Gerhard Struber ist seit fünf Wochen beim 1. FC Köln im Amt. Der Österreicher soll den Klub zurück in die Bundesliga führen. Vor dem Saisonstart gegen den HSV spricht im großen EXPRESS.de-Interview.
„Bei jedem Wort gespürt“Struber erklärt Talente-Plan, neue Führungs-Struktur und den FC-Rat von Stöger
Er ist der Mann, der den 1. FC Köln so schnell wie möglich wieder in die Bundesliga führen soll. Gerhard Struber (47) gilt als ausgewiesener Talente-Experte und Verfechter eines offensiven Pressing-Fußballs. Damit passte der Österreicher, der zuletzt in Salzburg beschäftigt war und den RB-Kosmos kennt wie kaum ein anderer, haargenau ins Anforderungsprofil von Sportboss Christian Keller (45).
Die Vorbereitung lief für den neuen Coach und sein Team bislang wie am Schnürchen. Der FC konnte fünf von sechs Tests gewinnen, ist noch ungeschlagen. Die Leistungen – vor allem gegen den belgischen Erstligisten St. Truiden und Swansea City (Championship) – machen richtig Lust auf die Saison. Wie viel die guten Eindrücke wert sind, entscheidet sich am Freitag (2. August, 20.30 Uhr, Sat.1 und im Liveticker auf EXPRESS.de) beim FC-Wiedersehen mit Steffen Baumgart (52).
Gerhard Struber: „Der FC ist eine reizvolle Aufgabe“
Vor dem Start gegen den Hamburger SV sprach Gerhard Struber im Interview mit EXPRESS.de über Landsmann und Kult-Trainer Peter Stöger, die Arbeit mit jungen Spielern und neue Führungsstrukturen in der Mannschaft.
Abstieg, Transfersperre und Machtkämpfe hinter den Kulissen. Herr Struber, warum haben Sie die Herausforderung FC dennoch angenommen?
Gerhard Struber: „Die Aufgabe an sich ist äußerst reizvoll. Der FC ist ein Verein mit riesiger Strahlkraft. Und ich habe diese angebliche Weltuntergangs-Stimmung in den Gesprächen, die ich geführt habe, nicht gespürt. Die Transfersperre ist natürlich nicht wünschenswert, aber hier ist eine Mannschaft am Werk, die performen kann. Sie hat in der Vorbereitung wieder ein neues Gesicht gezeigt und strahlt die nötige Zuversicht aus.“
Mit Peter Stöger war zuletzt ein Landsmann von Ihnen viereinhalb Jahre Trainer beim FC. Kennen Sie sich und wenn ja, was hat er Ihnen über den FC erzählt?
„Wir kennen uns aus Österreich. Man hat bei jedem Wort, das er über den FC erzählt, die Verbundenheit mit dem Verein gespürt. Er hat mir über das gewaltige Interesse am FC berichtet. Diese unfassbare Wucht, die der Klub bei den Fans und in der Stadt entwickeln kann. Er sagt, dass die Emotionalität, die hier herrscht, schon etwas ganz Besonderes ist. Diese Kraft gilt es für uns zu nutzen. Peter hat mir erzählt, seine Offenheit habe ihm dabei geholfen. Wir sind zwar unterschiedliche Charaktere, aber diese Offenheit verbindet uns definitiv.“
Sie sind schon viel rumgekommen in Ihrer Karriere. Waren nicht nur in der Heimat, sondern auch in England und in New York. Wie erleben Sie den Standort Köln im Vergleich zu Ihren vorigen Stationen?
Struber: „In Barnsley waren die Fans auch extrem nah dran am Verein. Der Klub war das Herz der Stadt. In der Intensität kann man das schon ein Stück weit mit dem FC vergleichen, natürlich nicht in dem Ausmaß wie hier. Das ist schon einzigartig, muss ich sagen. Das habe ich selten so erlebt. Vor 80.000 Zuschauern im San Siro Champions League zu spielen, war auch sehr emotional, aber wenn jedes Liga-Heimspiel 50.000 Fans den Klub pushen, dann ist das außergewöhnlich.“
Sie gelten als ausgewiesener Talente-Experte. War die Aufgabe hier aus deshalb so reizvoll, weil sich der FC als Ausbildungsklub versteht?
