45 Tage sind es noch bis zur Bundestagswahl: Gelingt Olaf Scholz ein Wintermärchen? Und was können die deutschen demokratischen Parteien der Mitte von der politischen Situation in Österreich lernen? Darum ging es am Donnerstag bei Markus Lanz.
„Markus Lanz“SPD-Mann spricht eindringliche Warnung zur Wahl aus – da beginnt Lanz zu lachen
„Es ist ein politisches Erdbeben“, beschrieb Migrationsforscher Gerald Knaus bei „Markus Lanz“ die dramatische politische Lage in seinem Heimatland Österreich: Nach dem Scheitern von ersten Koalitionsverhandlungen zwischen drei demokratischen Parteien der Mitte wurde vor ein paar Tagen die rechtspopulistische FPÖ mit der Regierungsbildung beauftragt.
Dieser Präzedenzfall sei Knaus zufolge nicht nur für Österreich eine Katastrophe, es handelte sich um ein „fatales Signal für Europa und Deutschland“.
„Wir brauchen Freunde in dieser Welt“
Parteien wie die FPÖ, die aus der EU aussteigen wollen und Grenzen in Fragen stellen, würden für Unsicherheit sorgen. Doch gerade die Wirtschaft hinge von Stabilität ab, plädierte Knaus für ein „Gegenprogramm“: „Gibt es in Brüssel Ideen, um Europa wieder zu stärken?“, fragte er am Donnerstag bei „Markus Lanz“. „Ich sehe sie nicht.“
Es sei eine vertane Chance, schließlich wollten zehn Kandidaten der EU beitreten, und in Georgien gingen gerade abertausende Menschen mit einer Europa-Fahne auf die Straße, um für ihre Demokratie zu protestieren. „Wir brauchen Freunde in dieser Welt“, betonte er.
Andernfalls würde man Europa den rechten, anti-demokratischen Parteien überlassen, die weltweit auf dem Vormarsch seien.
„Ich habe das Gefühl, dass die Parteien der Mitte nicht erkannt haben, wie gefährlich durchdacht und strategisch dieser Angriff läuft“, warnte er, „und dass sie auf diese Geschichten, die die Jungen erreicht, keine guten Antworten haben.“
SPD-Mann spricht Warnung zur Wahl au, da beginnt Lanz zu lachen
21 Prozent hatte die AfD letzten Umfragen zufolge; die Union lag zwischen 29 und 31 Prozent, die SPD bei nur 16 Prozent. Heißt es angesichts dieser Zahlen jetzt „Merz gegen Scholz oder Weidel gegen Merz?“, wollte Markus Lanz provokant von SPD-Politiker Stephan Weil wissen.
„Weidel wird keine Partner in der deutschen Politik finden und deshalb keine Kanzlerin sein“, war sich der niedersächsische Ministerpräsident Niedersachsens sicher, ehe er zum überschwänglichen Lob für Kanzler Olaf Scholz ausholte: Der sei jemand, dem die Menschen in den nächsten, möglicherweise turbulenten Jahren vertrauen könnten: „Jemandem, den wir kennen und der oft genug in Krisen bewiesen hat, dass er seine Nerven beisammen hat“, rührte Weil die Werbetrommel - was wiederum Markus Lanz sichtlich erheiterte: „Entschuldigung, ich muss gerade lachen, weil ich glaube, die Leute fragen sich eher: 'Will ich das, was ich die letzten drei Jahre hatte, nochmal haben?' Das ist doch eher das Thema.“
Weil kehrte indes zum Thema zurück: „Wir sind nicht Österreich.“ In seinen Augen sei es ein „warnendes Beispiel“, dass sich im Nachbarland die „Demokraten zerlegen“ und sich die ÖVP der FPÖ anbiedere: „Niemand ist zu nichts nutze. Er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen“, meinte er und entlockte damit zumindest Moderator Lanz abermals ein Lachen.
