Anders Aslund war einst Berater von Boris Jelzin, ist ein Kenner des Kremls und der russischen Politik. Was Präsident Putin und seinen Krieg in der Ukraine angeht, trifft er eine klare Einschätzung.
„Völlig verrückt“Ex-Präsidentenberater mit klarer Einschätzung zu Putin
Anders Aslund war von 1991 bis 1994 als Wirtschaftsberater des damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin tätig, heute ist er Senior Fellow bei der Denkfabrik Stockholm Free World Forum und Professor an der Georgetown University in Washington.
Aslund ist ein Kenner der russischen Politik und fordert vom Westen ein schnelleres und entschiedeneres Handeln, wenn es um die Unterstützung für die Ukraine geht. Auch was den Geisteszustand von Putin angeht, trifft Aslund in einem Interview eine klare Einschätzung.
Russland: Ex-Präsidentenberater – „Die Nato braucht die Ukraine“
Gegenüber „Welt“ erklärt Anders Aslund, dass sich Deutschland und Frankreich bezüglich der europäischen Sicherheitspolitik in die richtige Richtung bewegten, „aber nicht schnell genug“. „Es sollte verstehen, dass die Nato die Ukraine als Mitglied braucht, um die Sicherheit Europas zu gewährleisten.“
Es sei umso wichtiger, dass die Ukraine den Krieg zunächst einmal militärisch gewinnt. „Deshalb ist es wichtig, dass die Ukraine über genügend moderne Waffen verfügt“. Aslund halte es für „absurd“, dass der Westen darauf bestand, dass die Ukraine mit westlichen Waffen keine russischen Stützpunkte angreifen dürfe. Glücklicherweise ändere sich diese Einstellung aber langsam.
Anders Aslund erklärt weiter, dass das Putin-Regime „überhaupt nicht stabil“ sei. „Wir sehen jetzt, wie insbesondere Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin, aber auch andere Hardliner den Kreml und das Militär kritisieren. Wir sehen auch, dass Putin sich nicht in die Öffentlichkeit traut.“
Es gebe nur den Verdacht, er sei ein Doppelgänger. Putin habe auch Bunker an seinen drei Hauptwohnsitzen gebaut. Aslund: „Putin scheint verängstigt.“ Das zeige sich auch daran, dass er mit einem gepanzerten Zug durch das Land reise. Bei jedem der Hauptresidenzen habe er besondere Bahnhöfe für seine persönliche Sicherheit gebaut. „Das Ausmaß der Paranoia scheint fast pathologisch“, befindet der Ex-Präsidentenberater.
Ex-Präsidentenberater: Putin hat bereits an Macht verloren
Das zeige, dass Putin bereits an Macht verloren habe. „Er traut sich nicht mehr, Menschen zu treffen. Das ist kein Zeichen von Stärke. In diesem Jahr hat er nicht ein einziges Mal mit seinem Sicherheitsrat physisch getagt.“
Und wem vertraut Putin überhaupt noch? Korrupten Geschäftsleuten aus St. Petersburg, erklärt Aslund, die etwa für eine Bank und den Energiesektor tätig sind. Ein weiterer sei Nikolai Patruschew, Russlands nationaler Sicherheitsberater.
Aslund: „Er ist völlig verrückt und glaubt jede Verschwörungstheorie, dass Russland von äußeren und inneren Feinden bedroht wird.“
Putin umgebe sich vor allem mit Leuten, die er seit Jahrzehnten kennt, mit denen er schon Anfang der 1990er in St. Petersburg zusammengearbeitet hat. „Er hat eine extrem schmale Machtbasis, die er nutzt. Sie stützt sich ausschließlich auf den Petersburger Kreis und die KGB-Ära.“
Putin sei, da ist Aslund sicher, die schlechteste Alternative für Russland. „Putin ist extrem und er ist derjenige, der die Extremisten in der russischen Politik hervorgebracht hat. Wenn er weg ist, wird es besser werden.“
Was das Ende der Putin-Ära angeht, halte Aslund zwei Szenarien für möglich. „Das eine ist, dass Putins ganzes System zusammenbricht, weil in Russland stabile Institutionen fehlen. Das zweite Szenario ist ein Übergang zu weit verbreiteter Instabilität, denn wir würden einen längeren Kampf zwischen Gruppierungen erleben, die mit Waffengewalt an die Macht kommen wollen. Ohne Putin werden sie nicht zögern, diese Waffen auch einzusetzen.“ (mg)