Beginn fasst der Journalist Frederik Pleitgen, der für CNN im Kriegsgebiet unterwegs war, die Lage so zusammen: „Jetzt ist möglicherweise eine Kehrtwende eingetreten.“ Die angekündigten Waffen, Langstrecken-Artillerie, die eine höhere Distanz überwinden kann, das könne „sehr, sehr wichtig werden für die Ukraine, und auch für das Ansehen Deutschlands.“ Vor allen Dingen die Lage im hart umkämpften Donbass sei schwer für die ukrainische Armee, die russischen Streitkräfte fokussierten ihre Waffenkraft vor allen Dingen hier. Sein Rezept: mehr Waffen, die härter und genauer sind.
Das sieht die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot völlig anders, für sie seien nicht Waffen die Lösung, sie drängt bei „Markus Lanz“ auf Diplomatie und Gespräche statt auf Waffengewalt. Kein Konflikt der letzten Jahre sei durch mehr Waffen entschieden worden, erklärt sie. Sie wünscht sich eine größere Debatte über das eigentliche Kriegsziel.
Markus Lanz: Talk über Waffenlieferung an Ukraine eskaliert
Die Professorin für Europapolitik an der Universität Bonn fordert, von der „taktischen auf die strategische Ebene“ zu wechseln. Guérots Rezept: ein Waffenstillstand und mehr Diplomatie. „Der Schlüssel lieg in Amerika“, sagt sie, es liege vor allem an US-Präsident Joe Biden, Gespräche mit Putin zu führen.
Ihre Ansicht sorgt für reichlich Streit im Studio: Journalist Pleitgen erwidert, die USA hätten alles getan, um Gespräche zu führen, auch vor dem Krieg. Es habe zahlreiche Treffen gegeben, doch Putin habe diesen Krieg gewollt. „Man kann nicht sagen, wir hätten keinen Dialog versucht.“
Talk bei Markus Lanz: „Gespräch kann nur mit zwei Seiten funktionieren“
Auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) erklärt, dass solche Gespräche nicht einseitig geführt werden könnten – Putin lehne sie ab. Er habe schon 2008 das Existenzrecht der Ukraine infrage gestellt und erst im vergangenen Jahr einen Aufsatz geschrieben, der begründet, warum die Ukraine an Russland angeschlossen werden soll. „Und seit Februar wissen wir, dass er einen mörderischen Krieg führt“, so die FDP-Politikerin. „Ich kann verstehen, dass Sie sagen, wir müssen ins Gespräch kommen. Aber das kann nur funktionieren, wenn das Gegenüber das will.“
Sie halte diese Diskussion über Dialoge für nicht zielführend. „Und wenn jetzt nur ein Ukrainer, eine Ukrainerin hier säße, die würde sagen: Was führt ihr hier für intellektuelle Ausführungen. Da sterben Menschen, Frauen, Massenvergewaltigungen. Und wir diskutieren über Metaebenen.“
Markus Lanz: Strack-Zimmermann wird laut - „Wovon reden Sie?“
Guérot, die zeitweise von zwei Seiten gleichzeitig verbal belagert wird, versucht sich zu erklären, findet, dass es gut sei, dass man jetzt endlich über die „strategische Ebene“ spreche. Plötzlich wird Strack-Zimmermann laut: „Von welchen Ebenen reden Sie? Da werden Leute abgeschlachtet, wovon reden wir hier eigentlich?“
Guérot erwidert, eben weil so viele Menschen sterben, brauche es den Waffenstillstand und anschließende Verhandlungen, „damit das Schlachten aufhört“. Das zentrale Element dieser Verhandlungen sei für die Politikwissenschaftlerin Neutralität. Putins Krieg bezeichnete sie als „völkerrechtswidrige Grenzüberschreitung“.
Markus Lanz: „Von Neutralität kann man hier nicht sprechen“
Das Wort Neutralität aus ihrem Mund lässt den Zoff erneut aufflammen. „Von Neutralität kann man hier nicht sprechen“, fährt Lanz ihr ins Wort. „Neutralität, darüber waren die Ukrainer sogar bereit zu sprechen. Aber das Problem ist doch, dass Russland das nicht wollte“, erklärt Pleitgen.
Lanz wiederum stört sich an den Begrifflichkeiten: „Da sterben viele Menschen, da werden Städte zerstört und Sie nennen es eine ‚Grenzüberschreitung‘, ich bitte Sie!“ Er halte das für verharmlosend. Auch Strack-Zimmermann wirft ein: „Putin hat das Land überfallen.“
Guérot versucht sich wiederholt zu erklären, doch sie bekommt kaum Gelegenheit, Lanz fährt ihr in die Parade, stört sich an der Formulierung Guérots, die Frage in dem Krieg sei doch, „wer mitmacht“. Guérot erklärt: „Hören Sie, wenn zwei sich streiten, wie kann sich denn einer streiten ohne den anderen.“ – „Die streiten sich ja nicht“, so Lanz. Guérot startet immer neue Erklärungsversuche: „Die Frage ist doch, was hat da vorher stattgefunden.“ Strack-Zimmermann geht dazwischen: „Sie unterstellen der Ukraine, die Russen provoziert zu haben. Und das ist wirklich perfide.“
Strack-Zimmermann: „Wir haben überhaupt nichts anzunehmen. Das ist die Ukraine“
Guérot startet noch einmal neu: „Ich glaube, die Frage ist: Haben wir hier eine Analyse, die darauf beruht, dass sozusagen Putin alleine das Übel ist?“ – „Die Antwort ist ja“, lässt Lanz sie nicht weiter zu Wort kommen. Guérot sieht das anders – auch wenn sie ebenfalls der Meinung ist, Putin sei schuld am Krieg. „Jetzt fangen Sie schon wieder an, den Überfall zu rechtfertigen“, geht Strack-Zimmermann abermals dazwischen. Guérot: „Ich will überhaupt nichts rechtfertigen, ich möchte das Blickfeld öffnen.“
Als Guérot erklären will, welche Annahmen man zum Krieg habe, wird Strack-Zimmermann laut: „Wir haben hier überhaupt nichts anzunehmen. Das ist die Ukraine, um die es geht. Wir sitzen hier selbst im Trockenen und sie erzählen, was die Ukraine den Russen anbieten soll, nachdem sie überfallen worden sind?“
Als Guérot erneut versucht, zu erklären, wie wichtig ein klares Kriegsziel sei („Wie soll Europa 2030 aussehen?“), erklärt Strack-Zimmermann abermals emotional: „Die Ukraine wird selbst entscheiden, was ist. Und eins ist klar: Wenn wir diese wertebasierte Ordnung, in der wir jetzt leben, aufgeben, kann ich nur sagen, wenn das passiert: Gnade uns Gott. Auch den Europäern.“ Sie bricht es auf eine einfache Formel herunter: „Es geht darum, ob Demokratie und Freiheit gewinnen – oder ob die Putins und Diktatoren dieser Welt eine Chance haben.“