Weil selbst blieb ernst: „Wir müssen das Gegenteil machen“, erklärte er. Dazu müsste man den Menschen vor allem in den beiden „neuralgischen Punkten Migration und Wirtschaftspolitik“ das klare Gefühl vermitteln, als demokratische Parteien gemeinsam aufzutreten und einen Plan zu haben.
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„Ich sehe ihn nicht“, musste jedoch Journalistin Sonja Álvarez feststellen. Für Einzelmaßnahmen sei es jetzt ohnehin zu spät. Es bräuchte eine große Strukturreform, wie es sie 2010 gegeben und für die die SPD zuletzt keine Kraft aufgebracht hätte. Eine Reform müsste Álvarez zufolge die Themen Energiepreise, Fach- und Arbeitskräftemangel und Bürokratie umfassen.
Braucht Deutschland eine Strukturreform?
„Ich habe nur einen vierten Punkt hinzuzufügen“, fiel ihr der SPD-Politiker ins Wort: „Mehr Investitionen“ wären notwendig, damit Unternehmen ihre Konzepte aus den Schubladen nehmen und sich an die Umsetzung wagten.
Was er anspräche, sei die Schuldenbremse, ordnete Álvarez ein. Wenn man diese Schleusen öffnete, sollte man nicht glauben, „dass Panzer rollen, Brücken nicht bröseln und wir Erzieherinnen haben“, ließ sich die Journalistin selbst dann nicht beirren, als Weil ihre Anmerkung als „Kurzschluss“ abtat. Auch, dass sich die SPD für Bürokratieabbau einsetze, nahm sie ihm nicht ab: „Sie rüsten als SPD auf und haben das Tariftreuegesetz verabschiedet“, meinte sie, „das ist alles andere als Abrüstung.“ Für die Wirtschaft brächte dies jedenfalls keinen Mehrwert.
„Auf den globalen Märkten spielen E-Autos der deutschen Autobauer kaum eine Rolle“
Heftiger zur Sache ging es beim Thema Automobilindustrie: „Die Branche hat die Transformation vollkommen verschlafen“, stand für Álvarez fest. Als VW im Jahr 2019 das erste E-Auto auf den Markt gebracht habe, hatte Tesla bereits eine Million E-Autos verkauft, kritisierte sie und stellte infrage, ob Deutschland die Aufholjagd noch gewinnen könnte.
Davon war Weil zumindest überzeugt: „Sie wissen schon, wer in Deutschland Marktführer bei den verkauften E-Autos ist?“, trumpfte er auf: „VW, mit großem Abstand.“ Die Journalistin zeigte sich unbeeindruckt: „Auf den globalen Märkten spielen E-Autos der deutschen Autobauer kaum eine Rolle“, argumentierte sie.
Dass der Staat ausgerechnet mit Maßnahmen wie der Verlängerung beim Kurzarbeitsgeld oder mit Prämien die E-Mobilität ankurbeln wollte, betrachtete Álvarez als Fehler. „Herr Weil, ein Produkt kann nicht deshalb überzeugen, weil der Staat eine Prämie zahlt“, widersprach die Journalistin. „Das Produkt muss selbst so gut sein, dass es den Kunden und die Kundin überzeugt.“ Prämien wären nur ein Strohfeuer, das langfristig den Käufer verunsichert, warnte sie.
Der SPD-Politiker hingegen war anderer Meinung: Es sei sinnvoll, „wenn der Staat beim Übergang in die E-Mobilität behilflich ist“, behauptete er. „Die Bürger schauen hin, ob der Staat daran glaubt“, war sich Weil sicher und nannte das Beispiel der erneuerbaren Energien, das durch staatliche Maßnahmen erfolgreich vorangetrieben worden sei.
„Da ist sie wieder“, krächzte Lanz, dem zum wiederholten Mal an diesem Abend die Stimme versagte, „die Hilflosigkeit - oder der Anschein von Hilflosigkeit.“ (tsch)