Struber: „Der FC ist ein Klub, der auf der einen Seite für Entwicklung steht, auf der anderen Seite aber auch Ergebnisse liefern muss. Diese Balance wollen wir in der nächsten Saison finden. Beides trage ich in mir. Ich will sowohl junge Spieler entwickeln und mit ihnen zusammen den nächsten Schritt gehen als auch erfolgreich sein und die Erwartungen an meine Person erfüllen. Dafür werde ich meine ganze Erfahrung einbringen und das zusammen mit meinem Trainerteam in die richtige Richtung lenken.“
Wie schwer wird dabei der Spagat zwischen dem Ergebnisdruck und dem Zugeständnis an junge Spieler, Fehler zu machen?
Struber: „Das ist in der Tat ein Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. Für mich geht es darum, die nötige Ruhe reinzubringen und in solchen Situationen die richtigen Worte zu finden. Wir wollen unsere Talente mitnehmen und ihnen Lösungen aufzeigen, wenn sie mal etwas falsch machen. Und das wird passieren, das ist ganz normal in so einer Entwicklungsphase. Neben mir als Trainer haben wir noch genug erfahrene Spieler, die unsere jungen Burschen begleiten können. Dafür ist es wichtig, dass alle Führungsspieler fit sein werden und uns dauerhaft zur Verfügung stehen. Dann haben wir einen spannenden Mix im Kader.“
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Warum macht Ihnen die Arbeit mit jungen Spielern so großen Spaß?
Struber: „Als Trainer kann man die Spieler in diesem Alter formen und entwickeln. Das Mindset der Jungs ist noch nicht beladen mit festgefahrenen Mustern, sondern sehr frei. Sie lernen leichter. Es freut mich aber umso mehr, dass wir auch viele ältere und erfahrenere Spieler haben, die Offenheit und Lernwilligkeit zeigen, wenn es beispielsweise darum geht, das Pressing-Verhalten umzusetzen. Wir brauchen jeden, der auf diesen Zug mit aufspringt.“
Gibt es einen Zeitpunkt in der Entwicklung, an dem sie abschätzen können, ob es ein talentierter Spieler schafft, sich dauerhaft bei den Profis durchzusetzen?
Struber: „Zunächst mal bringt es nichts, einem 17-Jährigen zu sagen, aus dir wird mal etwas oder du packst es sowieso nicht. Das ist nicht meine Art. Ich schenke jedem einzelnen meine volle Aufmerksamkeit, vor allem jenen Jungs, die engagiert sind. Denn Mentalität schlägt Talent. Ich bin überzeugt, dass man mit Talent allein nichts mehr erreicht. Man muss den absoluten Willen mitbringen, jeden Tag abzuliefern. Wenn einer bereit ist, ‚all-in‘ zu gehen, werde ich ihn immer pushen. Im Optimalfall hat ein Spieler natürlich viel Talent und zeigt viel Engagement. Dann landest du wie Dominik Szoboszlai bei einem Topklub wie dem FC Liverpool.“
Junge Spieler brauchen aber auch Führung. Christian Keller hat nach der vergangenen Saison gefordert, die „Führungsstrukturen“ zu verändern. Wie wollen Sie das angehen?
Struber: „Wir wollen in der täglichen Arbeit herausfinden, wer bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und in der Kommunikation eine gewisse Reife mitbringt. Wir brauchen Spieler, die die Dinge beim Namen nennen, gleichzeitig aber in den Leistungen beständig bleiben. Das hat sich inzwischen herauskristallisiert. Wir haben Jungs dabei, die Vieles mitbringen, wenn es um die Führung einer Gruppe geht.“
Dabei setzen Sie mit Timo Hübers auf einen neuen Kapitän.
„Dass Timo unser Kapitän wird, ist keine Überraschung – das hatte sich schon abgezeichnet. Er ist einfach ein richtig guter Typ, ein sehr intelligenter Bursche, der Erfahrung hat und viel mitbringt für dieses Amt. Ich habe sehr viel Vertrauen in ihn, Timo wird mit der Kapitänsschleife vorangehen und weiß, was ich von ihm erwarte. Genauso weiß er, was er von mir erwarten kann als Trainer.“
Haben Sie mit Florian Kainz gesprochen – wie hat er reagiert?
