Kaum hat der Westen sich dazu bereit erklärt, der Ukraine Kampfpanzer zu schicken, kommen bedrohliche Vorwürfe aus dem Kreml: Der Westen beteilige sich damit direkt am Krieg. Ein Russland-Experte ordnet die Drohungen ein und warnt vor einem Nuklearszenario.
Panzer für die UkraineRussland-Experte warnt vor Atomschlag, wenn diese Linie überschritten wird
Großbritannien hat der Ukraine 14 Kampfpanzer des Typs „Challenger 2“ zugesagt. Deutschland liefert nach längerer Diskussion zunächst 14 „Leopard“-Panzer, weitere folgen. Die USA liefern ebenfalls Abrams-Panzer.
Mit den Kampfpanzern aus dem Westen könnte die Ukraine bald in der Lage sein, die russischen Linien zu durchbrechen und eine strategische Offensive einleiten. Während Kyjiw darüber jubelt, kommen warnende Töne aus Russland. Dort betrachtet man die Lieferung als „direkte Beteiligung am Konflikt“. Wurde nun eine rote Linie überschritten?
Ukraine: „Ab 200 Kampfpanzer ein Gamechanger“
Der Politikwissenschaftler und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck, Gerhard Mangott, ordnet in einem Interview mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND)“ die jüngsten Entwicklungen ein und warnt vor einem bestimmten Szenario.
Mangott erklärt, dass Russland immer wieder derlei Warnungen schickte und von roten Linien gesprochen habe, auch jetzt, „aber letztlich folgte nach der Lieferung keine wirkliche direkte militärische Eskalation“. Aktuell sehe der Experte keine Gefahr, dass sich daran etwas ändert und Russland nun die nächste Eskalationsstufe zünden könnte.
Die Panzer hält auch der Experte für extrem wichtig und wirkungsvoll im Krieg gegen Russland. „Wenn die Ukraine deutlich über 150 Kampfpanzer bekommt insgesamt, dann stärkt das enorm ihre Offensivfähigkeit“, erklärt er. „Ab 200 Kampfpanzern kann man schon von einem ‚Gamechanger‘ in diesem Krieg sprechen.“
Ukraine: Offensive könnte in Luhansk oder Saporischschja starten
Er erwarte eine Offensive der Ukraine, die entweder in Luhansk im Osten oder in der Provinz Saporischschja im Süden startet, mit dem Ziel, zum Asowschen Meer vorzustoßen „und damit die besetzten russischen Gebiete in zwei Teile zu spalten und die Landbrücke zur Krym zu zerstören“, so der Experte weiter.
Kurzfristig sei mit keiner Eskalation vonseiten Russlands zu erwarten, auch, weil es vermutlich noch Monate dauern wird, bis die Panzer im Kriegsgebiet eintreffen werden. „Aber man muss sagen: Die Regierungen, die jetzt Kampfpanzer liefern, verlieren in einer gewissen Weise die Kontrolle über das Eskalationsrisiko“, erklärt Mangott.
Heißt: Wenn die ukrainische Armee eine Unterbrechung der Landbrücke erreichen würde, dann könnten sie auch versuchen, auf die Krym vorzudringen. „Doch dann gibt es - meines Erachtens nach - ein sehr hohes Risiko einer sogenannten vertikalen Eskalation, also dass Russland taktische Nuklearwaffen einsetzen wird.“
Ukraine: Krym als gefährlichster Teil des Krieges?
Auch britische Experten haben die Wichtigkeit der Krym für Putin vor einigen Wochen hervorgehoben. Ausgerechnet die Krym, die für Moskau strategisch und symbolisch so wichtige Halbinsel, könnte ihrer Ansicht zu einem großen Schwachpunkt Putins werden. Denn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in den letzten Monaten immer wieder den Wunsch geäußert, sie befreien zu wollen.
Ihr Verlust aber könnte als eine der größten Niederlagen angesehen werden, die Putin in diesem Krieg erleiden könnte. Der Rückschlag könnte das Ende seiner Präsidentschaft bedeuten – das natürlich will Putin verhindern. Die Krym, 2014 von Russland annektiert, könnte also zu einem gefährlichen Teil des Krieges werden – für beide Seiten.
Nuklearschlag auf Ukraine? „Dann ist die große Frage: Was macht Russland?“
Und wie könnte so ein Nuklearschlag aussehen? Mangott erklärt, dass das in Eskalationsstufen geschehen könnte: „Zuerst würde es eine explizite Warnung mit dem Einsatz solcher Waffen geben, um eine ukrainische Offensive gegen die Krym zu stoppen. Dann vermutlich eine Explosion in der Luft über dem Schwarzen Meer, um der Drohung noch zusätzlichen Nachdruck zu verleihen.“ Und wenn auch das nicht reiche, „dann den Einsatz von taktischen Nuklearwaffen auf ukrainischem Gebiet.“
Es werde seiner Einschätzung nach zwar keinen Angriff auf Nato-Gebiet geben. „Wenn aber Nuklearwaffen gezündet werden, ist es für beide Seiten nicht mehr möglich, die Eskalation zu kontrollieren.“ Die USA haben bereits erklärt, massiv zurückzuschlagen, sollte es zu diesem Szenario kommen. „Und dann ist die große Frage: Was macht Russland?“
Der Einsatz von Nuklearwaffen sei weiterhin sehr unwahrscheinlich, betont der Experte. Dennoch sollte man die „maximalistischen Kriegsziele der Ukraine“, wie etwa die Krym zurückzuerobern, nicht ohne Weiteres unterstützen.„ Stattdessen sollte man moderatere Kriegsziele unterstützen, nämlich die Rückkehr zur Situation vor dem Krieg.“