Krise der KonzertbranchePhilipp Poisel vor Köln-Konzert: „Irgendwann ist nur noch Wüste“

Der Sänger Philipp Poisel steht beim Auftakt der Strandkorb Open Air Tour Berlin-Brandenburg auf der Rennbahn Hoppegarten auf der Bühne.

Philipp Poisel (hier am 17. September 2021 bei einem Konzert) tritt bei seiner „Neon“-Tour auch in Köln auf.

Im Rahmen seiner „Neon“-Tour kommt Sänger Philipp Poisel auch in die Kölner Lanxess-Arena. Viele Menschen verzichten derzeit jedoch auf Konzert-Besuche. Der Sänger hält daher ein Plädoyer für die Kultur.

von Marcel Schwamborn  (msw)

Philipp Poisel (39) schoss, kurz nachdem ihn Herbert Grönemeyer (66) 2008 unter Vertrag genommen hatte, an die Spitze der deutschen Charts. Mit Songs wie „Wo fängt dein Himmel an?“, „Wie soll ein Mensch das ertragen?“ oder „Als gäb’s kein Morgen mehr“ wurde er in Rekordzeit einer der gefragtesten deutschen Künstler.

Die „Mein Amerika“-Tour, die 2017 über die Bühne ging, war in den größten Hallen ausverkauft. Zehn Jahre nach dem Erfolgsalbum „Projekt Seerosenteich“ und mit dem neuen Album „Neon“ im Gepäck hatte der Ludwigsburger erneut eine große Tour geplant. Am 30. November 2022 steht auch ein Auftritt in der Kölner Lanxess-Arena an.

Philipp Poisel: Konzert am 30. November in der Lanxess-Arena

Doch Poisel leidet, wie zahlreiche andere Stars auch, unter der massiven Zurückhaltung beim Ticketkauf. Der Sänger will aber nicht kapitulieren oder irgendwelche fadenscheinige Gründe vorschieben. Er geht offen mit der Situation um, zieht die Tour definitiv durch und gibt im EXPRESS.de-Interview ein flammendes Plädoyer für die Kulturszene ab.

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Sie sind volle Hallen gewöhnt. Für Ihr Konzert in der Lanxess-Arena gibt es aber noch Tickets. Wie gehen Sie damit um?Philipp Poisel: Ich freue mich über jeden, der trotz der schwierigen Lage kommt. Ich verstehe aber auch die, die lieber auf den Sommer warten. Ich mache die Tour auch ein wenig für mich, weil ich keine Lust mehr habe, noch länger zu warten und zu Hause rumzusitzen. Es geht auch drum, sich selbst zu bestätigen, dass man überhaupt noch Musiker ist. Im Moment fühlt es sich nämlich nicht so an. Daher bin ich für jede Gelegenheit, aufzutreten, sehr dankbar. Ich werde auf jeden Fall eine maximale Performance bieten, egal, wie viele da sind.

Gab es nie den Gedanken, die Tour abzusagen?Philipp Poisel: Mein Management kämpft auch für die Live-Musik. Denen geht es auch ums Prinzip. Wenn man die Gelegenheit hat, muss man auf jeden Fall spielen. Man sieht, dass sich trotzdem einige Leute trotz der Umstände überwinden, aufs Konzert zu gehen. Da treffen dann die aufeinander, die es unbedingt wissen wollen und dabei sein wollen. Dadurch kann ein cooles Club-Gefühl entstehen. Ich glaube fest dran, dass dieses Live-Gefühl nicht verschwindet.

Warum zögern so viele derzeit bei Konzert-Besuchen?Philipp Poisel: Durch die Pandemie haben sich wohl viele daran gewöhnt, nicht mehr rauszugehen. Das dauert nun möglicherweise zwei- bis dreimal so lange, bis die wieder Lust darauf haben. Aber wenn dann nur noch eine Wüste vorgefunden wird, dann fragen sie sich vielleicht doch, ob sie nicht lieber einmal weniger Netflix hätten schauen und stattdessen auf ein Konzert gehen sollen.

Glauben Sie, dass einige auf der Strecke bleiben könnten?Philipp Poisel: Dass viele Kulturbetriebe wackeln, vor allem die kleineren, macht mir Sorge. Die großen Stars haben weniger Probleme, Stadien oder Hallen zu füllen. Aber in der sogenannten Mittelschicht bricht immer mehr weg. Ich habe auch viele Menschen in meinem Umfeld, Techniker beispielsweise, die inzwischen in anderen Jobs tätig sind, damit sie über die Runden kommen. Hoffentlich gehen diese Abwanderungen nicht noch weiter, damit es noch eine Kulturwelt nach der Pandemie geben kann.

Sollte der Staat noch mehr helfen?Philipp Poisel: Für die Politik ist das auch keine einfache Situation. In der Musikszene sind die Auswirkungen der ganzen Krisen aber besonders akut. Einigen scheint dieser Sektor jedoch nicht relevant genug. Manchmal merkt man erst, was fehlt, wenn es nicht mehr da ist. Dann ist es aber zu spät.

Mit Ihren melancholischen Songs passen Sie ideal zu den schwierigen Zeiten.Philipp Poisel: Meine Musik soll helfen, aus dieser Welt zu entfliehen. Ich bin gerne ein Tagträumer. Gerade wenn draußen viele schlimme Dinge passieren, spiegelt sich das in meinen Songs schon wider.

Philipp Poisel: Darum besitzt der Sänger weiterhin kein Smartphone

Gehört zu Ihrer Flucht aus dem Alltag auch, dass Sie moderne Kommunikationsmittel ablehnen?Philipp Poisel: Ich nutze Social Media gar nicht, kenne mich damit nicht aus. Meinen Instagram-Account betreut jemand für mich. Ich habe nach wie vor kein Smartphone. Ich besitze lediglich ein Tablet, das habe ich in der Pandemie dann genutzt, wenn ich irgendwelche Codes vorzeigen oder mich irgendwo einscannen musste. Unterwegs habe ich dann aber oft kein Internet, kein WhatsApp. Für mich ist das wichtig, um klar und fokussiert auf meine Musik zu bleiben. Das ist die einzige Chance, um der Lautheit der Welt und der permanenten Erreichbarkeit zu entkommen.

Früher hatten Sie auch Zirkus-Artisten auf der Bühne. Was planen Sie nun auf der Tour?Philipp Poisel: Ich habe in der Vergangenheit manchmal etwas übertrieben mit Lichtshow und anderen Elementen, um mich dahinter zu verstecken. Man mag es nicht glauben, aber ich fühle mich auf der Bühne unsicher. Da packe ich mich durch Show-Elemente in Watte. Für mich wird das jetzt ein großes Abenteuer, wieder etwas nackter dazustehen. Der Musik tut es keinen Abbruch, die Fans freut es sogar, wenn etwas weniger Konfetti ist.