„Natürlich. Ich habe mit Florian telefoniert, wir haben über die Situation geredet. Wir hatten auch schon vergangene Woche darüber gesprochen. Natürlich ist die ganze Situation auch ein Stück weit dem geschuldet, dass Florian verletzt und damit nicht verfügbar ist. Und wir brauchen für den Start in die Saison einen Kapitän, der da ist. Kainzi bleibt trotzdem ein ganz entscheidender Führungsspieler für uns. Er ist für mich ein ganz enger Vertrauter, der mit mir im Daueraustausch sein wird.“
Wie schwer ist es für Sie als Externer in ein bestehendes Gefüge zu kommen?
Struber: „Die Mannschaft hat es mir extrem leicht gemacht, weil alle sehr offen sind. Das Management unterstützt mich nach Kräften und auch alle anderen Kollegen stehen mir mit Rat und Tat zur Seite. Die Türen stehen hier alle offen. Sie merken, dass ich ihnen die gleiche Offenheit entgegenbringe. Dieser offene Austausch macht es mir leichter, gerade bei solch schweren Entscheidungen wie die Wahl des Kapitäns.“
Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Struber: „Ich habe eine klare Überzeugung, welchen Fußball ich von meiner Mannschaft sehen will. Auf der einen Seite bin ich ein Trainer, der hart in der Sache ist, auf der anderen Seite im Persönlichen absolut verständnisvoll. Ich habe immer ein offenes Ohr für die Spieler und versuche, wenn es die Situation erfordert, Rücksicht auf das Privatleben zu nehmen. Mir ist es wichtig zu wissen, was los ist und wie es ihnen geht.“
Sie kommen aus dem RB-Kosmos. Was können Sie von dort für den FC adaptieren?
Struber: „Es ist vor allem die Spielidee, die natürlich durch RB geprägt ist. Dort habe ich die Überzeugung für die Art von Fußball erlangt. Dort habe ich gelernt, den Stil zu moderieren und zu vermitteln. Meine Erfahrungen gehen aber nicht nur darauf zurück. Ich war in verschiedenen Ländern unterwegs und habe alles mitgenommen, was mich auf den verschiedenen Stationen geprägt hat. Das Wichtigste ist aber, die nötige Vertrauensbasis zu den Spielern zu bekommen, damit sie dir bei deiner Idee folgen.“
Inwieweit sind Sie sie schon in die Planungen für den Winter involviert?
Struber: „Wir sind im ständigen Austausch. Wenn es dann sichtbarer wird, auf welchen Positionen wir handeln wollen, dann werden wir uns abstimmen und gemeinsam Entscheidungen treffen.“
Wie ist Ihr Verhältnis zu Christian Keller?
Struber: „Wir haben ein sehr vertrautes Verhältnis, obwohl ich noch gar nicht so lange hier bin. Wir tauschen uns täglich aus. Es ist notwendig, dass wir der Mannschaft, die uns aktuell zur Verfügung steht, die volle Aufmerksamkeit schenken. Dabei versuchen wir ständig herauszuarbeiten, in welchen Themenfeldern wir uns verbessern können. Mit ihm habe ich einen vertrauensvollen Partner an meiner Seite, mit dem ich hier an einem Strang ziehe und der die Mannschaft, die Strukturen und das Umfeld beim FC schon kennt.“
Am 1. Spieltag geht es gegen den HSV um Ex-Trainer Steffen Baumgart. Für Ihre Spieler ist es sicher ein besonderes Spiel. Wie blicken Sie drauf?
Struber: „Es ist für mich ebenfalls ein besonderes Spiel, weil es gegen einen absoluten Titelfavoriten geht. Es steckt nicht nur durch diese besondere Konstellation enorm viel Emotionalität drin. Es ist für uns ein echter Gradmesser. Wir wollen einfach wissen, wo wir stehen, und darauf freue ich mich schon sehr. Außerdem ist es meine Premiere im Rhein-Energie-Stadion vor ausverkauftem Haus, das verspricht jetzt schon Gänsehaut.“
Mit welchen Erwartungen gehen Sie in die kommende Saison?
Struber: „Für uns steht Entwicklung auf allen Ebenen im Fokus. Wir wollen als schlagkräftiges Kollektiv auftreten, das in allen Phasen des Spiels weiß, was es tut. Dabei müssen wir uns aufeinander verlassen können. Wenn wir das alles umsetzen, werden auch die nötigen Ergebnisse kommen. Ich gehe mit einem sehr guten Gefühl in die Saison.“