Kiews Bürgermeister, der ehemalige Profiboxer Vitali Klitschko, schildert im „ARD-Morgenmagazin“ bewegend die Situation in der Hauptstadt der Ukraine und richtet einen Appell an die Welt: „Ich fordere Hilfe!“ Auch sein Bruder Wladimir äußerte sich im Interview.
ARD-MorgenmagazinVitali Klitschko entschlossen: „Wenn ich sterben muss, dann sterbe ich“
Als Profiboxer gelangte er zu Weltruhm und gewann Ende der 90er-Jahre seinen ersten Weltmeistertitel, 2014 begann für Vitali Klitschko eine neue Karriere: Der Gründer der Partei UDAR wurde zum Bürgermeister von Kiew gewählt, der Hauptstadt der Ukraine.
Sich als Politiker in einem Krieg wiederzufinden, hat er damit gerechnet? „Niemals! Niemals!“, bekräftigte Klitschko im Videointerview mit Till Nassif. Der Moderator des „ARD-Morgenmagazins“ hatte am Donnerstag kurzfristig die Möglichkeit bekommen, mit dem 50-Jährigen zu sprechen. In dem am Freitagmorgen, 4. März 2022, ausgestrahlten Beitrag schildert der Bürgermeister von Kiew eindrücklich, was sich direkt vor seinen Augen abspielt.
Vitali Klitschko über Ukraine-Krieg: „Heute haben wir keine andere Wahl“
Derzeit sei er immer wieder in der Gegend um Kiew unterwegs und versuche, die Blockposten zu motivieren, die versuchen, ihre Heimat zu verteidigen. Dabei handle es sich um Menschen, die normalerweise nicht mit Waffen auf der Straße stehen. „Zum Beispiel einen Geigenspieler habe ich getroffen - mit Maschinengewehr. Einen Chirurg - mit Maschinengewehr. Einen Theaterkünstler - auch mit Maschinengewehr.“ Diese Männer hätten sich niemals vorgestellt, jemals eine Waffe in die Hand zu nehmen. „Aber heute haben wir keine andere Wahl, wir müssen unsere Häuser, unsere Familien verteidigen“, sagte Vitali Klitschko.
Insgesamt schätze der ehemalige Profiboxer die Situation als sehr gefährlich ein. „Jeden Tag sterben nicht nur Soldaten, jeden Tag sterben auch sehr viele Zivilisten.“ Auf Nachfrage Nassifs, wie viele Menschen in der Hauptstadt bereits ihr Leben lassen mussten, schätzte Klitschko die Zahl auf 100.
Vitali Klitschko über Ukraine-Krieg: „Und wenn ich sterben muss, dann sterbe ich“
Angst um sein eigenes Leben habe Klitschko nicht - zumindest betonte er das, als der Moderator ihn auf eine mögliche Todesliste ansprach, auf der er, ebenso wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, stehen soll. „Ich war Soldat“, so Klitschko, und er wolle sein Land verteidigen. Schulterzuckend fügte er hinzu: „Und wenn ich sterben muss, dann sterbe ich.“ Dann wurde er lauter: „Das ist eine Ehre, für sein Land zu sterben.“
Wladimir Klitschko: Die Welt muss die Ukraine unterstützen
Obwohl zunächst nur ein Interview mit Vitali Klitschko vereinbart war, so erklärte Moderator Nassif im „ARD-Morgenmagazin“ am Freitag, trat auch sein jüngerer Bruder Wladimir für einige Fragen vor die Kamera. „Die Lage ist nach wie vor gefährlich, während der Nacht hört man Explosionen und Schießereien“, beschrieb Wladimir Klitschko die aktuelle Situation in Kiew. „Der Krieg herrscht meistens in der Nacht. Während des Tages hört man die Geschosse, aber nachts ist es am schlimmsten.“
Sehr bewegt schilderte er dann, wie sehr auch ihn dieser Krieg überrascht hat. „Wir sind in Europa. Es ist von Deutschland nicht so weit entfernt. Man denkt, es ist irgendwo weit weg.“ Doch im Gegenteil: Es sei die Stadt, in der das Champions-League-Finale 2018 stattfand, bei dem auch viele Deutsche dabei waren. „Wir haben viele Freunde aus der ganzen Welt gehabt“, so Wladimir Klitschko weiter. Wenn die Welt nicht zusammenrücke, Unterstützung zeige und die Zusammenarbeit mit Russland stoppe und zeige, dass man die Ukraine gegen den Krieg unterstützt, werde es schwierig in Zukunft.
Das unterstrich auch Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko: „Ich fordere Hilfe!“ Alle Politiker der modernen Welt müssten den Krieg stoppen, man müsse gemeinsam „einen riesigen Druck machen“. „Anders funktioniert es nicht.“
Wie verfahren die Lage besonders im Hinblick auf Fehlinformationen, die in Russland verbreitet werden, ist, beschrieb Vitali Klitschko aus einer sehr persönlichen Perspektive. „Ich spreche mit meinen Verwandten in Russland, die erzählen mir, eure Regierung hasst die Russen“, berichtete er. Darauf habe er entgegnet. „Nein, wir hassen niemals Russen, wir hassen diese Politik!“ Klitschkos Mutter ist Russin. „Wie kann ich Russland hassen?“ Es sei doch keine Frage der Nationalität, sondern eine Frage von Werten.
Ukraine-Krieg: Vitali Klitschko über seine Gefühlslage
„Manchmal wache ich auf und denke, es ist ein Traum - aber es ist leider Realität“, gab der Bürgermeister weiter Einblick in seine Gefühlslage. Bombardierungen, Raketeneinschläge, Terrorgruppen, das alles sei „ein Horror“, erklärte er tief seufzend. Er habe „nie gedacht, dass so etwas in meiner Stadt passieren kann“.
Zum Abschluss des Gesprächs richtete Vitali Klitschko noch einen eindringlichen Appell an die Zuschauer: „Deutschland, bleiben Sie bitte mit uns, wir kämpfen auch für deutsche Werte, weil der Grund für diesen Krieg ist, dass wir einen Teil der europäischen Familie zusammenholen, und das passt nicht in die Vision von Putin.“ (tsch)