„Der Kreml ist in Panik“Putin plant Blitz-Annexion in Ost-Ukraine – und geht massives Risiko ein

Was viele bereits seit Tagen befürchtet haben, scheint sich nun zu bewahrheiten: Nach den jüngsten Erfolgen der ukrainischen Armee wollen die Separatisten weitere Verluste auf ihren Gebieten verhindern – oder gar die Einnahme der ukrainischen Truppen. Sie flüchten nach vorn – und stimmen über den Beitritt zu Russland ab. 

von Martin Gätke  (mg)

Die Ukraine meldet einen Erfolg nach dem anderen, die russische Armee gerät im Nordosten des Landes immer weiter unter Druck. Die ukrainischen Streitkräfte sind zuletzt offenbar noch weiter in Richtung Osten vorgedrungen und haben zuletzt auch Erfolge bei Luhansk gemeldet. 

Der ukrainische Gouverneur der von russischen Streitkräften kontrollierten Region Luhansk, Serhij Hajdaj, hat im Messengerdienst Telegram erklärt, die ukrainische Armee hätte die vollständige Kontrolle über das Luhansker Dorf Bilohoriwka wiedererlangt und bereitete sich auf eine Rückeroberung der gesamten Provinz vor. Es werde um jeden Zentimeter gekämpft werden.

Ukraine: Russland unter Druck – Separatisten fordern Referenden

Die Separatisten in der Region geraten immer weiter unter Druck: Die von Russland anerkannten Volksrepubliken Luhansk und auch Donezk haben angekündigt, noch in dieser Woche über einen Beitritt zur Russischen Föderation abstimmen zu wollen. Auch Cherson im Süden will über einen Beitritt zu Russland abstimmen lassen.

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Die international heftig umstrittenen und kritisierten Scheinreferenden erinnern an die auf ähnliche Weise annektierte ukrainische Halbinsel Krim 2014. 

Die Pläne für mögliche Referenden in den prorussisch besetzten Gebiete wurde schon länger von Expertinnen und Experten diskutiert, unter anderem renommierten US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW).

Zuvor gab es in Russland zahlreiche Forderungen nach Beitrittsreferenden, unter anderem vom Ex-Kremlchef Dmitri Medwedew. Russland könne „alle Mittel des Selbstschutzes“ in diesen annektierten Gebieten anwenden, sagte er. Die Pläne für die Volksabstimmungen scheinen vom Kreml unterstützt zu werden. Auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte, die Referenden würden es den Territorien ermöglichen, über ihre Zukunft zu entscheiden.  Medwedew erhielt nach seinen Aussagen auch Unterstützung vom Präsidenten des russischen Unterhauses.

Die russische Politologin Tatjana Stanowaja wies gar darauf hin, dass Putin diese annektierten Gebiete auch unter Androhung des Einsatzes von Atomwaffen verteidigen könne.

Ukraine: Diskussionen deuten darauf hin, dass „Kreml in Panik“ ist

Diese Diskussionen deuteten darauf hin, „dass die laufende Gegenoffensive der Ukraine im Norden des Landes die Stellvertreter und einige Entscheidungsträger im Kreml in Panik versetzt“, heißt es in der aktuellen Analyse des ISW. Der Plan, weitere Teile im Osten der Ukraine zu annektieren, sei „inkohärent“. Denn: Die russischen Streitkräfte kontrollieren nicht alle Oblaste von Donezk und Luhansk.

Würden also die von den sogenannten „Volksrepubliken“ beanspruchten Gebiete annektiert werden, würde dies Gebiete einschließen, die – nach Definition des Kremls – von ukrainischen Behörden und Truppen „besetzt“ wären.

Ukraine: Kreml geht mit Annexionen massive Risiken ein – „Demütigung“

„Eine teilweise Annexion zum jetzigen Zeitpunkt würde den Kreml in die eigenartige Lage versetzen, von den ukrainischen Streitkräften die Räumung des ‚russischen‘ Territoriums zu verlangen“, heißt es in der Analyse weiter. Der Kreml gehe damit das Risiko, in eine „demütigende Situation“ zu kommen, sollte er diese Forderung nicht durchsetzen zu können. 

„Es bleibt sehr unklar, ob der russische Präsident Wladimir Putin bereit wäre, sich in eine solche Zwangslage zu begeben, nur um den zweifelhaften Vorteil zu haben, dass er der Nato oder der Ukraine leichter mit einer Eskalation drohen kann, die er zum jetzigen Zeitpunkt höchstwahrscheinlich ohnehin nicht durchführen wird“, heißt es weiter.

Doch die neuerlichen russischen Pläne zeigen, dass dem Kreml offenbar langsam die Mittel ausgehen, um den ukrainischen Vormarsch über den Fluss Oskil, weiter in die Region Luhansk hinein, aufzuhalten. Der Kreml könnte also die Flucht nach vorn wagen und ist möglicherweise der Ansicht, dass eine teilweise Annexion die Rekrutierung zusätzlicher Kräfte leichter machen könnte.

In der ISW-Analyse heißt es: „Die russischen Streitkräfte versuchen verzweifelt, zusätzliche Kräfte aus allen möglichen Quellen zu mobilisieren, um ihre stark dezimierten und demoralisierten Einheiten aufzufüllen.“